01 April 2013

Weiter im Hesperus (Jean Paul)


Und hier fiel etwas, nicht wie ein Schuß, sondern wie ein Buch, wiewohl mans durch meinen Kiel bis ins dreißigste Jahrhundert hören kann. Eymann sprang denkend ins zweite Stockwerk und fand zu seinen Füßen eine erschmissene – Maus unter seiner gesuchten Bibel. Den protestantischen Reichskreisen können die Studenten- oder Doktor Luthers-Mausfallen niemals unbekannt gewesen sein, zu denen man nichts braucht als ein Buch, und die für Mäuse sind, was symbolische Bücher für Kandidaten. Sebastian zog die Leiche beim Schwanze unter der biblischen Quetschform und Seilerischen Bibelanstalt hervor, schwenkte den Kadaver gegen das Licht und hielt diesen Leichensermon ex tempore: »Armer Schismatiker! dich erschlug das Alte und Neue Testament, aber du und die Testamente sind außer Schuld! – Sei nur froh, daß die Bibel dich nicht gar zu Asche sengte, wie einen portugiesischen Israeliten; aber du fielest in aufgeklärte Zeiten, wo sie nichts nimmt als Pfarrdienste. Es ist echter Witz, wenn ich frage: da sonst die Bibel die Feuerbrünste, worein man sie warf, auslöschte: warum denn Autodafés nicht auch?« – [...]
es war eine sogenannte Wochen-Betstunde, die in jedem vernünftigen Herzogtum und Markgraftum wird beibehalten werden, wo man noch darauf sieht, daß der Pfarrer wöchentlich ein paarmal erfriert, und daß er, so wie Novizen zur Übung der Obedienz verdorrte Stecken begießen müssen, den Samen des göttlichen Wortes in leere Kirchenstühle wirft, wie Melanchthon in leere Töpfe. In den deutschen Ländern – meines und wenige ausgenommen – gehören zwei Jahrhunderte dazu, um eine vollständige Narrheit abzuschaffen – eines, um sie einzusehen – noch eines, um sie abzuschaffen. Die Einsichten eines Konsistoriums werden allemal ein Jahrhundert früher vernünftig als die Befehle (Cirkularia) desselben. [...]
der kleine Sechswöchner, memorierte laut an seiner Rolle, die er nach fünf Uhr zu machen hatte, und die, wie bei mehren Helden von Festlichkeiten, in nichts bestehen sollte als in Schlafen. – – [...]
Es schlägt fünf Uhr – die Schönste tritt herein – der Mond hängt wie ein weißes Blütenblatt aus dem Himmel auf sie herab – das freudige schuldlose Blut in St. Lüne steigt wie die Flut unter ihm auf – alles ist umgekleidet.... Aber das sechste Kapitel ist aus.... – Und da der Spitz mit dem siebenten noch nicht da ist: so können ich und der Leser ein vernünftiges Wort miteinander reden. Ich gestehe, er schätzt mich und mein Tun lange, er sieht ein, alles ist im schönsten biographischen Gange, der Hund, meine Wenigkeit und die Helden dieser Hundtage. – Ich habe auch nie abgeleugnet, daß er immer mehr von dem Glanz und Blitze dieser Fußgeburt werde geblendet werden; da ich so sehr daran wichse, reibe und bohne, mehr als an einem Menschenstiefel oder militärischen Roßhuf in Berlin – Ja ich brauche aus keiner Tasse voll Kaffeesatz es mir erst wahrsagen zu lassen (denn ich erseh' es schon aus der menschlichen Natur und aus dem Kaffee, den ich trinke), daß das noch das Geringste ist, und daß die eigentliche Lesewut den guten Schelm erst dann befallen wird, wenn in diesem Werke, woran wie an der Basselisse zwei Arbeiter auf einem Stuhle seßhaft weben, die historischen Figuren dieser Basselisse samt ihrer Gruppierung von dem Fußballen bis zur Wirbelnaht hervorsteigen werden – – Jetzt ist ja kaum noch eine Ferse, ein Schienbein, ein Strumpf fertig gewürkt... [...]
Sogar die Damen, die sonst wie die Fische essen und nicht essen, bissen an. [...]
Er überdachte das Winterleben dieses guten Vaters unter lauter Fremdlingen des Herz ens und dessen bange Feier des heutigen Tages und den kalten leeren Raum in der väterlichen Brust, den sonst die verlorne Gestalt der Geliebten bewohnet hatte – und er sehnte sich schmerzlich an das Herz der unsichtbaren Mutter.  [...]
Er nannte nichts – er dachte nichts – er sprach sich nicht los, er klagte sich nicht an – er sah es wie im Traume, wenn bald eine dicke Nacht über den Garten rannte, bald ein Lichtmeer ihr nachschoß. Aber ihm war, als wollte seine Brust aufspringen, als wär' er selig, wenn er jetzt geliebte Menschen umschlingen und an ihnen im seligen Wahnsinn seinen Busen und sein Herz zerquetschen könnte. [...]
Dann trat er ans Klavier und sang unter dessen Begleitung die heftigsten Stellen seines Briefes ab; was ihn stark bewegte, trieb ihn allezeit zum Singen an, besonders der Affekt der Sehnsucht. [...]

Jean Paul: Hesperus

Keine Kommentare: