18 Januar 2021

Selbstzeugnisse Thomas Manns

 Aus seinem "Lebensabriß" von 1930, ein Jahr nach Empfang des Nobelpreises:

Das Buddenbrooks Haus war das Haus seiner Großmutter, das Stadthaus war größer. Das Buddenbrooks Haus war vorher verkauft worden, das Stadthaus erst nach der Liquidation der Firma. Schon bald danach zog Julia Mann mit den Kindern nach München. Thomas, nachdem er die mittlere Reife erreicht hatte, trat  "als Volontär in das Büro einer Feuerversicherungsgesellschaft ein, deren Direktor früher ein derartiges Geschäft in Lübeck geleitet hatte und mit meinem Vater befreundet gewesen war. [...] schrieb zugleich heimlich an meinem Schreibpult meine erste Erzählung, eine Liebesnovelle mit dem Titel "Gefallen", die mir den ersten literarischen Erfolg brachte.[...] sie trug mir auch einen warmherzigen und ermutigenden Brief Richard Dehmels ein, ja wenig später sogar den Besuch des bewunderten Dichters, dessen enthusiastische Menschlichkeit in meinem schreiend-unreifen, aber vielleicht nicht unmelodiösen Produkt Spuren von Begabung erfühlt hatte und seitdem meinen Weg bis zu seinem Tode mit Sympathie, Freundschaft und ehrenvollen Prophezeiungen begleitet hat. (S.222)

Nach einem Jahr bricht er die Bürotätigkeit ab und erklärt, Journalist werden zu wollen und hört Vorlesungen.

"Besonders fesselte mich ein Kolleg über 'Höfische Epik', das der Dichter und Übersetzer aus dem Mittelhochdeutschen Wilhelm Hertz damals am Polytechnikum las.

Als Student lebend, ohne es rite zu sein, machte ich in der akademischen Lesehalle die Bekanntschaft von Angehörigen des 'Akademisch-dramatischen Vereins'  [...]  das Hauptereignis meiner Zugehörigkeit bildete die deutsche Uraufführung von Ibsens 'Wildente', die der Verein unter der Leitung von Wolzogens herausbrachte und unter dem Protest eines konservativen Publikums zum literarischen Erfolg führte. [...] Thomas Mann spielte  "in Wolzogen's Pelz und Brille, den Großhändler Werle. Bei späteren Begegnungen erklärte der Autor des Lumpengesindels wohl scherzend, er habe mich 'entdeckt'.
Mein vier Jahre älterer Bruder Heinrich, der spätere Verfasser bedeutendster und einflussreichster Romandichtungen, lebte damals, abwartend wie ich, in Rom und schlug mir vor, zu ihm zu stoßen. Ich reiste und wir verlebten, was wenige Deutsche tun, einen langen, glutheißen italienischen Sommer zusammen in einem kleinen Landstädtchen der Sabiner Berge, Palestrina, dem Geburtsort des großen Musikers. Den Winter, mit seinem Wechsel von schneidenden Tramontana- und schwülen Sciroccotagen, verbrachten wir in der 'ewigen' Stadt [...] Wir betrachteten Rom als Berge unserer Unregelmäßigkeit, und wenigstens ich lebte dort nicht um des Südens willen, den ich im Grunde nicht liebte, sondern einfach, weil zu Hause noch kein Platz für mich war. [...] 

Mit Vorliebe besuchte ich San Pietro, wenn der Kardinal-Staatssekretär Rampolla in pompöser Demut die Messe las. Er war eine außerordentlich dekorative Persönlichkeit, und aus Schönheitsgründen bedauerte ich es, dass eine Erhebung zum Papst diplomatisch verhindert wurde. [...] 

Meine Lebensstimmung setzte  sich aus Indolenz, schlechtem bürgerlichen Gewissen und dem sicheren Gefühl latenter Fähigkeiten zusammen. Ein Brief Ludwig Jakubowski's, der damals in Leipzig die 'Gesellschaft' redigierte und dem ich eine Novelle geschickt hatte, begann mit dem Ausruf: 'Was sind Sie für ein begabter Mensch!' Ich lachte über seinen Erstaunen, das ich sonderbarerweise als naiv empfand. [...]" (S.223/25)

"Noch größeren Anklang fand bei Langen und den Seinen die sehr subjektive Schillerstudie 'Schwere Stunde', die ich zum 100. Todestag des Dichters für den Simplicissimus schrieb. [...] neben meiner redaktionellen Tätigkeit, für die man mir luxuriöser Weise ein eigenes Zimmer mit prächtigen Schreibtisch eingeräumt hatte, lief die Förderung des persönlichen Hauptgeschäftes, die Arbeit an den Buddenbrooks her, [...] bei meiner Mutter, vor Geschwistern und Hausfreunden, las ich zuweilen aus der Handschrift vor. Das war eine Familienunterhaltung wie eine andere, man lachte, und wenn wir recht ist, war die allgemeine Auffassung die, es handle sich bei meinen weitläufigen weitläufig eigensinnigen Unternehmen um ein Privatvergnügen von geringen Weltaussichten und bestenfalls um eine ausgediente künstlerische Fingerübung. Ich wüsste kaum zu sagen ob ich anderer Meinung war. "(S.226/27)
"Ich war in jenen Jahren ein so leidenschaftlicher Radfahrer, dass ich fast keinen Schritt zu Fuß ging und selbst bei strömendem Regen, in Gummischuhen und Lodenpelerine, all meine Wege auf dem Vehikel zurücklegte. Auf der Schulter trug ich es die drei Treppen hinauf in meine Wohnung, wo es in der Küche seinen Platz halte. Vormittags, nach der Arbeit, pflegte ich es zu putzen, indem ich es auf den Sattel stellte. [...]
Sympathische Beziehungen verbanden mich mit Kurt Martens, dem Romancier und Novellisten, der dieser Freundschaft, zu der er die Initiative ergriffen hatte, in seinen Lebenserinnerungen lebhaft gedenkt. Er gehörte zu den wenigen an den Fingern einer Hand abzuzählenden Menschen, mit denen ich im Laufe meines Lebens auf den Duzfuß kam." (S.227)

(Fischer Bücherei: Das essayistische Werk MK 119)


An Lion Feuchtwanger schrieb Thomas Mann am 27.12.1950:

"Ich sage immer, daß, was nach dem Faustus noch kommt, nur Nachspiel und Zeitvertreib ist. Aber manchmal geht es mir auf, dass alles, was nach Buddenbrooks kam, im Grunde nur Nachspiel und anständiger Zeitvertreib war."

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