26 Juni 2020

Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen VII

Graf Victor gerät in eine Aufführung seines Theaterstücks über die spanische Gräfin und gerät in Zweifel über seine dichterische Tätigkeit.

"Das Haus war prächtig erleuchtet und zum Erdrücken voll, aus der fürstlichen Loge zwischen den reichen Vorhängen blitzt' und schimmerte es von Sternen, Lichtern und schönen Frauenaugen blendend herüber. [...]
»Was gibt's da?« frägt die Fürstin, sich weit aus ihrer Loge hervorlehnend. – Ein Kammerherr drängt sich eilig vor, auf Lothario deutend: »Dort, der Dichter selbst, sie haben ihn erkannt, Graf Victor von Hohenstein.« – » Der?!« – entgegnet die Fürstin und sinkt verwirrt auf ihren Sessel zurück.
Unterdes war der Vorhang gefallen, ein wütender Applaus brach plötzlich los, sich immer wieder erneuernd. Den Grafen Victor aber – denn er war es wirklich – erfaßte ein seltsames Grauen vor dem hohlen Sturm des Beifalls, er sah noch einmal dazwischen einen sengenden Blick der Fürstin nach ihm herüberschießen, dann stürzte er entsetzt über die noch leeren Treppen ins Freie hinaus. [...]
Die plötzliche Erinnerung an die Zeit, wo er das Stück geschrieben, versenkte seine ganze Seele wie ein ein Meer von Wehmut. Auf dem Gebirge in Spanien, als er an jenem stillen Abend, im Wald auf den Franzosen St. Val zielend, zum erstenmale Juanna erblickte, da war's ihm, wie in die Sonne zu sehen – sie war schon lange untergegangen, aber Wald und Berge schimmerten und sprühten noch in wunderbaren Funken – damals dichtete er das Schauspiel von der wilden Gräfin. Da dachte er nicht, daß es so kommen würde! Und als es dann Friede und alles wieder still und nüchtern wurde, kehrte auch er nach Deutschland zurück, und der Frühling und das Grün der wechselnden Landschaften breiteten sich wie ein Schleier milde über das schöne Bild im Herzen. [...]
Victors Sinn war heut wie ein schneidendes Schwert. – »Und red mir nicht von Poesie, von Dichterberuf«, fuhr er fort, »du hast nicht mehr davon als ein verliebtes Mädchen. Es gibt nur wenige Dichter in der Welt, und von den wenigen kaum einer steigt unversehrt in diese märchenhafte, prächt'ge Zaubernacht, wo die wilden, feurigen Blumen stehen und die Liederquellen verworren nach den Abgründen gehen, und der zauberische Spielmann zwischen dem Waldesrauschen mit herzzerreißenden Klängen nach dem Venusberg verlockt, in welchem alle Lust und Pracht der Erde entzündet und wo die Seele, wie im Traum, frei wird mit ihren dunkelen Gelüsten« Hier hielt sich Otto nicht länger. Es überlief ihn eiskalt, als zuckte ein Blitz durch die Nacht und erleuchtete auf einmal gräßlich sein ganzes verlorenes Leben. Noch ganz verwirrt, im Innersten getroffen, ergriff er wie ein Rasender einen nahe gelegenen Theaterdegen und drang sinnlos auf Victorn ein. Dieser schleuderte den Wütenden weit von sich, daß ihm der Degen entfiel. »Ruhig!« rief er, »und bedenke meine Worte, ehe alles zu spät! Mich aber laß, ich habe mit mir selbst zu fechten, Gott gnad' uns beiden!«"
(Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen 3. Buch 19. Kapitel)

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