27 Juni 2020

Michael Thomas: Deutschland, England über alles

Michael Thomas: Deutschland, England über alles. Rückkehr als Besatzungsoffizier *
ist ein 1984 erschienener autobiographischer Bericht von Michael Thomas (Geburtsname: Ulrich Hollaender), der sich vornehmlich mit dem Wiederaufbau einer demokratischen Politik in Deutschland ab 1945 beschäftigt.
Thomas[1] war bei Kriegsausbruch am 1.9.1939 auf englischem Boden. Als Sohn von Felix HollaenderWikipedia-logo.png war er nach Nazigesetzen deutscher Halbjude, wurde als solcher in England interniert, meldete sich zum britischen Militärdienst, kämpfte von der InvasionWikipedia-logo.png (6. Juni 1944) ab gegen Nazideutschland und beobachtete als Verbindungsoffizier von General TemplerWikipedia-logo.png den Aufbau der deutschen Nachkriegspolitik in der britischen Zone aus nächster Nähe. Vermutlich war sein Einfluss darauf, dass die britische Militärregierung ihr Misstrauen gegenüber den deutschen Politikern trotz anfänglich sehr großen Vorbehalten dann doch relativ rasch abbaute, nicht gering.
Als Sohn seines Vaters kannte er die intellektuelle Szene um Max Reinhardt (wenn auch nur aus der Perspektive des Kindes), als Schüler stand er in enger Beziehung mit Personen des Stefan-George-KreisesWikipedia-logo.png nahe, den er freilich nicht so genannt sehen wollte, als Student gewann er die Freundschaft oder doch zumindest ein freundschaftliches Verhältnis zu Carlo Schmid. In seiner Eigenschaft als Presseoffizier freundete er sich mit dem damals 23-jährigen Rudolf Augstein an.
Dass er als Konservativer Kurt SchumacherWikipedia-logo.png näher stand als Konrad Adenauer (S.149) und als Freund Rudolf AugsteinsWikipedia-logo.png Axel SpringerWikipedia-logo.png als ideenreichen Innovateur des deutschen Pressewesens schildert (S.176-179), macht seinen Bericht als Quelle noch wertvoller.
Ein Interview mit ihm ist 1984 in der ZEIT erschienen.[2].*
Zitat über britische Internierungslager:
 Zitat
Ich ließ nicht locker und wurde nun mit den haarsträubenden Vorgängen in Bad Nenndorf konfrontiert. - Folterungen bei Verhören! Nazimethoden in den eigenen Reihen! Ich traute meinen Ohren nicht.
[...] Ich wußte, daß die Verpflegung in den Lagern miserabel war, aber ich hatte keine Ahnung von den Verhörmethoden, bei denen, wie man später erfuhr, Grausamkeiten und Folter vorkamen. Und mit einem der Verantwortlichen hatte ich das Badezimmer geteilt.
Wer aber hätte mir meine Unkenntnis geglaubt? Seither kann ich mir vorstellen, daß es selbst im ReichssicherheitshauptamtWikipedia-logo.png Leute gab, die "von alledem nichts gewußt" haben.
Michael Thomas: Deutschland ..., S.165

* Diesen Text habe ich im wesentlichen 2012 verfasst. Er ist im ZUM-Wiki  und nachfolgend in ZUM-Unterrichten weiter verbessert worden. (OER-Material, d.h. Lizenz ccbysa)
Ich ergänze noch unsystematisch zusätzliche Notizen, die ich mir 2012 gemacht habe und die in einen ausgearbeiteten Artikel nicht hineingehören, die ich aber wiederfinden möchte und deshalb nicht nur auf einem Zettel aufbewahren möchte.

Harte Behandlung als Internierter in England, dann als Soldat und Offiziersanwärter in der Armee. Gerät über eine Studie über die deutsche Jugend in Besatzungsoffiziersaufgaben. (Intelligence). Verbindungsoffizier zu Hamburger Oberbürgermeister Petersen und Oberpräsidenten.
"Ich bin kein Adept Jüngers, aber es besteht für mich kein Zweifel, dass er zu den großen schöpferischen Figuren dieses Jahrhunderts gehört." (Seite 135) 

Gespräch mit Adenauer (Seite 136)
"Nach der Diskussion mit Bridge trug Generalinspekteur Halland sein Konzept für den Neuaufbau der Polizei vor. Ich glaube, die Bundesrepublik verdankt der klugen Politik dieses Mannes die vorzügliche Basis der deutschen Polizei. Ähnlich wie bei der Zoll- und Finanzverwaltung wurden dank des britischen Einflusses vielleicht die maßvollsten und zivilsten Behörden dieser Art in Europa geschaffen. Möglicherweise haben die Schüler die Lehrmeister noch übertroffen. "(Seite 146)
"Da ich mich geistig zum Widerstand zählte und in den mir gegenübersitzenden Deutschen meine Gesinnungsgenossen sah, kämpfte ich im Hauptquartier um Verständnis - nicht nur bei der allgemeinen politischen Meinungsbildung, sondern vor allem bei konkreten Maßnahmen." (Seite 147)
Th. hatte Hochachtung für Adenauer und stand seiner politischen Richtung näher. Trotzdem "habe ich mich für Schumacher schon beim ersten Treffen persönlich mehr erwärmt, als ich es für Adenauer je vermochte." (Seite 149)
Über Österreich: "Fast alle englischen Offiziere von Stand waren in Windeseile vom österreichischen Adel vereinnahmt worden; sie begannen Deutsch im nasalem Adelsdialekt zu sprechen, was im übrigen nicht schlecht zum 'Oxford accent' passte. (Seite 159)


