30 April 2018

Fontane über seine Kindheit


Der Text ist diktiert, deshalb neue Rechtschreibung und nur die wichtigsten Namen (u.ä.) korrigiert:

"Wenn ich gefragt werde, welchem Lehrer ich mich so recht eigentlich zu Dank verpflichtet fühle, so würde ich antworten müssen: meinem Vater, meinem Vater, der sozusagen gar nichts wusste, mich aber mit dem aus Zeitungen und Journalen aufgepickten und über alle möglichen Themata sich verbreitenden Anekdotenreichtum unendlich viel mehr unterstützt hat als alle meine Gymnasial- und Realschullehrer zusammen genommen. Was die mir geboten, auch wenn es gut war, ist so ziemlich wieder von mir abgefallen; die Geschichten von Ney und Rapp aber sind mir bis diese Stunde geblieben." (in: Kindheiten, dtv 1459, S.77)

Ein Beispiel für die Lernmethode des Vaters von Fontane:
"Am liebsten jedoch fing er gleich mit dem Historischen an oder doch mit dem, was im Historie schien. Ich muss dabei noch einmal, aber nun wirklich zum letzten Male, seiner ausgesprochenen Vorliebe für alle Ereignisse samt den dazugehörigen Personen, die zwischen der Belagerung von Toulon und der Gefangenschaft auf Sankt Helena lagen, Erwähnung tun. Auf diese Personen und Dinge griff er immer wieder zurück. Seine Lieblinge habe ich schon in einem früheren Kapitel genannt, oben an Ney und Lannes, aber einen der seinen Herzen vielleicht noch näher stand, hab ich doch bei jener ersten Aufzählung zu nennen vergessen, und dieser eine war Latour d'Auvergne, von dem er mir schon in unseren Ruppiner Tagen allerlei Geschichten erzählt hatte. Das wiederholte sich jetzt. Latour d'Auvergne, so hieß es in diesen seinen Erzählungen, habe den Titel geführt: Licht brennen Grenadier gefranzt [le premier grenadier de France] oder erster Grenadier von Frankreich, als welcher er, trotzdem er gerade Generalsrang gehabt, immer in Reih und Glied, und zwar unmittelbar neben dem rechten Flügelmann der alten Garde gestanden habe. Als er dann aber in dem Treffen bei Neuburg gefallen sei, habe Napoleon angeordnet, dass das Herz des ersten Grenadiers in eine Urne getan und bei der Truppe mitgeführt, sein Name Latour d'Auvergne aber bei jedem Appell immer aufs Neue mit aufgerufen werde, wobei dann der jedesmaliger Flügelmann Order gehabt habe, statt des ersten Kanadiers zu antworten und Auskunft zu geben, wo er sei. Das war ungefähr das, was ich von meinem Vater her längst auswendig wusste; seine Vorliebe für diese Gestalt aber war so groß, dass er wenn’s irgend ging, immer wieder auf diese zurückkam und dieselben Fragen tat. Oder richtiger noch, immer wieder dieselbe Szene inszenierte." (
in: Kindheiten, dtv 1459, S.76)
Diese Szene spielten sie dann so, dass der Vater vom Sofa aufstand und die Rolle des Flügelmanns spielte, während das Kind Theodor "die Rolle des appellabnehmenden Offiziers spielte".

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