24 Juni 2018

Moltke: Unter dem Halbmond - Reise auf dem Tigris und mit einer Karawane

Dschesireh am Tigris, den 1. Mai 1838
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Reise auf dem Tigris
Man kann nicht bequemer reisen, als wir es taten: Auf weiche Polster hingestreckt, mit Lebensmitteln, Wein, Tee und einem Kohlenbecken versehen, glitten wir schnell und ohne Anstrengung mit der Schnelligkeit einer Extrapost vorwärts. Aber das Element, welches uns beförderte, verfolgte uns in anderer Gestalt; der Regen strömte seit unserer Abreise von Diarbekir unaufhörlich vom Himmel, unsere Schirme schützten uns nicht mehr und Kleider, Mäntel und Teppiche waren durchweicht. Am Osterfeiertag, als wir Dschesireh verließen, war die Sonne hervorgebrochen und durchwärmte unsere erstarrten Glieder; nun liegen aber eine halbe Stunde unterhalb der Stadt die Trümmer einer zweiten Brücke über den Tigris und ein Pfeiler derselben verursacht bei hohem Wasserstand einen gewaltigen Strudel; alle Anstrengung der Ruderer half nichts, unwiderstehlich zog diese Charybdis unsere kleine Arche an sich, wie ein Pfeil schoss sie in den tiefen Schlund hinab und eine hohe Welle ging über unsere Köpfe hinweg. Das Wasser war eisig kalt, und als das Fahrzeug im nächsten Augenblick, ohne umzuschlagen, schon harmlos weitertanzte, konnten wir das Lachen über die trübselige Gestalt nicht zurückhalten, die jeder von uns zur Schau trug. Das Kohlenbecken war über Bord gegangen, ein Stiefel schwamm neben uns her, und jeder fischte noch eine Kleinigkeit im Strom. Wir landeten auf einem Eiland und da unsere Mantelsäcke ebenso durchnässe waren wie wir selbst, so blieb nichts übrig, als uns auszuziehen und die gesamte Toilette, so gut es gehen wollte, an der Sonne zu trocknen. In geringer Entfernung, auf einer anderen Sandbank, saß ein Schwarm Pelikane, die, als wollten sie uns verhöhnen, ebenfalls ihr weißes Gewand sonnten; plötzlich merkten wir, dass unser Floß sich losgemacht und auf und davon schwamm, der eine Aga stürzte sich sogleich ins Wasser und erreichte es noch glücklich, sonst wären wir im Naturzustand auf der wüsten Insel zurückgeblieben. Nachdem wir uns notdürftig getrocknet hatten, setzten wir unsere Reise fort, aber neue Regengüsse machten die Arbeit unnütz; die Nacht war so finster, dass wir aus Besorgnis, in neue Strudel zu geraten, anlegen mussten. Trotz der empfindlichsten Kälte und durchnässt bis auf die Haut, wagten wir nicht, ein Feuer anzuzünden, weil wir sonst die Araber herbeigelockt hätten; wir zogen unser Floß in aller Stille unter einen Weidenbaum und warteten sehnsüchtig, dass die Sonne hinter dem persischen Grenzgebirge emporsteigen möchte uns zu erwärmen. [...]
An den Trümmern des sogenannten alten Mossul schifften wir vorüber und entdeckten gegen Abend die Minaretts von Mossul; dies ist der östlichste Punkt, den ich erreicht habe, und meine türkischen Begleiter mussten, als sie ihr Abendgebet verrichteten, sich gegen Westen wenden. Mossul ist die große Zwischenstation der Karawanen auf dem Weg von Bagdad nach Aleppo; eine Oase mitten in der Wüste, muss die Stadt stets auf ihrer Hut gegen die Araber sein; die Mauern, welche sie rings umschließen, sind schwach, aber hoch und genügen vollkommen gegen die unregelmäßigen Reiterhaufen der Beduinen; das Tor Bab-el-ämadi, das in den Kreuzzügen schon erwähnt wird, steht noch heute, ist aber zugemauert; die Wohnungen sind meist aus Luftziegeln und einer Art Kalk erbaut, der in wenigen Augenblicken erhärtet. Nach altmorgenländischer Sitte legt man hier einen hohen Wert auf die Schönheit und Größe des Tors (Bab), bei jeder Wohnung siehst du gewölbte Portale aus Marmor (der dicht vor der Stadt gebrochen wird) vor Häusern und Lehmhütten, die mit ihrem Dach kaum bis an die Spitze des Bogens reichen. [...]

