16 Juni 2018

Moltke: Unter dem Halbmond - Feuersbrunst, Pest

"Aber man begreift auch die ganze Wut der Feuersbrünste, wo tausende, man möchte sagen aus Schwefelhölzern erbaute Häuser dicht und unregelmäßig aneinander gedrängt, einen Flächenraum von einer Quadratmeile bedecken. In Pera hat man angefangen größere Häuser aus Stein und mit eisernen Läden vor allen Fenstern zu erbauen; aber auch sie sind oft ein Raub des Feuers geworden, denn die bloße Hitze, welche ein solches Feuermeer verursacht, reicht hin, um das Innere zu entzünden. Es ist fast unbegreiflich, wie die schönen massiven Palais der englischen und französischen Botschaft, die isoliert mitten in Gärten standen, dennoch von den Flammen erfasst werden konnten. An Löschen ist hier fast gar nicht zu denken, nur schnelles Niederreißen von Häusern auf weite Entfernung setzt dem verheerenden Element eine schwache Schranke, indem es ihm seine Nahrung entzieht. Ein starker Wind aber vereitelt alle diese Anstrengungen; selten gelingt es den Bewohnern, auch nur einen Teil ihrer Habe in die nächsten Moscheen zu bringen; oft ist es kaum möglich, das Leben zu retten. Die Häuser sind schmal und hoch, die Treppen eng. Mitten in der Nacht schreckt der Ruf »Gjangen-var!« – »Es ist Feuer!« – die Einwohner aus dem Schlaf; kaum raffen sie das Notwendigste zusammen, so finden sie schon ihre Straßen brennend; sie eilen zu einem anderen Ausgang, die Menge verstopft die Gassen, in wenigen Minuten finden sie sich von der schrecklichen Glut umstellt. Ebenso furchtbar, wie die Feuersbrünste hier sind, so leicht werden sie verursacht, besonders im Winter. Öfen gibt es nur in einigen Wohnungen der Franken; die Türken, Armenier und Griechen bedienen sich der Kohlenbecken (Mangall), die auf den Fußteppich, oft unter die mit Decken belegten Tische (Tandur) gestellt werden. Nun begreift man, dass die geringste Nachlässigkeit eine Feuersbrunst erzeugen kann. [...]" (Kapitel 22)

Bujukdere, den 28. Dezember 1836 
"Noch immer sind hier die Wiesen mit frischem Grün bedeckt und zahllose Rosen blühen in den Gärten; der Bosporus ist spiegelglatt, ein wolkenloser Himmel wölbt sich über uns und die Sonne scheint so hell und heiß, dass man sich gar nicht darein finden kann, dass in wenigen Tagen Neujahr ist. [...]" (Kapitel 23)

Empfang beim Großherrn (Sultan)
Pera, den 21. Januar 1837
"Vorgestern erhielt ich den Befehl zu einer Privataudienz beim Großherrn zu erscheinen. Es ist bekannt, wie früher die Repräsentanten der mächtigsten Monarchen stundenlang im Vorhof des Serajs warten mussten. Dort befindet sich ein Portal mit zwei Türen hintereinander. Da die äußere hinter dem Eintretenden eher geschlossen, als die innere wieder geöffnet wird, so war dies der Ort, wo den Wesiren und den Großen überhaupt gelegentlich die Köpfe abgeschlagen wurden. Diese freundliche Lokalität hatte man benutzt, um die zur Audienz gelassenen Fremden in der Tugend der Geduld zu üben. [...]
Der lebhafteste Eindruck, der mir an dieser ganzen Szene geblieben ist, ist der Ausdruck von Wohlwollen und Güte, welcher alle Worte des Großherrn bezeichnete." (Kapitel 25)

Konstantinopel, den 22. Februar 1837 
Ich habe soeben meine Aufnahme von Konstantinopel beendet; gewiss in keiner anderen Hauptstadt hätte ich so unbelästigt wie hier in den Straßen arbeiten können. »Harta«, meinten die Türken, »eine Karte«, und gingen ruhig weiter, als ob sie sagen wollten: »Wir verstehen doch nichts davon.« Zuweilen wurde ich auch mit meiner Messtischplatte für einen »Moallbidschi«, einen Mann, der Süßigkeiten auf einer weißen Scheibe in den Straßen zum Verkauf herumträgt, gehalten und als solchen suchten die Kinder Freundschaft mit mir zu machen. Am neugierigsten sind die Frauen, diese wollten durchaus wissen, was auf dem Papier stände, wozu der Padischah das brauchte, da er ja schon hier gewesen sei, ob ich nicht Türkisch spräche oder wenigstens Römisch (nämlich Griechisch). Da meine Bedeckungstruppe dies verneinte, so betrachteten sie mich wie eine Art Halbwilden, mit dem man sich nur durch Zeichen verständigen könne. Großes Vergnügen machte es ihnen, vielleicht nur, weil es verboten ist, wenn man sie abzeichnete; nun ist nichts leichter als das: ein großer weißer Schleier, aus dem zwei schwarze Augen, ein Endchen Nase und breite zusammenstoßende Augenbrauen herausschauen, hätte ich eine Lithographie davon gehabt, so hätte ich es jeder Einzelnen als ihr Porträt überreichen können und alle würden es sehr ähnlich gefunden haben. [...]
Ob die Pest aus Ägypten oder aus Trapezunt kommt oder wie sie und wo sie sonst entsteht, darüber will ich dir nichts sagen, weil ich und weil kein Mensch das weiß. Die Pest ist ein noch unerklärtes Geheimnis; sie ist das Rätsel der Sphinx, welches dem das Leben kostet, der sich an die Lösung wagt, ohne sie zu finden. So ging es mit den französischen Ärzten bei der Armee Napoleons in Ägypten, so ging es unlängst einem jungen deutschen Arzt, der sich hier dreißig Tage lang den erdenklichsten Proben aussetzte, endlich in ein türkisches Dampfbad ging, sich zu einem Pestkranken legte und binnen vierundzwanzig Stunden tot war. Während der diesjährigen Pest, der heftigsten, die seit einem Vierteljahrhundert hier gewütet hat, bin ich ganze Tage in den engsten Winkeln der Stadt und der Vorstädte umhergegangen, bin in die Spitäler selbst eingetreten, gewöhnlich umgeben von Neugierigen, bin Toten und Sterbenden begegnet und lebe der Überzeugung, mich einer sehr geringen Gefahr ausgesetzt zu haben. Das Wichtigste ist Reinlichkeit; sobald ich nach Hause kam, wechselte ich von Kopf bis Fuß Wäsche und Kleider und Letztere blieben die Nacht durch im offenen Fenster aufgehängt. Wie sehr überhaupt die einfachste Vorsicht schützt, dies beweist die geringe Zahl von Opfern, welche die Pest unter der fränkischen Bevölkerung dahinrafft, indes die Türken und die Rajahs zu tausenden sterben. In diesem Brief ist so viel von der Pest die Rede gewesen, dass ich denke, man wird ihn an der Grenze ganz besonders durchräuchern müssen." (Kapitel 26)

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