Ich wollte nun meine Freunde in das Volkstheater auf die Piazza Navona führen aber ich höre die Stimme eines predigenden Kindes, und diese lockt mich in die alte schöne Basilika Ara Celi auf dem Kapitol. Dort predigen vormittags und nachmittags kleine Kinder, Buben und Mädchen, mehr als eine Woche lang bis zum Fest der Heiligen Drei Könige, an dem die Kinderpredigten endigen. Aus einem Marionettentheater ist es kein weiter Sprung zu einer Predigt kleiner Mädchen von sechs oder acht Jahren. Auch ist der Mittelpunkt dieser Schauspiele eine Puppe, eine mit Edelsteinen und flimmernder Krone reich gezierte, der heilige Bambino von Ara Celi.
In einer Kapelle dieser Kirche ist die Grotte zu Bethlehem und die Verehrung der drei Könige vom Morgenland auf das zierlichste dargestellt; es sind Wachsfiguren mit Staffagen von Schäferei und landwirtschaftlichem Zubehör. Die Jungfrau sitzt in der Grotte und hält auf ihrem Schoß den Bambino, welchem die Könige die Geschenke kniend darreichen. Draußen kniet am Pfeiler eine stattliche Figur im scharlachnen Mantel, mit türkischen Pantalons und einem Kopfbunde; anbetend hält sie die Arme zum Bambinello erhoben. Ihr gegenüber steht an dem andern Pfeiler ein großes und erhabenes Weib, welches dem knienden Halbtürken das Jesuskind zu zeigen scheint. Dieser Halbtürke ist kein anderer als der Kaiser Augustus, und das Weib ist die Sibylle. So hat man hier die Sage dargestellt, daß die Seherin dem Octavian in einer Vision das Jesuskind gezeigt habe, welches in die Welt gekommen sei, sie zu beherrschen. Sie ist eine der tiefsinnigsten Legenden des Christentums.
Der Grotte gegenüber steht auf der andern Seite des Kirchenschiffes ein Predigtpult, auf welches Kinder im Alter von sechs bis zu zehn Jahren steigen, eins nach dem andern, jedes etwa fünf Minuten lang predigend; und das geht etwa zwei Stunden vor einigen tausend Menschen so fort.
Ein kleiner hübscher Junge stieg zuerst auf das Pult, schlug ein Kreuz und fing mit Gebärden, wie Kinder handbewegend zu deklamieren pflegen, eine wohlgesetzte Predigt von dem in die Welt gekommenen Heil an. Sein Nachfolger, ein größerer Knabe im Chorhemd, verstand es noch besser. Er schrie mit komischem Pathos, donnerte seine Predigt gleich einem Kapuzinermönch herunter und gestikulierte gleich einem tragischen Schauspieler. Man sah ihm an, daß er ein angebotenes Talent zur Mimik besaß; kam in seiner Predigt das Wort Kopf vor, so faßte er nachdrucksvoll nach dem Kopfe, Auge, nach dem Auge, Ohr, nach dem Ohr. Als er einmal Harfenspiel sagte, machte er sofort mit beiden Händen die Griffe eines Harfenspielers. Diese kindliche Art, mit der Mimik die Dinge selbst in ihrer Leiblichkeit zu geben, fand den lebhaftesten Beifall bei allen Zuhörern, welche die Predigt teils andächtig aufnahmen, weil Kinder die Wahrheit sagen, teils sich an ihr vergnügten wie an einem Marionettenspiel.
Keines der Kinder war im mindesten verlegen, die meisten schienen stolz zu sein, daß sie vor Tausenden sprechen durften, und mit dem zunehmenden Sicherheitsgefühl nach überwundenem Anfang schwoll ihre Stimme immer höher und wurden ihre Gebärden immer theatralischer. Mancher Redner vor dem Parlament würde sich die Unbefangenheit eines solchen predigenden Kindes zu wünschen Ursache haben, und nur wenige möchten ein so großes, aus vielen Nationen zusammengesetztes Publikum vor sich sehen, als hier in Ara Celi sich zusammenfindet.
Auf die Knaben folgten Mädchen, zierliche kleine Fräulein mit Locken, im Federhütchen und im atlasnen Jäckchen. Sie machten einen Knix, schlugen ein Kreuz und begannen ihre Predigt. Es ist seltsam genug, zu hören, wenn ein so kleines Ding von der Sünde Adams spricht, die der Herr von uns genommen hat, von dem Glauben an das Heil und das Wort, welches Fleisch geworden ist durch Jesum Christum, und von dessen Opfertod, wodurch er die Menschheit gereinigt hat. Es ist nicht anders, als ob die Puppen auf der Montanara zu reden anfangen und die kleinen Marionettenpaladine mit dem ernstesten Pathos ungeheure Dinge sagen, zur Ehre Christi gegen die Mohren das Schwert ziehen und die gesamte Heidenschaft herausfordern, oder als ob die Marionettendämchen in Federhut und Mäntelchen in die herzbewegendsten Deklamationen ausbrechen und bei den Sternen ewige Liebe schwören.
Betrachtet man diese predigende Kinderwelt, so möchte man glauben, daß auch ihre Predigten und die Dinge, welche sie darin sagen, rnarionettenhaft sein müssen, und daß es sich hier um einen ganz kleinen Puppenkultus und kleine Gefühle handelt, die der Zuhörer mit dem Mikroskop besehen muß. Aber dem ist keineswegs so; es sind vielmehr sehr gewichtige Predigten im großen Stil, und keiner fehlt der grundgelehrte Anstrich der Zitate. Und so hört man fast ein jedes Mädchen, unter denen auch Kinder von sechs Jahren predigen, einzelne Glaubenswahrheiten durch Anführung von Kirchenvätern bekräftigen und sagen: So sagt der heilige Paulus, così dice San Bernardo, dice Sant'Agostino, und so sagt der heilige Tertullian.
Ich glaube, irgendwo steht geschrieben: «Wenn die Propheten schweigen, werden die Kinder reden, und wenn die Kinder schweigen, werden die Steine sagen: Amen!» Geschahen doch selbst Wunder in Bremen, wo die Tische anfingen zu wandeln. Aber der ernste und wahrhaft religiöse Mensch wendet sich mit Erstaunen von diesem Kinderkultus in Ara Celi und überdenkt die Metamorphosen des Christentums. Was würden Paulus und Petrus sagen, träten sie in jene Kirche und sähen sie, was aus ihrer Predigt geworden ist!
Die Kinder nun, die das Jesuskind im Schoß der Maria wie ein Püppchen anlächelten, knieten am Schluß ihrer Predigt nieder und richteten ein Gebet an den Bambinello. Ein kleines Mädchen betete also: «Allerliebstes kleines Knäblein, schlag doch deine kleinen Augen auf und wirf auf uns Sünder einen Blick der Gnade.»
(Gregorovius: Wanderjahre in Italien - Römische Figuren, S.88-90)
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