26 Februar 2012

Jean Paul: Titan

Der Zugang zu Jean Pauls Werk ist für die Mehrheit der heutigen Leser vermutlich nicht leicht.
Deshalb habe ich zunächst mit kleinen Häppchen begonnen und werde auf einige Zeit so fortfahren. Jeder, der den Zugang gefunden hat, wird von selbst merken, wann ihm die Häppchenwirtschaft nicht mehr genug ist, und an die Werke selbst gehen.
Der Titan ist unter Jean Pauls Werken eins der übersichtlicheren und relativ wenig von Abschweifungen geprägt, auch wenn der Jean Paul ungewohnte Leser das bei einzelnen Passagen vielleicht nicht so recht glauben mag.

Dass ich erst so spät damit rausrücke, was meines Erachtens vom Titan zu halten sei, habe ich übrigens von Jean Paul übernommen, der erst am Ende der ersten Jobelperiode in der 9. Zykel sein "Antrittsprogramm des Titans" vorlegt. Dort heißt es u.a.:
Die erste Namenerklärung, welche die Jobelperiode angeht, treff' ich schon bei dem Stifter der Periode, dem Superintendent Franke, an, der sie für eine von ihm erfundne Ära oder Zeitsumme von 152 Zykeln erklärt, deren jeder seine guten 49 tropischen Mondsonnenjahre in sich hält. Das Wort Jobel setzt der Superintendent voran, weil in jedem siebenten Jahre ein kleines, und in jedem siebenmal 7ten oder 49sten ein großes Jobel-, Schalt-, Erlaß-, Sabbats-oder Hall-Jahr anbrach, wo man ohne Schulden, ohne Säen und Arbeiten und ohne Knechtschaft lebte. Glücklich genug wend' ich, wie es scheint, diesen Jobelnamen auf meine historischen Kapitel an, welche den Geschäftsmann und die Geschäftsfrau in einem sanften Zykel voll Frei-, Sabbats-, Erlaß-, Hall- und Jobelstunden herumführen, worin beide nicht zu säen und zu bezahlen, sondern nur zu ernten und zu ruhen brauchen; [...]
Aber unter dem Komponieren der Geschichte muß ein Autor auch darauf auslaufen, daß sie nicht nur keine wahre Personen treffe und verrate, sondern auch keine falsche und gar niemand. Eh' ich z.B. für einen schlimmen Fürsten einen Namen wähle, seh' ich das genealogische Verzeichnis aller regierenden und regierten Häupter durch, um keinen Namen zu brauchen, den schon einer führt; so werden in Otaheiti sogar die Wörter, die dem Namen des Königs ähnlich klingen, nach seiner Krönung ausgerottet und durch andere vergütet. Da ich sonst gar keine jetzt lebende Höfe kannte: so war ich nicht imstande, in den Schlacht- und Nachtstücken, die ich von den Kabalen, dem Egoismus und der Libertinage biographischer Höfe malte, es so zu treffen, daß Ähnlichkeiten mit wirklichen geschickt vermieden wurden; ja für einen solchen Idioten wie mich war es sogar ein schlechter Behelf, oft den Machiavell vor sich hinzulegen, um mit Zuziehung der französischen Geschichte durch das Malen nach beiden den Anwendungen wenigstens auf Länder zu wehren, in denen nie ein Franzos oder ein Welscher den Einfluß gehabt, den man sonst beiden auf andere deutsche beimisset; so wie Herder gegen die Naturforscher, welche gewisse mißgestaltete Völker aus Paarungen mit Affen ableiten, die sehr gute Bemerkung macht, daß die meisten Ähnlichkeiten mit Affen, der zurückgehende Schädel der Kalmucken, die abstehenden Ohren der Pevas, die schmalen Hände in Karolina, gerade in Ländern erscheinen, wo es gar keine Affen gibt. Wie gesagt, auffallende Unähnlichkeiten wollten mir nicht gelingen; jetzt hingegen ist jeder Hof, um welchen meine Legations-Flottille schifft, mir bekannt und also vor Ähnlichkeiten gedeckt, besonders jeder, den ich schildere, der flachsenfingische, der hohenfließische etc. Die Theatermaske, die ich in meinen Werken vorhabe, ist nicht die Maske des griechischen Komödianten, die nach dem Gesichte des verspotteten Individuums gebosselt war, sondern die Maske des Nero, die, wenn er [S.68] eine Göttin auf dem Theater machte, seiner Geliebten ähnlich sah, oder wenn er einen Gott spielte, ihm selber.
(Jean Paul: Titan, 1. Jobelperiode, 9.Zykel, S.67/68)

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