Die Araber 
Kein Volk vielleicht hat Charakter, Sitte, Gebräuche und Sprache so unverändert durch Jahrtausende und durch die allerverschiedensten Weltverhältnisse bewahrt wie die Araber. Als unstete Hirten und Jäger streiften sie in wenig gekannten Einöden umher, während Ägypten und Assyrien, Griechenland und Persien, Rom und Byzanz entstanden und verfielen. Aber durch einen Gedanken begeistert schwangen sich eben diese Hirten plötzlich empor und machten sich auf lange Zeit zu Beherrschern des schönsten Teils der alten Welt und zu Trägern der dama 154ligen Gesittung und Wissenschaft. Hundert Jahre nach dem Tod des Propheten geboten seine ersten Anhänger, die Sarazenen, vom Himalaja bis zu den Pyrenäen, vom Indus bis zum Atlantischen Meer. Aber das Christentum, die höhere geistige und materielle Vervollkommnung, welche es hervorrief, und die Unduldsamkeit selbst, die seine erhabene Moral hätte ausschließen sollen, trieben die Araber aus Europa; die rohe Gewalt der Türken verdrängte ihre Herrschaft im Orient und die Kinder Ismaels sahen sich zum zweiten Mal hinausgewiesen in die Wüste.  [...]
Während fünf Tagen durchzogen wir die Wüste des nördlichen Mesopotamien, ohne irgendeine menschliche Wohnung zu erblicken. Du musst dir diese Wüste nicht als eine Sandscholle, sondern wie eine unabsehbare grüne Fläche denken, welche nur hin und wieder sanfte Terrainwellen zeigt; die Araber nennen sie »Bahr«, das Meer, und die Karawanen steuern in schnurgerader Linie vorwärts, indem sie sich nach künstlichen Hügeln richten, welche wie große Hünengräber sich über die Fläche erheben. Diese Hügel zeigen an, dass hier früher ein Dorf stand und folglich ein Brunnen oder eine Quelle sich befinde; aber die Hügel liegen oft sechs, zehn bis zwölf Stunden auseinander, die Dörfer sind verschwunden, die Brunnen trocken und die Bäche bittersalzig. Noch einige Wochen später, und diese grüne Ebene, welche jetzt ein reichlicher Tau nährt, ist nichts als eine von der Sonne versengte Einöde; das üppige Gras, das uns jetzt bis an die Steigbügel reicht, ist dann verdorrt und jedes Wasser versiegt. Dann kann man nur auf einem weiten Umweg dem Ufer des Tigris in der Nähe folgen; nur die Schiffe der Wüste, die Kamele, durchschneiden dann noch die Fläche.

Karawane
Sobald die Karawane das Nachtquartier erreicht, sprengt der Kjerwan-Baschi voraus und bezeichnet die Stelle des Lagers. Je nachdem sie ankommen, werden die Lasttiere abgeladen und die großen Säcke zu einer Art Burg oder Schanze in ein Viereck gestellt, innerhalb dessen jeder sein Lager bereitet. Unser Zelt, das einzige der Karawane, stand außerhalb und wurde mit einer besonderen Wache vom Baschi-Bosuks versehen. Die Kamele und Maulesel werden nun ganz frei in das hohe Gras getrieben und suchen sich das Wasser selbst auf, die Pferde aber stehen gefesselt an den Füßen: Ein Strick aus Ziegenhaar vereint mittels zweier wattierter Schleifen den rechten Vorder- und Hinterfuß und wird rückwärts mittels eines Pflocks an der Erde befestigt. Sobald aber die Dämmerung eintritt, werden die Kamele, die sich oft eine halbe Stunde weit zerstreuen, versammelt. Die Führer rufen ihnen mit lauter Stimme zu, jedes kennt das »Poah! Poah!« seines Herrn und kommt folgsam herbei. Innerhalb des Vierecks werden sie aufgestellt; der kleinste Knabe regiert das große, kräftige, aber durchaus harmlose und wehrlose Geschöpf; er ruft: »Krr! Krr!«, und die gewaltigen Tiere werfen sich geduldig auf die Vorderknie, dann falten sie die langen Hinterbeine, und nach allerlei seltsamen schaukelnden Bewegungen liegen sie in Reihen, eins neben dem anderen, am Boden, den langen Hals rings umher bewegend und sich umsehend. Mir ist immer die Ähnlichkeit des Kamelhalses mit dem des Straußes aufgefallen und die Türken nennen diesen Deve-Kusch, »Kamel-Vogel«. Eine dünne Schnur wird dem liegenden Kamel um das gebogene Knie gebunden; wenn es sich erhebt, muss es auf drei Beinen stehen und kann nicht fort. Wenn am Morgen das Tier beladen werden soll, so legt es sich schnarrend und mit kläglichem Gestöhn und Seufzern nieder, um seine Last aufzunehmen, und setzt die Wanderung fort. [...] (Kapitel 42)

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