22 Juni 2020

Fontane und Raabe

Ich habe einmal gelesen, Emilie Fontane habe Raabes Werke denen ihres Mannes vorgezogen.
Ich muss ihr Abbitte leisten.
Nicht weil ich von Fontane als meinem Lieblingsautor abgerückt wäre, sondern weil ich mehr darüber gelesen habe, wie oft Emilie die Romane ihres Mannes wieder abgeschrieben hat.
Ein Meisterwerk wie "Irrungen, Wirrungen" oder "Der Stechlin" in seinen Schönheiten zu genießen und in wiederholten Lektüren neue Schönheiten zu entdecken, ist doch etwas ganz anderes, als aus einem schwer leserlichen Manuskript eine saubere, fehlerfreie Abschrift herzustellen und dann dasselbe Manuskript mit einer Fülle kleiner Änderungen vorgelegt zu bekommen, weil der holde Ehegatte wieder einmal daran 'gepuzzelt' hat, weil er sich 'einbildet, ein Stilist zu sein'. So hat er selbst darüber gesprochen.
Und sie verstand etwas von Literatur und kannte die Klagen ihres Mannes über seine Leserschaft, die mit wenigen Ausnahmen den Unterschied zwischen den Fassungen gar nicht beurteilen konnte.
Was nutzte es ihr, dass die besten Werke ihres Mannes die gesellschaftliche Wirklichkeit ihrer Zeit hervorragend widerspiegelten und das auch noch ästhetisch befriedigend?
Raabe konnte auch gut schreiben, und man konnte sich an seinen stilistischen Finessen freuen. Dass seine Helden nicht schablonenhaft, sondern oft originell sind, erweckt Interesse. Freilich gemischte Charaktere wie Botho von Rienecker oder Herr von Gordon, liebenswert, aber nicht fähig, sich zu bescheiden, die finden sich bei Raabe nicht, wo Effekt wichtiger ist als feinfühlige Psychologie.
Vermutlich wusste Emilie sehr wohl, worin Fontane Raabe übertraf.  Aber wer liest schon zur Entspannung einen Text, den er bis in alle Einzelheiten kennt und der ihm so viele Mühe bereitet hat?
Anstoß zu diesen Formulierungen war mir Raabe: Das letzte Recht.

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