01 April 2013

Stifter: Mein Leben

Ich erinnere mich an Glanz und Farben, die in meinen Augen, an Töne, die in meinen Ohren und an Holdseligkeiten, die in meinem Wesen waren. Immer mehr fühlte ich die Augen, die mich anschauten, die Stimme die zu mir sprach, und die Arme, die alles milderten. Ich erinnere mich, dass ich das »Mam« nannte. Diese Arme fühlte ich mich einmal tragen. Es waren dunkle Flecken in mir. Die Erinnerung sagte mir später, daß es Wälder gewesen sind, die außerhalb mir waren. Dann war eine Empfindung, wie die erste meines Lebens, Glanz und Gewühl, dann war nichts mehr. [...]
Merkwürdig ist es, dass in der allerersten Empfindung meines Lebens etwas Äußerliches war, und zwar etwas, das meist schwierig und erst spät in das Vorstellungsvermögen gelangt, etwas Räumliches, ein Unten. Dies ist ein Zeichen, wie gewaltig die Einwirkung gewesen sein muß, die jene Empfindung hervorgebracht hat. [...]
Der Tisch war genau viereckig, weiß und groß und hatte in der Mitte das rötliche Osterlämmlein mit einem Fähnchen, was meine außerordentlichste Bewunderung erregte. [...]
Die Fenster der Stube hatten sehr breite Fensterbretter, und auf dem Brette dieses Fensters saß ich sehr oft und fühlte den Sonnenschein, und daher mag das Leuchtende der Erinnerung rühren. [...]
Auf diesem Fensterbrette sah ich auch, was draußen vorging, und ich sagte sehr oft: »Da geht ein Mann nach Schwarzbach, da fährt ein Mann nach Schwarzbach, da geht ein Weib nach Schwarzbach, da geht ein Hund nach Schwarzbach, da geht eine Gans nach Schwarzbach.« Auf diesem Fensterbrette legte ich auch Kienspäne ihrer Länge nach aneinander hin, verband sie wohl auch durch Querspäne und sagte: »Ich mache Schwarzbach!« In meiner Erinnerung ist lauter Sommer, den ich durch das Fenster sah, den ich durch das Fenster sah, von einem Winter ist von damals gar nichts in meiner Einbildungskraft.
Adalbert Stifter: Mein Leben - AUS DEN NACHLASSBLÄTTERN (Hervorhebungen nur kurzfristig - wegen Ostern, Fontanefan)

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