17 Januar 2021

Goethe: Torquato Tasso

Torquato Tasso in der Wikipedia 

Auch wenn die Prosafassung (von 1780-81) nicht erhalten ist, spricht manches dafür, dass er sich darin die Liebe, die eine begehrenswerte Frau für einen Dichter empfindet, ausgemalt und dabei an Charlotte von Stein (die er 1775 kennenlernte) und sich gedacht hat: 

PRINZESSIN.

Und werd ihn bald verlieren.

Der Augenblick, da ich zuerst ihn sah,

War viel bedeutend. Kaum erholt ich mich

Von manchen Leiden; Schmerz und Krankheit waren

Kaum erst gewichen. Still bescheiden blickt ich

Ins Leben wieder, freute mich des Tags

Und der Geschwister wieder, sog beherzt

Der süßen Hoffnung reinsten Balsam ein.

Ich wagt es vorwärts in das Leben weiter

Hinein zu sehn, und freundliche Gestalten[122]

Begegneten mir aus der Ferne. Da,

Eleonore, stellte mir den Jüngling

Die Schwester vor; er kam an ihrer Hand,

Und daß ich dir's gestehe, da ergriff

Ihn mein Gemüt und wird ihn ewig halten.

LEONORE.

O meine Fürstin, laß dich's nicht gereuen!

Das Edle zu erkennen, ist Gewinst,

Der nimmer uns entrissen werden kann.

PRINZESSIN.

Zu fürchten ist das Schöne, das Fürtreffliche,

Wie eine Flamme, die so herrlich nützt,

So lange sie auf deinem Herde brennt,

So lang sie dir von einer Fackel leuchtet,

Wie hold! wer mag, wer kann sie da entbehren?

Und frißt sie ungehütet um sich her,

Wie elend kann sie machen! Laß mich nun.

Ich bin geschwätzig und verbärge besser

Auch selbst vor dir, wie schwach ich bin und krank.

LEONORE.

Die Krankheit des Gemütes löset sich

In Klagen und Vertraun am leichtsten auf.

PRINZESSIN.

Wenn das Vertrauen heilt, so heil ich bald;

Ich hab es rein und hab es ganz zu dir.

Ach, meine Freundin! Zwar ich bin entschlossen,

Er scheide nur; allein ich fühle schon

Den langen ausgedehnten Schmerz der Tage, wenn

Ich nun entbehren soll was mich erfreute.

Die Sonne hebt von meinen Augenlidern

Nicht mehr sein schön verklärtes Traumbild auf;

Die Hoffnung ihn zu sehen füllt nicht mehr

Den kaum erwachten Geist mit froher Sehnsucht;

Mein erster Blick hinab in unsre Gärten

Sucht ihn vergebens in dem Tau der Schatten.

Wie schön befriedigt fühlte sich der Wunsch

Mit ihm zu sein an jedem heitern Abend!

Wie mehrte sich im Umgang das Verlangen

Sich mehr zu kennen, mehr sich zu verstehn,

Und täglich stimmte das Gemüt sich schöner

Zu immer reinern Harmonien auf.

Welch eine Dämmrung fällt nun vor mir ein!

Der Sonne Pracht, das fröhliche Gefühl[123]

Des hohen Tags, der tausendfachen Welt

Glanzreiche Gegenwart, ist öd und tief

Im Nebel eingehüllt, der mich umgibt.

Sonst war mir jeder Tag ein ganzes Leben;

Die Sorge schwieg, die Ahndung selbst verstummte,

Und glücklich eingeschifft trug uns der Strom

Auf leichten Wellen ohne Ruder hin:

Nun überfällt in trüber Gegenwart

Der Zukunft Schrecken heimlich meine Brust.

LEONORE.

Die Zukunft gibt dir deine Freunde wieder,

Und bringt dir neue Freude, neues Glück.

PRINZESSIN.

Was ich besitze, mag ich gern bewahren:

Der Wechsel unterhält, doch nutzt er kaum.

Mit jugendlicher Sehnsucht griff ich nie

Begierig in den Lostopf fremder Welt,

Für mein bedürfend unerfahren Herz

Zufällig einen Gegenstand zu haschen.

Ihn mußt ich ehren, darum liebt ich ihn;

Ich mußt ihn lieben, weil mit ihm mein Leben

Zum Leben ward, wie ich es nie gekannt.

Erst sagt ich mir, entferne dich von ihm!

Ich wich und wich und kam nur immer näher.

So lieblich angelockt, so hart bestraft!

Ein reines wahres Gut verschwindet mir,

Und meiner Sehnsucht schiebt ein böser Geist

Statt Freud und Glück verwandte Schmerzen unter.

LEONORE.

Wenn einer Freundin Wort nicht trösten kann,

So wird die stille Kraft der schönen Welt,

Der guten Zeit dich unvermerkt erquicken.

PRINZESSIN.

Wohl ist sie schön die Welt! in ihrer Weite

Bewegt sich so viel Gutes hin und her.

Ach daß es immer nur um einen Schritt

Von uns sich zu entfernen scheint,

Und unsre bange Sehnsucht durch das Leben

Auch Schritt vor Schritt bis nach dem Grabe lockt!

So selten ist es, daß die Menschen finden,

Was ihnen doch bestimmt gewesen schien,

So selten, daß sie das erhalten, was

Auch einmal die beglückte Hand ergriff![124]

Es reißt sich los, was erst sich uns ergab,

Wir lassen los, was wir begierig faßten.

Es gibt ein Glück, allein wir kennen's nicht:

Wir kennen's wohl, und wissen's nicht zu schätzen.


(Goethe:Tasso III,2, Z.1823-1913 zeno.org S.121-124)

Freilich, Goethe hat die Umgestaltung seines Werks in Blankverse (ebenso wie bei der Iphigenie) von 1786-89 mit dem 3.Aufzug begonnen, aus dem die vorliegende Passage stammt. Derselbe Inhalt kann also kaum schon in den beiden ersten Aufzügen vorhanden, sondern allenfalls angedeutet worden sein (vgl. II,2 der Versfassung).

Das neue an der Versfassung war wohl nicht nur Goethes Verarbeitung seiner Stellung zum Weimarer Hof und den Höflingen, sondern auch die innere Rechtfertigung seiner Flucht vor der Geliebten Charlotte von Stein nach Italien.

Die Handlung des Tasso und die Auseinandersetzung zwischen Tasso und Antonio war mir geläufig, die oben zitierte Liebeserklärung der Prinzessin hatte ich nicht mehr in Erinnerung, als ich den Tasso heute wieder las.

Was mir an der Wiedergabe der Handlung (und damit der Interpretation) in der Wikipedia nicht gefällt, habe ich hier festgehalten. 

Meine Mutter hat mit 18 Jahren in ihr Tagebuch geschrieben: "Ach, ich bin Tasso, so unsicher." Ich mit 17 1/2: "Mir geht es wie Thomas Buddenbrook." Und irgendwann in dieser Zeit: Man müsste so problemlos sein wie Schiller. - Welche Namen da genannt werden, wechselt mit der Zeit. Es ist Ausdruck dessen, dass man die Erwachsenen als so selbstsicher erlebt. Doch über Goethes Tasso sagt es durchaus, dass das Verhältnis Jugend - Alter dabei eine größere Rolle spielt als bei den Interpretationen, die auf einen Wahnsinn des historischen Tasso abstellen.

Zitate:

Tasso: Und jedes Thier durch Berg und Thäler schweifend Zum Menschen sprach: erlaubt ist was gefällt. 

Prinzessinn. Mein Freund, die goldne Zeit ist wohl vorbey: Allein die Guten bringen sie zurück; Und soll ich dir gestehen wie ich denke, Die goldne Zeit, womit der Dichter uns Zu schmeicheln pflegt, die schöne Zeit, sie war, So scheint es mir, so wenig als sie ist, Und war sie je, so war sie nur gewiß, Wie sie uns immer wieder werden kann. Noch treffen sich verwandte Herzen an Und theilen den Genuß der schönen Welt; Nur in dem Wahlspruch ändert sich, mein Freund, Ein einzig Wort: erlaubt ist was sich ziemt.

Prinzessinn. Willst du genau erfahren was sich ziemt; So frage nur bey edlen Frauen an. Denn ihnen ist am meisten dran gelegen, Daß alles wohl sich zieme was geschieht.

Tasso. O lehre mich das Mögliche zu thun! Gewidmet sind dir alle meine Tage. Wenn dich zu preisen, dir zu danken sich Mein Herz entfaltet, dann empfind' ich erst Das reinste Glück, das Menschen fühlen können. Das göttlichste erfuhr ich nur in dir. [...]

Ja, Fürstinn, deinen Worten, deinen Blicken Sey ewig meine Seele ganz geweiht! Ja, fordre was du willst, denn ich bin dein! [...]

Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, Gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide.

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