Endlich sagte sie: »Wir haben von dem Angenehmen dieses Ortes gesprochen und sind von dem edlen Steine des Marmors auf die Edelsteine gekommen; aber eines Dinges wäre noch Erwähnung zu tun, das diesen Ort ganz besonders auszeichnet.«
»Welches Dinges?«
»Des Wassers. Nicht bloß, daß dieses Wasser vor vielen, die ich kenne, gut zur Erquickung gegen den Durst ist, so hat sein Spielen und sein Fließen gerade an dieser Stelle und durch diese Vorrichtungen etwas Besänftigendes und etwas Beachtungswertes.«
»Ich fühle wie ihr«, antwortete ich, »und wie oft habe ich dem schönen Glänzen und dem schattenden Dunkel dieses lebendigen flüchtigen Körpers an dieser Stelle zugesehen, eines Körpers, der wie die Luft wohl viel bewunderungswürdiger wäre als es die Menschen zu erkennen scheinen.«
»Ich halte auch das Wasser und die Luft für bewunderungswürdig«, entgegnete sie, [...]
»Was kann euch denn an diesem Orte Schmerz erregen?« fragte sie.
»Natalie«, antwortete ich, »es ist jetzt ein Jahr, daß ihr mich an dieser Halle absichtlich gemieden habt. Ihr saßet auf derselben Bank, auf welcher ihr jetzt sitzet, ich stand im Garten, ihr tratet heraus und ginget von mir mit beeiligten Schritten in das Gebüsch.«
Sie wendete ihr Angesicht gegen mich, sah mich mit den dunklen Augen an und sagte: »Dessen erinnert ihr euch, und das macht euch Schmerz?«
»Es macht mir jetzt im Rückblicke Schmerz und hat ihn mir damals gemacht«, antwortete ich.
»Ihr habt mich ja aber auch gemieden«, sagte sie.
»Ich hielt mich ferne, um nicht den Schein zu haben, als dränge ich mich zu euch«, entgegnete ich.
»War ich euch denn von einer Bedeutung?« fragte sie.
»Natalie«, antwortete ich, »ich habe eine Schwester, die ich im höchsten Maße liebe, ich habe viele Mädchen in unserer Stadt und in dem Lande kennen gelernt; aber keines, selbst nicht meine Schwester, achte ich so hoch wie euch, keines ist mir stets so gegenwärtig und erfüllt mein ganzes Wesen wie ihr.«
Bei diesen Worten traten die Tränen aus ihren Augen und flossen über ihre Wangen herab.
Ich erstaunte, ich blickte sie an und sagte: »Wenn diese schönen Tropfen sprechen, Natalie, sagen sie, daß ihr mir auch ein wenig gut seid?«
»Wie meinem Leben«, antwortete sie.
Ich erstaunte noch mehr und sprach: »Wie kann es denn sein, ich habe es nicht geglaubt.«
»Ich habe es auch von euch nicht geglaubt«, erwiderte sie.
»Ihr konntet es leicht wissen«, sagte ich. »Ihr seid so gut, so rein, so einfach. So seid ihr vor mir gewandelt, ihr waret mir begreiflich wie das Blau des Himmels, und eure Seele erschien mir so tief wie das Blau des Himmels tief ist. [...]
»Und nun hat sich alles recht gelöset.«
»Es hat sich wohl gelöset, meine liebe, liebe Natalie.«
»Mein teurer Freund!«
Wir reichten uns bei diesen Worten die Hände wieder und saßen schweigend da.
Stifter: Der Nachsommer - Der Bund
Adelsfamilien in Schwäbisch Gmünd
vor 6 Stunden
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