09 Juni 2020

Über die Liebe


363 Wie jedes Geschlecht über die Liebe sein Vorurteil hat. – 
Bei allem Zugeständnisse, welches ich dem monogamischen Vorurteile zu machen willens bin, werde ich doch niemals zulassen, daß man bei Mann und Weib von gleichen Rechten in der Liebe rede: diese gibt es nicht. Das macht, Mann und Weib verstehen unter Liebe jeder etwas anderes – und es gehört mit unter die Bedingungen der Liebe bei beiden Geschlechtern, daß das eine Geschlecht beim andren Geschlecht nicht das gleiche Gefühl, den gleichen Begriff »Liebe« voraussetzt. Was das Weib unter Liebe versteht, ist klar genug: vollkommne Hingabe (nicht nur Hingebung) mit Seele und Leib, ohne jede Rücksicht, jeden Vorbehalt, mit Scham und Schrecken vielmehr vor dem Gedanken einer verklausulierten, an Bedingungen geknüpften Hingabe. In dieser Abwesenheit von Bedingungen ist eben seine Liebe ein Glaube: das Weib hat keinen anderen. – Der Mann, wenn er ein Weib liebt, will von ihm eben diese Liebe, ist folglich für seine Person selbst am entferntesten von der Voraussetzung der weiblichen Liebe; gesetzt aber, daß es auch Männer geben sollte, denen ihrerseits das Verlangen nach vollkommner Hingebung nicht fremd ist, nun, so sind das eben – keine Männer. Ein Mann, der liebt wie ein Weib, wird damit Sklave; ein Weib aber, das liebt wie ein Weib, wird damit ein vollkommneres Weib... Die Leidenschaft des Weibes, in ihrem unbedingten Verzichtleisten auf eigne Rechte, hat gerade zur Voraussetzung, daß auf der andren Seite nicht ein gleiches Pathos, ein gleiches Verzichtleisten-Wollen besteht: denn wenn beide aus Liebe auf sich selbst verzichteten, so entstünde daraus – nun, ich weiß nicht was, vielleicht ein leerer Raum? – Das Weib will genommen, angenommen werden als Besitz, will aufgehn in den Begriff »Besitz«, »besessen«; folglich will es einen, der nimmt, der sich nicht selbst gibt und weggibt, der umgekehrt vielmehr gerade reicher an »sich« gemacht werden soll – durch den Zuwachs an Kraft, Glück, Glaube, als welchen ihm das Weib sich selbst gibt. Das Weib gibt sich weg, der Mann nimmt hinzu – ich denke, über diesen Natur-Gegensatz wird man durch keine sozialen Verträge, auch nicht durch den allerbesten Willen zur Gerechtigkeit hinwegkommen: so wünschenswert es sein mag, daß man das Harte, Schreckliche, Rätselhafte, Unmoralische dieses Antagonismus sich nicht beständig vor Augen stellt. Denn die Liebe, ganz, groß, voll gedacht, ist Natur und als Natur in alle Ewigkeit etwas »Unmoralisches«. – Die Treue ist demgemäß in die Liebe des Weibes eingeschlossen, sie folgt aus deren Definition; bei dem Manne kann sie leicht im Gefolge seiner Liebe entstehn, etwa als Dankbarkeit oder als Idiosynkrasie des Geschmacks und sogenannte Wahlverwandschaft, aber sie gehört nicht ins Wesen seiner Liebe – und zwar so wenig, daß man beinahe mit einigem Rechte von einem natürlichen Widerspiel zwischen Liebe und Treue beim Manne reden dürfte: welche Liebe eben ein Haben-Wollen ist und nicht ein Verzichtleisten und Weggeben;das Haben-Wollen geht aber jedesmal mit dem Haben zu Ende... Tatsächlich ist es der feinere und argwöhnischere Besitzdurst des Mannes, der dies »Haben« sich selten und spät eingesteht, was seine Liebe fortbestehn macht; insofern ist es selbst möglich, daß sie noch nach der Hingebung wächst – er gibt nicht leicht zu, daß ein Weib für ihn nichts mehr »hinzugeben« hätte."
(Nietzsche: Fröhliche Wissenschaft, 5. Buch Nr.363)

Vom heutigen Standpunkt aus gesehen würde man sagen: Männerphantasie.
Eine - durchaus auf Emanzipation bedachte Frau hat - ebenfalls im 19. Jahrhundert - Folgendes geschrieben:


"Ein Frauenherz, in dem einmal der Strahl wahrer Liebe gezündet, erkennt seinen Besieger in dem Manne, fühlt sich ihm untertan, als Sklavin seines Willens, und möchte doch aus angeborenem Schamgefühl nicht dem Auge jedes Ungeweihten die Fessel zeigen, durch die es gebunden wird, die oft blutig drückt und selbst zerbrochen unvertilgbare Narben zurücklässt. Geliebt werden ist das Ziel der Frauen. Ihr Ehrgeiz ist Liebe erwerben; ihr Glück lieben, und die Liebe, nach der sie gestrebt, nicht erlangen können, unglücklich lieben, eine Kränkung, welche nur die edelsten Frauennaturen ohne Schädigung zu tragen vermögen. So beruht die ganze Entwicklung der weiblichen Seele auf dem Verhältnis zum Manne; und man darf das Weib nicht der Falschheit anklagen, wenn es den geheimnisvollen Prozess seines geistigen Werdens schamhaft der Welt verbergen möchte. (S.201)
Es schien ihr leichter, Unrecht zu haben, sich selbst eines Fehlers zu bezichtigen, als Reinhard eine Schuld beizumessen: denn wahre Frauenliebe klagt lieber sich als den Geliebten an." (Fanny Lewald: Jenny, S.302)

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