Aufbruch
Der Erzähler erfährt von einem 8-jährigen Jungen mit Hirntumor, der nur noch kurze Zeit zu leben hat. Plötzlich steht der im Zimmer und sagt: "Mir ist langweilig!"
Er legt sich mit dem Jungen zusammen in sein Bett und bietet ihm als Ersatz für das Leben, das er nicht mehr wird leben können, Phantasiereisen an.
»Komm, wir reisen«, sagte ich.
»Wohin?«
»Wohin du willst.«
»Wirklich?«
»So wirklich, wie es geht.«
Diese Einschränkung musste sein, denn plötzlich fand ich mich an der Stelle aller von Phobien, Idiosynkrasien, Zwangsvorstellungen und Marotten geplagten Stubenhocker und stellte mir deren Grundfrage: Wie ist unter der Voraussetzung des Reisens ein Zuhausebleiben möglich? Also erzählte ich Tom von dem Dänen Sören Kierkegaard, der mit dem Vater im Wohnzimmer die Sonntagsmittagsspaziergänge nachstellte, die sie in der Stadt hätten wirklich machen können. Sie grüßten die Bürger rechts und links, dachten sich kleine Konversationen aus, staunten vor einem neuen Gebäude.
Ich erzählte Tom von Xavier de Maistre, einem französischen General, der 1790 wegen eines Duells zum Stubenarrest verurteilt worden war, weshalb er nicht mehr wie früher schon einmal mit der Montgolfiere entkommen konnte.
»Was ist eine Montgolfiere?«
»In Freiheit hätte er einen Ballon bestiegen und wäre auf und davon gewesen. So ist er stattdessen durch sein Zimmer gereist und hat die Abenteuer, die er da erlebte, aufgeschrieben, die Überquerung des Teppichs, die Besteigung des Sofas. Und nach ihm haben sich dann immer mehr Leute auf Reisen begeben durch ihr Zimmer, ihre Handtasche, ihr Haus oder ihr Zelt.«
»Das ist gut«, sagte Tom. »Ich möchte auch reisen.«
»Und das wäre dann wohin?«
»Ans Ende der Welt!«
»Das Ende der Welt ist eine Erfindung«, sagte ich. »Sie hat kein Ende.«
»Das will ich nicht.«
»Du kannst ja immer noch für dich allein entscheiden, wo deine Welt endet, also, wo sie dir so vorkommt.«
Ich malte ihm Landschaften ohne Schauseite aus, solche, in denen nichts beginnt und die sich vom Betrachter regelrecht abwenden, so dass man wie auf der Rückseite einer Stickerei die Fäden heraushängen sieht. [...] Eigentlich meinte ich Landschaften, die wie die Zimmerdecke waren, Toms
Ende der Welt. Doch kein Wort darüber. Stattdessen erzählte ich ihm von den Spuren im Schnee, der Stelle, wo alle Schritte innehalten und man auf die unberührte, von keinem Fuß getretene Erde sieht, abgestoßen vom ...
Aber da war er schon eingeschlafen. (S.16-19)
Der Junge hat sich nicht auf ein Ende seiner Welt eingelassen. Der Erzähler ist wie aus seiner Welt gefallen. Seine Freundin, die Krankenschwester, über die er den Jungen kennengelernt hat, "saß immer noch da in ihrem Schwestern-Habit und blickte geradeaus in eine wartende Partie Patiencen." (S.19)
Rezensionen bei Perlentaucher
Gibraltar
Der Erzähler erfährt von einem 8-jährigen Jungen mit Hirntumor, der nur noch kurze Zeit zu leben hat. Plötzlich steht der im Zimmer und sagt: "Mir ist langweilig!"
Er legt sich mit dem Jungen zusammen in sein Bett und bietet ihm als Ersatz für das Leben, das er nicht mehr wird leben können, Phantasiereisen an.
»Komm, wir reisen«, sagte ich.
»Wohin?«
»Wohin du willst.«
»Wirklich?«
»So wirklich, wie es geht.«
Diese Einschränkung musste sein, denn plötzlich fand ich mich an der Stelle aller von Phobien, Idiosynkrasien, Zwangsvorstellungen und Marotten geplagten Stubenhocker und stellte mir deren Grundfrage: Wie ist unter der Voraussetzung des Reisens ein Zuhausebleiben möglich? Also erzählte ich Tom von dem Dänen Sören Kierkegaard, der mit dem Vater im Wohnzimmer die Sonntagsmittagsspaziergänge nachstellte, die sie in der Stadt hätten wirklich machen können. Sie grüßten die Bürger rechts und links, dachten sich kleine Konversationen aus, staunten vor einem neuen Gebäude.
Ich erzählte Tom von Xavier de Maistre, einem französischen General, der 1790 wegen eines Duells zum Stubenarrest verurteilt worden war, weshalb er nicht mehr wie früher schon einmal mit der Montgolfiere entkommen konnte.
»Was ist eine Montgolfiere?«
»In Freiheit hätte er einen Ballon bestiegen und wäre auf und davon gewesen. So ist er stattdessen durch sein Zimmer gereist und hat die Abenteuer, die er da erlebte, aufgeschrieben, die Überquerung des Teppichs, die Besteigung des Sofas. Und nach ihm haben sich dann immer mehr Leute auf Reisen begeben durch ihr Zimmer, ihre Handtasche, ihr Haus oder ihr Zelt.«
»Das ist gut«, sagte Tom. »Ich möchte auch reisen.«
»Und das wäre dann wohin?«
»Ans Ende der Welt!«
»Das Ende der Welt ist eine Erfindung«, sagte ich. »Sie hat kein Ende.«
»Das will ich nicht.«
»Du kannst ja immer noch für dich allein entscheiden, wo deine Welt endet, also, wo sie dir so vorkommt.«
Ich malte ihm Landschaften ohne Schauseite aus, solche, in denen nichts beginnt und die sich vom Betrachter regelrecht abwenden, so dass man wie auf der Rückseite einer Stickerei die Fäden heraushängen sieht. [...] Eigentlich meinte ich Landschaften, die wie die Zimmerdecke waren, Toms
Ende der Welt. Doch kein Wort darüber. Stattdessen erzählte ich ihm von den Spuren im Schnee, der Stelle, wo alle Schritte innehalten und man auf die unberührte, von keinem Fuß getretene Erde sieht, abgestoßen vom ...
Aber da war er schon eingeschlafen. (S.16-19)
Der Junge hat sich nicht auf ein Ende seiner Welt eingelassen. Der Erzähler ist wie aus seiner Welt gefallen. Seine Freundin, die Krankenschwester, über die er den Jungen kennengelernt hat, "saß immer noch da in ihrem Schwestern-Habit und blickte geradeaus in eine wartende Partie Patiencen." (S.19)
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