Gespräch mit dem österr. Bundeskanzler Figl über britische Internierungslager (Seite 160)


"Ich ließ nicht locker und wurde nun mit den haarsträubenden Vorgängen in Bad Nenndorf konfrontiert – Folterungen bei Verhören!  Nazimethoden in den eigenen Reihen. Ich traute meinen Ohren nicht." (Seite 165 - zum Weiteren sieh das obige Zitat))
Joseph Rovan "Professor an der Sorbonne und neben Alfred Grosser wohl der beste Deutschland-Kenner in Frankreich". (S. 171)
Klaus von Bismarck Jugendhof Vlotho (Seite 169-171)

"Von General Templer habe ich bis heute eine hohe Meinung [...] entscheidungsfreudig, wenn auch bisweilen zu impulsiv [...] Seine Detailkenntnis war gefürchtet." (S.169)

Axel Springer: 1.12.1946 erste Nummer der Hörzu Grundlage des Imperiums (Seite 176 ff)
Über Axel Springer:
"Aber nicht nur die Fähigkeit, andere zu faszinieren, sondern auch die andere zu perhorreszieren, gehört zum Geheimnis dieser Persönlichkeit." (Seite 179)


Über den Zonenbeirat:"In diesem 'Vorparlament' trafen sich jene Persönlichkeiten, die dann in der Bizone und schließlich in der Bundesrepublik eine Rolle spielen sollten. (Seite 180)
Adenauer über Michael Thomas: "Sie sind einer der wenigen Männer, die Deutschland und England kennen und verstehen." (Seite 187)
"Wohl kein zweiter Dichter hat so in die Geisteswissenschaften seiner Zeiten hineingewirkt wie Stefan George. Es gab kaum eine Universität in Deutschland, an der nicht Lehrstühle aus dem Umkreis Stefan Georges besetzt waren (Seite 195) z.B: Gundolf
Seite 192: Freundeskreis von Stefan-George-Anhängern im Studium
Carlo Schmid (Seite 199ff) 
Schmid: "Die SPD war nie meine geistige Heimat, aber eine Familie, die man nicht einfach wechseln kann, wenn es einmal Krach gibt" (Seite 219)
Grotewohl und Pieck( Seite 230 unten bis Seite 231 unten)
Foreign Office Seite 243 ff
Mit Augstein befreundet (Seite 245-248)
Abendpost Hannover Nannen (Stern) Seite 248f
ZEITSeite 249-252
Friedländer-Adenauer-Schuman-Aussöhnung Seite 252f
Währungsreform Seite 256f: der Amerikaner Tannenbaum "eigentlicher Architekt der Währungsreform"
Blockade, Seite 260 F
Edgar Salin (George-Kreis) Nationalökonom, Seite 260
Vorbereitungen der Bundeswehr Seite 262: 
Graf Schwerin ab 1950 "Berater des Bundeskanzlers in Sicherheitsfragen", seine Abteilung unter dem Decknamen "Zentrale für Heimatdienst" im Bundeskanzleramt geführt (Seite 263)
Oktober 1950 Schwerin durch Theodor Blank ersetzt
Sohl (Seite 264 unten bis 265 oben)
Dr. Heinrich Oberheid war der Erfinder und eigentliche Führer der deutschen Christen (Seite 267) Reichsbischof Müller nur seinen Strohmann. [O. geörte freilich lt. Wikipedia nicht zum engeren Kreis der Gründer.] Nach Röhmputsch war Oberheid aus der NSDAP ausgetreten. Nach dem Krieg wieder zu Stinnes. Spitzname "Eisenbischof" (S.268)


* Aus dem Interview mit der ZEIT:

"ZEIT: Sie sind ein Mann nicht nur mit zwei Herzkammern, sondern auch mit zwei Vaterländern. Welches ist das schwierigere Vaterland?
Thomas: Das kann man, glaube ich, nicht beantworten. Wollte man eine Antwort versuchen, dann wäre das schwierigere Vaterland wahrscheinlich England. Denn ich denke, daß Arroganz und Zynismus in England eine größere Schwelle sind als im gegenwärtigen Deutschland die Fehler und Unzulänglichkeiten deutscher Politik; die englische Arroganz und den englischen Zynismus, besonders in der Außenpolitik, finde ich doch manchmal sehr schwer zu ertragen, während ich auf der deutschen Seite zumindest in dieser Phase der deutschen Geschichte, etwas Ähnliches nicht sehe. Auch ist das deutsche Vorurteil gegen meine England-Bindung geringer als das englische gegen meine deutsche Herkunft. Auf der anderen Seite habe ich natürlich eine ganz große Bewunderung für das englische Wesen, für den Umgang untereinander, für das Augenmaß und für die, wenn man so will, strategische Weisheit der Engländer, auch wenn diese sich im letzten Krieg übernommen und einen Pyrrhussieg errungen haben."

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