05 Februar 2016

Die Sophisten, speziell Hippias (Wieland: Agathon)

Die Sophisten und Socrates
Sie wurden von aller Welt mit dem ehrenvollen Namen der Sophisten oder Weisen benennt; allein die Weisheit, von der sie Profession machten, war von der Socratischen, die durch einige Verehrer dieses Atheniensischen Bürgers so berühmt worden ist, so wohl in ihrer Beschaffenheit, als in ihren Würkungen unendlich unterschieden; oder besser zu sagen, sie war die vollkommne Antipode derselbigen. Die Sophisten lehrten die Kunst, die Leidenschaften andrer Menschen zu erregen; Socrates die Kunst, seine eigene zu dämpfen. Jene lehrten, wie man es machen müsse, um weise und tugendhaft zu scheinen; dieser lehrte, wie man es sei. Jene munterten die Jünglinge von Athen auf, sich der Regierung des Staats anzumaßen; Socrates, daß sie vorher die Hälfte ihres Lebens anwenden sollten, sich selbst regieren zu lernen. [...]
Wir würden nicht fertig werden, wenn wir diese Gegensätze so weit treiben wollten, als wir könnten. Genug, daß die Weisheit der Sophisten einen Vorzug hatte, den ihr die Socratische nicht streitig machen konnte; sie verschaffte ihren Besitzern Reichtum, Ansehen, Ruhm, und ein Leben, das von allem, was die Welt glücklich nennet, überfloß. [...]
Hippias
Er war so klug, frühzeitig zu entdecken, wie viel an der Gunst dieser reizenden Geschöpfe gelegen ist, welche in den policierten Teilen des Erdbodens die Macht würklich ausüben, die in den Märchen den Feen beigelegt wird; die mit einem einzigen Blick, oder durch eine kleine Verschiebung des Halstuchs stärker überzeugen, als Demosthenes und Lysias durch lange Reden; die mit einer einzigen Träne den Gebieter über Legionen entwaffnen, und durch den bloßen Vorteil, den sie von ihrer Gestalt und einem gewissen Bedürfnis des stärkern Geschlechts zu ziehen wissen, sich zu unumschränkten Beherrscherinnen derjenigen machen, in deren Händen das Schicksal ganzer Völker liegt. [...]
Er hatte, bevor er sich nach Smyrna begab, um die Früchte seiner Arbeit zu genießen, den schönsten Teil seines Lebens zugebracht, die edelste Jugend der griechischen Städte zu bilden; er hatte Redner gebildet, die durch eine künstliche Vermischung des Wahren und Falschen, und den klugen Gebrauch gewisser Figuren, einer schlimmen Sache den Schein und die Würkung einer guten zu geben wußten; Staats-Männer, welche die Kunst besaßen, mitten unter den Zujauchzungen eines betörten Volks die Gesetze durch die Freiheit und die Freiheit durch schlimme Sitten zu vernichten; um diejenigen, die sich der heilsamen Zucht der Gesetze nicht unterwerfen wollten, der willkürlichen Gewalt ihrer Leidenschaften zu unterwerfen; kurz, er hatte Leute gebildet, die sich Ehren-Säulen dafür aufrichten ließen, daß sie ihr Vaterland zu Grunde richteten. Allein dieses befriedigte seine Eitelkeit noch nicht: Er wollte auch jemand hinterlassen, der seine Kunst fortzusetzen geschickt wäre; eine Kunst, die in seinen Augen allzuschön war, als daß sie mit ihm sterben sollte.

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