23 April 2013

Karl Haushofer


Unter den Männern, denen ich auf meiner Indienreise begegnete, hat einer auf die Geschichte unserer Zeit unabsehbaren, wenn auch nicht offen sichtbaren Einfluß gewonnen. Von Kalkutta aus nach Hinterindien und auf einem Flußboot den Irawadi hinaufsteuernd, war ich täglich stundenlang mit Karl Haushofer und seiner Frau zusammen, der als deutscher Militärattaché nach Japan kommandiert war. Dieser aufrechte, hagere Mann mit seinem knochigen Gesicht und einer scharfen Adlernase gab mir die erste Einsicht in die außerordentlichen Qualitäten und die innere Zucht eines deutschen Generalstabsoffiziers. [...]
So ist es mein alter Reisebekannter, der – ich weiß nicht, ob mit Wissen und Willen – jene fundamentale und für die Welt verhängnisvolle Umstellung in Hitlers – ursprünglich streng auf das Nationale und die Rassenreinheit begrenzter – Zielsetzung verschuldet hat, die dann durch die Theorie des „Lebensraums“ in den Slogan ausartete: „Heute gehört uns Deutschland, morgen die ganze Welt“ – ein ebenso sinnfälliges Beispiel, daß eine einzige prägnante Formulierung durch die immanente Kraft des Wortes sich in Tat und Verhängnis umsetzen kann wie vordem die Formulierung der Enzyklopädisten von der Herrschaft der „raison“ schließlich in ihr Gegenteil, Terror und Massenemotion, umschlugen.
Stefan Zweig: Die Welt von Gestern, Über Europa hinaus

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