In Ferdinand Gregorovius Wanderjahren in Italien haben mich besonders die Abschnitte zu Wallfahrten, zum Betteln aus Gefängnissen und zu den "tanzenden Türmen" interessiert.
"Kaum war ich in die wimmelnde Stadt eingetreten, als mich ein nie gesehener Anblick verwirrte. Rauschende Musik drang aus einer Seitenstraße, ein sonderbares Ungetüm kam dahergewandelt, dessen Erscheinung mich aus Campanien geradezu nach Indien versetzte. Ich sah einen hohen, grell mit Gold, Silber und Rot überkleideten Turm von Lastträgern herbeitragen; er war fünf Stockwerke hoch, aus Säulen aufgebaut, mit Frontispizen, Friesen, Nischen, Bogen, Figuren geschmückt, zu beiden Seiten mit bunten Fähnchen besteckt, mit Goldpapier, roten Decken und jeglichen Farben überzogen. Die Säulen metallglänzend rot, die Nischen goldgrundig mit den ausschweifendsten Arabesken verziert; die Figuren, Genien, Engel, Heilige, Ritter, in buntesten Kostümen; sie standen stockwerkweise übereinander, hielten Füllhörner in den Händen oder Blumenbüsche, Girlanden oder Fahnen, Alles rauschte, knitterte, flatterte in der Luft, da der Turm selber auf den Schultern von etwa dreißig Lastträgern hin und her schwankte. Es saßen in seinem untersten Stockwerk blumenbekränzte Mädchen, mitten inne ein Chor von Musikanten, mit Trompeten, Pauken, Triangeln, Zinken eine sinnverwirrende Musik erhebend.
So bewegte sich dieser Turm langsam weiter, über die Häuser der Straße wegragend und oben auf der Spitze einen sonnenstrahlenden Heiligen gen Himmel haltend; nun hörte ich auch von einer andern Seite her schallende Musik und sah über den Häusern weg hie und da noch einen, und wieder einen, und immer wieder mehrere solcher Wandeltürme hervorragen. «Mein Gott», fragte ich einen neben mir stehenden Mann, «was ist denn dieses?» Er antwortete mir in einer unverständlichen Sprache, von der ich nichts begriff als die Worte «guglia di San Paolino». «Ihr müßt wissen», bemerkte hierauf ein Neapolitaner, welcher sich zu mir wandte, «daß dies die Festobelisken für den Heiligen sind; denn als er aus der Barbarei nach Nola zurückkehrte, gingen ihm die Bürger dieser Stadt tanzend entgegen und trugen ebensolche Obelisken vor sich her. Da könnt Ihr auch die andern sehen, sie alle ziehen nach der Kathedrale, um zu tanzen.» [...]
Jedes Stockwerk hat korinthische Säulen, zwischen ihnen Nischen, darüber einen Fries. Man füllt die Nischen mit Gestalten aus; in die des untersten Stockwerks stellt man lebende Figuren: Mädchen oder Knaben, welche kurze Röcke und goldpapierene Helme tragen. In der mittleren Nische steht das Hauptbild: auf dem Obelisken der Landbauern oder Schnitter war es eine kolossale Judith in prachtvollem Gewande, das Haupt des Holofernes in der Hand erhebend; in andern Obelisken Heilige oder Schutzpatrone. Nun folgen über dem Mittelbilde und an den verschiedenartigsten Emblemen: Engel, welche Fahnen, andere, welche Harfen tragen, Genien mit Blumenkränzen und Füllhörnern. In der Mittelnische des obern Stockwerks steht ein Engel, der ein Weihrauchfaß schwingt; dann folgt die goldene Kuppel, die das Ganze krönt, oder eine lilienartige Ausschweifung, über der sich das oberste Heiligenbild abschließend erhebt. Auf dem Obelisken der Schnitter war dies der heilige Georg mit dem Malteserkreuz und einer weißen Fahne in der Hand. [...]
Die Obelisken zogen, ein jeder mit dem Musikchor im untersten Stockwerk, nach der Kathedrale. Die rauschenden Klänge, die bunte wogende Menschenmasse mit den zahllosen Fähnchen von Gold- und Silberpapier, die von Blumen und Mädchen lachenden Balkone der Häuser, die hereintaumelnden bizarren Türme, die flimmernde Sonnenglut des campanischen Himmels - dies war ein so sonderbares, grelles, schreiendes Schauspiel, daß es mich betäubte und mitten in das Heidentum zurückversetzte. Den Zug des Hauptobelisken eröffneten zwei sehr kleine, in deren Unterstock bekränzte Kinder saßen; dann folgte ein Schiff, worauf ein als Türke gekleideter Knabe saß, eine Granatblume in der Hand. Hinter diesem Schiff trug man ein großes Kriegsfahrzeug mit einem Stück Meer, das ihm als Fundament diente; die Galeere war auf das vollendetste ausgerüstet. Auf dem Bugspriet stand ein junger Mensch in maurischer Tracht, vergnüglich eine Zigarre rauchend, auf dem Steuerbord aber kniete vor einem Altar die Figur des heiligen Paulinus selber.
Sobald nun ein Obelisk vor dem Dom anlangte, begann das seltsamste Schauspiel; denn der ungeheure Turm begann zu schallender Musik zu tanzen. Vor den Trägern her schritt einer mit dem Stab, und indem er den Takt angab, bewegten sich jene im Rhythmus hin und her. Der Koloß schwankte, er schien fallen zu wollen; die Figuren bewegten sich, die Fahnen rauschten. Und so stellte sich jeder Obelisk tanzend vor dem Dome dar; dann und wann tanzte einer gegen den andern. Der Einzeltanz und Gegentanz währte etwa fünf Minuten. Hierauf blieb der Obelisk vor der Kathedrale stehen, und sobald er dort Posto gefaßt hatte, begann vor ihm ein Ringeltanz von Jünglingen und Männern. [...]
All dies heidnische Wesen vollzog sich vor dem Dom, während drinnen der Bischof von Nola in unerschütterter Seelenruhe die christliche Messe las, und die Gläubigen ungestört auf den Knien lagen."
Adelsfamilien in Schwäbisch Gmünd
vor 7 Stunden
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