»Ihr
habt gesagt, daß Euch zu meinem Unterhalte ein Geld angewiesen
worden sei, das Ihr alle Jahre empfangen solltet. – Ihr habt
gesagt, daß Ihr das Geld empfangen habt – und ferner habt Ihr
gesagt, daß Ihr das Geld für mich auf Zinsen angelegt und allemal
auch die Zinsen dazu getan habt.«
»Ja,
das habe ich gesagt, und das habe ich getan.«
»Nun
seht, Mutter, da sagt mir mein Gewissen, daß es nicht recht sei,
wenn ich das Geld von Euch annehme, weil es mir nicht gebührt –
und da bin ich gekommen, um es Euch vorher lieber im guten zu sagen,
als daß ich nachher das Geld ausschlüge und Euch erzürnte. –
Seid Ihr böse?«
[279] »Nein,
ich bin nicht böse,« sagte sie, indem sie ihn mit freudestrahlenden
Augen ansah – – »aber sei kein törichtes Kind, Victor! Du
siehst wohl ein, daß ich dich nicht des Gewinnes wegen in mein Haus
aufgenommen habe – um des Gewinnes willen hätte ich nie ein Kind
genommen daher ist ja das, was von dem Gelde jährlich übrig
geblieben ist, von Rechts wegen dein. Höre mich an, ich werde es dir
erklären. Die Kleider hat der Vormund herbei geschafft, für Speisen
hast du keine Auslagen verursacht – du aßest ja kaum wie ein
Vogel, und das Gemüse und das Obst und das andere, wovon du
genossest, das hatten wir ja alles selbst. Siehst du nun? – Und daß
ich dich so lieb gewonnen habe, das hat mir dein Vater nicht
aufgetragen, das stand auch in keinem Testamente, und dafür kannst
du nichts. Begreifst du nun alles?«
»Nein,
ich begreife es nicht, und es ist auch nicht so. Ihr seid nur wieder
zu gut, daß Ihr nichts als Scham auf mein Herz ladet. Wenn nach
Abzug der Kosten wirklich in jedem Jahre etwas übrig geblieben wäre
und Ihr hättet das für mich aufbewahrt, so wäre es schon nur eine
Liebe und Güte gewesen; und nun sagt Ihr, daß alles übrig
geblieben ist, – was man fast nur mit Schmerzen anhören kann. –
Ihr habt ohnedies getan, was kaum zu verantworten ist: Ihr habt mir
nicht nur eine schöne Stube gegeben, sondern habt auch gerade das
hinein gestellt, was mir lieb und wert war; Ihr habt mir Speise und
Trank verschafft und Euch nur Arbeit. Das ganze Reisegeräte habt Ihr
jetzt wieder gekauft; von Euren Feldern und Gärten habt Ihr das
Nötige abgekargt, daß schöne Linnen und anderes in meiner Lade
liegen – – und wenn ich in früheren Zeiten alles hatte, was ich
bedurfte, so ginget Ihr hin und gabet mir noch etwas – und wenn ich
auch das hatte, so stecktet Ihr mir jeden Tag noch heimlich zu, was
Euch deuchte, daß es mich freuen wird. – Ihr habt mich lieber
gehabt als Hanna!«
[280] »Nein,
mein Victor, da tust du mir unrecht. Du verstehst das Gefühl noch
nicht. Was nicht vom Herzen geht, geht nicht wieder zu Herzen. Hanna
ist meine leibliche Tochter – ich habe sie im Schoße unter dem
eigenen Herzen getragen, das ihrer Ankunft entgegen schlug – ich
habe sie dann geboren. in spätem Alter ist mir das Glück zu Teil
geworden, als ich schon hätte ihre Großmutter sein können –
mitten unter dem Schmerze über den Tod ihres Vaters habe ich sie
doch mit Freuden geboren dann habe ich sie erzogen – – und sie
ist mir daher auch lieber. Ich habe aber auch dich sehr geliebt,
Victor. Seit du in dieses Haus gekommen und aufgewachsen bist, liebte
ich dich sehr. Oft war es mir, als hätte ich dich wirklich unter dem
Herzen getragen – – und ich hätte dich ja eigentlich unter
diesem Herzen tragen sollen; es war Gottes Wille, wenn es auch
nachher anders geworden ist – ich werde dir das erzählen, wenn du
älter geworden bist. Und zuletzt, daß ich es sage, um Gott und der
Wahrheit die Ehre zu geben, ihr werdet mir wohl beide gleich lieb
sein. – – Mit dem Gelde machen wir es so, Victor: man muß keinem
Menschen in seinem Gewissen Gewalt antun, und ich dringe daher nicht
mehr in dich; lassen wir das Geld anliegen bleiben, wo es jetzt
liegt, ich werde eine Schrift verfertigen, daß es dir und Hanna
ausgefolgt werde, wenn ihr großjährig seid; dann könnt ihr es
teilen oder sonst darüber verfügen, wie ihr wollt. Ist es dir so
recht, Victor?«
»Ja,
dann kann ich ihr alles geben.«
»Lasse
das nur jetzt ruhen. Wenn die Zeit kömmt, wird sich schon finden,
was mit dem Gelde zu machen sei. Ich will dir noch auf das andere
antworten, was du gesagt hast, Victor. Wenn ich dir heimlich Gutes
tat, so tat ich es auch Hanna. Die Mütter machen es schon so. Seit
du in unser Haus gekommen bist, ist es beinahe, als wäre ein
größerer Segen gekommen. Ich konnte für Hanna[281] jährlich
mehr ersparen als sonst. Die Sorge für zwei ist geschicktere und
geübtere Sorge, und wo Gott für zwei zu segnen hat, segnet er oft
für drei. – – O Victor! die Zeit ist recht schnell vergangen,
seit du da bist. Wenn ich so zurück denke an meine einstige Jugend,
so ist es mir: wo sind denn die Jahre hingekommen, und wie bin ich
denn so alt geworden? Da ist noch alles so schön wie gestern – die
Berge stehen noch, die Sonne strahlt auf sie herunter, und die Jahre
sind dahin als wie ein Tag. Wenn du nachmittag, wie du sagst, oder
etwa morgen noch einmal in den Wald hinauf gehst, so suche eine
Stelle auf – man könnte sie von hier beinahe sehen siehst du, dort
oben in der Bergrinne, wo das Licht gleichsam über die grünen
Buchen herab rieselt. – Die Stelle ist für dich bedeutsam. Es
quillt ein Brünnlein hervor und fließt in die Bergrinne nieder,
über das Brünnlein legt sich ein breiter, flacher Stein, und eine
sehr alte Buche steht dabei, welche unten einen langen Ast
ausstreckt, auf den man Tücher legen oder einen Frauenhut aufhängen
kann.«
»Ich
kenne die Stelle nicht, Mutter, aber wenn Ihr wollt, werde ich hinauf
gehen und sie aufsuchen.«
Adalbert
Stifter: Der Hagestolz, Kapitel Eintracht, S.278-281
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