Albano de Zesara trägt Roquairol, dem Bruder des Mädchens, das er liebt, in einem Brief die Freundschaft an:
»Fremder!
Jetzt in der Stunde, wo uns im Totenmeere und in den Tränen die Siegessäulen und Thronen der Menschen und ihre Brückenpfeiler gebrochen erscheinen, fragt dich frei ein wahres Herz – und deines antwort' ihm treu und gern! Wurde dir das längste Gebet des Menschen erhört, Fremder, und hast du deinen Freund? Wachsen deine Wünsche und Nerven und Tage mit seinen zusammen wie die vier Zedern auf Libanon, die nichts um sich dulden als Adler? Hast du zwei Herzen und vier Arme, und lebst du zweimal wie unsterblich in der kämpfenden Welt? –
Oder stehst du einsam auf einer frostigen verstummten schmalen Gletscherspitze und hast keinen Menschen, dem du die Alpen der Schöpfung zeigen könntest, und der Himmel wölbt sich weit von dir und Klüfte unter dir? – Wenn dein Geburtstag kommt, hast du kein Wesen, das deine Hand schüttelt und dir ins Auge sieht und sagt: wir bleiben noch fester beisammen? [...]
O wenn du in dieser Stunde der Gaukeleien des Todes den bleichen Fürsten mit den Jugend-Bildern auf der Brust ansiehst und an den grauen Freund denkst, der ihn verborgen im Tartarus betrauert: so wird dein Herz zerfließen und in sanften warmen Flammen in der Brust umherrinnen und leise sagen: ich will lieben und dann sterben und dann lieben; o Allmächtiger, zeige mir die Seele, die sich sehnet wie ich!
Wenn du das sagst, wenn du so bist, so komm an mein Herz, ich bin wie du. Fasse meine Hand und behalte sie, bis sie welkt. Ich habe heute deine Gestalt gesehen und auf ihr die Wunden des Lebens; tritt an mich, ich will neben dir bluten und streiten. Ich habe dich schon früh gesucht und geliebt. Wie zwei Ströme wollen wir uns vereinigen und miteinander wachsen und tragen und eintrocknen. Wie Silber im Schmelzofen rinnen wir mit glühendem Lichte zusammen, und alle Schlacken liegen ausgestoßen um den reinen Schimmer her. Lache dann nicht mehr so grimmig, daß die Menschen Irrlichter sind; gleich Irrlichtern brennen und fliegen wir fort im regnenden Sturme der Zeit. Und dann, wenn die Zeit vorbei ist, finden wir uns wie heute, und es ist wieder im Frühlinge. Albano de Cesara«
Danach macht er sich freilich Gedanken, ob er seinem Freunde Schoppe damit etwas weggenommen hat, doch der Erzähler erklärt diese Bedenken für unangebracht:
"er hielt das Sehnen in der Freundschaft nach der Freundschaft für Sünde; aber du irrest, schöne Seele! Die Freundschaft hat Stufen, die am Throne Gottes durch alle Geister hinaufsteigen bis zum unendlichen; nur die Liebe ist ersättlich und immer dieselbe und wie die Wahrheit ohne drei Vergleichungsgrade, und ein einziges Wesen füllet ihr Herz. Auch hatten sich Albano und Schoppe bei einer so gegenseitigen Seelenwanderung ihrer Ideen und einer so nahen Verwandtschaft ihres Trotzes und Adels weit lieber, als sie sich zeigten. – Denn da Schoppe überhaupt nichts zeigte, so konnte man ihn wieder nur mit dem Finger auf der Lippe, aber vielleicht desto stärker lieben. Albano war ein heißbrennender Hohlspiegel, der seinen Gegenstand nahe hat und ihn aufgerichtet hinter sich darstellt, [234] Schoppe einer, der ihn ferne hat und ihn verkehrt in die Luft wirft."
(Jean Paul: Titan, 9. Jobelperiode, 47. - 48. Zykel, S.230-234)
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