17 Februar 2016

Ulla Hahn: Das verborgene Wort, 2001

Es ist gut vier Jahre her, dass ich die folgende Buchbesprechung geschrieben habe. Der Blog, in dem sie ursprünglich veröffentlicht wurde, ist aus dem Internet verschwunden, weil der Provider aufgegeben hat. Jetzt entdecke ich mit Freuden, dass der Text wieder im Netz steht, bei Ursel. Ich muss es schon einmal gewusst haben, hatte es aber vergessen. (Gegenwärtig befasse ich mich mit Ulla Hahns Gedichten.)

Ich bin in die Welt des Romans [Ulla Hahn: Das verborgene Wort, 2001] hineingezogen worden und konnte mich mit der Heldin identifizieren, obwohl ich weder weiblich und jung noch katholisch und mathematisch unbegabt bin.
Schon gar nicht bin ich solch ein begeisterter Leser wie Hilla Palm, da ich schon seit Jahren mehr Zeit im Internet verbringe als mit dem Lesen gedruckter Bücher.
Wie erreicht Ulla Hahn das? Ich weiß es nicht.
Natürlich versteht sie es, anschaulich zu schildern. Auch passiert erstaunlich viel in dem Buch. Nicht nur, dass Hildegard immer wieder geschlagen wird und dass sie sich immer wieder verliebt.
Freilich, gerade diese Liebesgeschichten ermöglichen Identifikation, auch wenn man nicht so an trockenem Wissen hängt wie Sigismund, wenn man weder Gärtner ist noch Bücher auswendig lernt und schon gar nicht so unermesslich reich ist wie Godehard. Aber in die Zeit, wo das Leben noch so offen war und das andere Geschlecht noch so Unbekanntes, Fremdes versprach, taucht man gerne wieder ein. Fremder als der Dschungel in Südamerika und verheißungsvoller als das Paradies war es, das schon Adam und Eva verließen, weil sie auf der Suche nach einem größeren Glück waren. Gern taucht man ein in diese Zeit, weil man das Paradies längst verlassen hat und weil man den Verlust von Unschuld und Illusionen nicht mehr fürchten muss.
Und es ist nicht oberflächlich, was Hahn da in uns wach ruft. Auch die vielen Sozialwelten, in die sie uns führt, sind zwar zum Teil etwas Klischee, aber doch vermitteln sie etwas darüber hinaus. Und dann die Nostalgie beim Eintreten in die Welt der 50er und 60er Jahre, wo Haushaltsmaschinen, Fernsehen und schon gar Autos für die meisten unerschwinglich waren, in die Zeit der Bahnsteigkarten und der Kolonialwarenläden, die Tante-Emma-Läden zu nennen, niemandem im Traum eingefallen wäre.
Man wird in dies Buch hineingezogen, doch entlässt es einen auch in die Reflexion.
Ich jedenfalls wollte die Verzweiflung des krebskranken Mädchens so genau gar nicht nachempfinden und legte das Buch erst einmal aus der Hand. Doch allein lassen konnte ich Maria dann doch nicht auf längere Zeit, und schon war ich wieder im Erzählfluss.
Doch was mich wirklich in Bann gezogen hat, das war das, was der Großvater Hilla Palm mitgegeben hat: Eine Welt von Geschichten, die sich aus Buchsteinen lesen lassen, von Lebenshilfen, die in Wutsteinen, später auch Lach- und Willsteinen schlummern und in bedrohlichen Situationen zu Helfern werden können, freilich nicht immer helfen.
Kein Wunder, dass auch Ulla Hahns zweiter biographischer Roman (“Aufbruch”) mit den Steinen des Großvaters und ihren wundersamen Fähigkeiten beginnt.
Ob man den ersten oder den zweiten Roman zuerst liest, man wird auch den anderen lesen wollen und auf den dritten und vierten warten. 

Ulla Hahn: 1. Das verborgene Wort, 2001

Ulla Hahn: 2. Aufbruch, 2009

Ulla Hahn: 3. Spiel der Zeit, 2014

Ulla Hahn: 4. Wie werden erwartet, 2017

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