In
meiner Jugend [269] habe
ich große, große und heiße Schmerzen gehabt; aber sie sind alle zu
meinem Wohle und zu meiner Besserung oft sogar zu irdischem Glücke
ausgefallen. Ich sage das alles, Victor, weil du bald fort gehst. Du
solltest Gott sehr danken, mein Kind, daß du die jungen Glieder und
den gesunden Körper hast, um hinaus gehen und alle die Freuden und
Wonnen aufsuchen zu können, die nicht zu uns herein kommen. – –
Siehe, du hast kein Vermögen dein Vater hat von dem Mißgeschicke,
das ihn hienieden traf, vieles selbst verschuldet, jenseits wird er
wohl die ewige Seligkeit haben; denn er war ein guter Mann und hat
immer ein weiches Herz gehabt wie du. Als sie dich nach der
Verordnung des Testamentes deines verstorbenen Vaters zu mir
brachten, damit du bei mir lebest und auf dem Dorfe für dich
lernest, um was sie dich dann immer in der Stadt fragen würden,
hattest du so viel als nichts. Aber du bist herangewachsen, und nun
hast du sogar das Amt erhalten, um welches so viele geworben haben,
und um welches sie dich beneiden. Daß du jetzt fort mußt, ist
nichts, und liegt in der Natur begründet; denn alle die Männer
müssen von der Mutter, und müssen wirken. Du hast daher lauter
Gutes erfahren. Du sollst deshalb zu Gott dein Gebet verrichten, daß
er dir alles gegeben hat, und du sollst demütig sein, daß du die
Gaben hast, es zu verdienen. – – Siehst du, Victor, alles das
zusammengefaßt, würde ich über deine Rede böse sein wenn ich
deine Mutter wäre, weil du Gott den Herrn nicht erkennst; aber weil
ich deine Mutter nicht bin, so weiß ich nicht, ob ich dir so viel
Liebes und Gutes getan habe, daß ich mich sonst auch erzürnen darf
und zu dir sagen: Kind, das ist nicht recht von dir, und es ist ganz
und gar nicht gut.«
»Mutter,
ich habe es auch in dem Sinne nicht gemeint, wie Ihr es nehmt«,
sagte Victor.
»Ich
weiß, mein Kind, und betrübe dich auch nicht zu [270] sehr
über meine Rede«, erwiderte die Mutter. »Ich muß dir nun auch
sagen, Victor, daß du jetzt gar nicht so arm bist, als du vielleicht
denken magst. Ich habe dir oft gesagt, wie ich erschrocken bin –
das heißt, aus Freude bin ich erschrocken – als ich erfahren habe,
dein Vater hätte in sein Testament gesetzt, daß du bei mir erzogen
werden sollest. Er hat mich schon recht gut gekannt und hat das
Vertrauen zu mir gehabt. Ich glaube, es wird nicht getäuscht worden
sein. Victor, mein liebes, mein teures Kind, ich werde dir jetzt
sagen, was du hast. Du hast an Linnen – das ist der auserlesenste
Teil unserer Kleider, weil er am nächsten an dem Körper ist und ihn
schützt und gesund erhält – so viel, daß du täglich wechseln
kannst, wie du es bei mir gelernt hast. Wir haben alles ausgebessert,
daß kein Faden davon schadhaft ist. Für die Zukunft wirst du immer
noch erhalten, was du brauchst. Hanna bleicht draußen Stücke, wovon
die Hälfte schon für dich gerechnet ist – und Stricken, Nähen,
Ausbessern werden wir besorgen. Im andern Gewande bist du anständig;
du kannst dich dreimal anders anziehen, das nicht gerechnet, was du
eben am Leibe hast. Es ist jetzt alles feiner hergerichtet worden,
als du es bisher gehabt hast; denn ein Mann, Victor, der sein erstes
Amt antritt, ist wie ein Bräutigam, der ausgestattet wird – und er
soll auch im Stande der Gnade sein, wie ein Bräutigam. Das Geld,
welches sie mir alle Jahre für deinen Unterhalt geben mußten, habe
ich angelegt, und habe immer die Zinsen wieder dazu getan. Das hast
du nun alles. Der Vormund weiß es nicht und braucht es auch nicht zu
wissen; denn du mußt ja auch etwas für dich haben, daß du es
ausgeben kannst, wenn sich andere sehen lassen, damit dir das Herz
nicht zu wehe tut. Wenn dir dein Oheim das kleine Gütchen entreißt
welches noch da ist, so betrübe dich nicht, Victor; denn es sind so
viele Schulden darauf, daß kaum mehr ein einziger Dachziegel
dazu [271] gehört.
Ich bin in dem Amte gewesen und habe mir es für dich aufschlagen
lassen, damit ich es weiß. Manches Mal einen Notpfennig bekommst du
schon von mir auch noch. So ist alles gut. – Zu deinem Oheime mußt
du nun schon die Reise machen, ehe du in das Amt eintrittst, weil er
es so wünscht. Wer weiß, wozu es gut ist – du verstehst das noch
nicht. Der Vormund erkennt auch die Notwendigkeit, daß du dich dem
Wunsche einer Fußwanderung zu dem Oheime fügest. Hast du gestern
Rosina gesehen?«
[...]
»Siehst
du, Victor, Rosina könntest du einmal zu deiner Frau bekommen, wenn
du in deinem Berufe recht tätig bist. Sie ist sehr schön, und
denke, wie ihr Vater mächtig ist. Er hat die lästige Vormundschaft
über dich sehr redlich und fleißig verwaltet, und ist dir nicht
abgeneigt; denn er hatte immer viele Freude, wenn du deine Prüfungen
gut gemacht hattest. Aber lassen wir das, zu dieser Heirat ist es
noch weit hin. – – Dein Vater könnte jetzt auch so hoch ein,
oder noch höher; denn er hat einen gewaltigen Geist gehabt, den sie
nur nicht kannten. Deine eigene leibliche Mutter hat ihn nicht einmal
gekannt. Und gut ist er gewesen, so sehr gut, daß ich jetzt noch
manchmal daran denke, wie er gar so gut gewesen ist. Deine Mutter ist
auch recht lieb und fromm gewesen, nur ist sie viel zu frühe für
dich gestorben. – – Sei nicht traurig, Victor – gehe nun hinauf
in deine Stabe und bringe alles in Ordnung. Die Kleider mußt du
nicht auseinander reißen, sie liegen schon so, wie sie in den Koffer
passen. Sei bei dem Hineinlegen sorgsam, daß nichts zu sehr
verknittert [272] wird.
– So. – – Ehe du hinauf gehst, Victor, höre noch eine Bitte
von deiner Ziehmutter: wenn du heute oder morgen noch mit Hanna
zusammen triffst, so sage ihr ein gutes Wort; es ist nicht recht
gewesen, daß ihr euch nicht immer gut vertragen habt!
Adalbert
Stifter: Der Hagestolz, Kapitel Eintracht, S.268-272
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