24 Februar 2012

Ritzen ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts

Jetzt ergriff ihn jenes Fieber der jungen Gesundheit, worin ihm allemal war, als schlage in jedem Gliede ein besonderes Herz – die Lunge und das Herz von Blute schwer und voll – der Atem ist heiß wie ein Harmattanwind – und das Auge trübe in seiner eignen Lohe – und die Glieder sind müde vor Kraft. In dieser Überfüllung der elektrischen Wolke hatt' er einen besonderen Trieb nach Zertrümmern. Er half sich jünger oft, daß er Felsenstücke an den Gipfel wälzte und niederrollen ließ; oder daß er im Galopp so lange lief, bis der Atem – länger wurde, oder am gewissesten dadurch, daß er sich (wie er von Kardan gehört hatte) mit einem Federmesser Schmerzen und sogar kleine Verblutungen erregte. – Selten gewinnen gewöhnliche, und noch seltener ungewöhnliche Menschen die volle, mit allen Zweigen blühende Jugend des Leibes und Geistes; aber desto prangender trägt dann eine Wurzel einen ganzen Blumengarten.  [...]
O war denn nun die Stelle nicht geheiligt und auf ihr seine überwältigende Sehnsucht nicht entschuldigt, die er heute so lange gehabt, die schöne Armwunde dem tobenden und quälenden Blute aufzumachen? Er ritzte sich, aber zufällig zu tief, und mit einem schönen kühlen Heben seines leichter atmenden Wesens sah er der roten Quelle seines Armes in der Abendsonne zu und wurde wie nach abgefallnen Bürden leichter – nüchtern – still – und weich. Er dachte an die verschwundne Mutter, deren Liebe nun ewig unvergolten blieb – ach er hätte dieses Blut gern für sie vergossen –; und nun quoll heißer als je in seiner Brust die Liebe für den kränklichen Vater auf: o komme bald, sagte sein Herz, ich will dich so unaussprechlich lieben, du lieber Vater!

Keine Kommentare: