22 Februar 2016

Vermischung der Seelen (Wieland: Agathon)

Petronius "bedient sich irgendwo eines Ausdrucks, welcher ganz deutlich zu erkennen gibt, daß er eine verliebte Vermischung der Seelen nicht nur für möglich, sondern für einen solchen Umstand gehalten habe, der die Geheimnisse der Liebesgöttin natürlicher Weise zu begleiten pflege. Jam alligata mutuo ambitu corpora animarum quoque mixturam fecerant, sagt dieser Oberaufseher der Ergötzlichkeiten des Kaisers Nero; um vermutlich eben dasselbe zu bezeichnen, was er an einem andern Ort ungleich schöner also ausdrückt: Et transfudimus hinc & hinc labellis Errantes animas
Ob er selbst die ganze Stärke dieses Ausdrucks eingesehen, oder ihm so viel Bedeutung beigelegt habe, als wir; ist eine Frage, die uns (nach Gewohnheit der meisten Ausleger) sehr wenig bekümmert. Genug, daß wir diese Stellen einer Hypothese günstig finden, ohne welche sich, unsrer Meinung nach, verschiedene Phänomena der Liebe nicht wohl erklären lassen, und vermöge welcher wir annehmen, daß bei wahren Liebenden, in gewissen Umständen, nicht (wie einer unsrer tugendhaftesten Dichter meint) ein Tausch, sondern eine wirkliche Mischung der Seelen vorgehe. 
Wie dieses möglich sei zu untersuchen, überlassen wir billig den weisen und tiefsinnigen Leuten, welche sich, in stolzer Muße und seliger Abgeschiedenheit von dem Getümmel dieser sublunarischen Welt, mit der nützlichen Spekulation beschäftigen, die Art und Weise ausfindig zu machen, wie dasjenige was würklich ist, ohne Nachteil ihrer Meinungen und Lehrgebäude, möglich sein könne. Für uns ist genug, daß eine durch unzähliche Beispiele bestätigte Erfahrung außer allen Zweifel setzt, daß diejenige Gattung von Liebe, welche Shaftesbury mit bestem Recht zu einer Art des Enthusiasmus macht, und gegen welche Lucrez aus eben diesem Grunde sich mit so vielem Eifer erklärt, solche Würkungen hervorbringe, welche nicht besser als durch jenen Petronischen Ausdruck abgemalt werden können. 
Agathon und Danae, die uns zu dieser Anmerkung Anlaß gegeben haben, hatten kaum vierzehn Tage, welche freilich nach dem Kalender der Liebe nur vierzehn Augenblicke waren, in diesem glückseligen Zustande, worin wir sie im vorigen Kapitel verlassen haben, zugebracht: als diese Seelenmischung sich in einem solchen Grade bei ihnen äußerte, daß sie nur von einer einzigen gemeinschaftlichen Seele belebt und begeistert zu werden schienen. Würklich war die Veränderung und der Absatz ihrer gegenwärtigen Art zu sein, mit ihrer vorigen so groß, daß weder Alcibiades seine Danae, noch die Priesterin zu Delphi den spröden und unkörperlichen Agathon wieder erkannt haben würden."
(Wieland:Agathon)

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