13 November 2018

Roger Willemsen:Die Enden der Welt - Kinshasa

"Ich war für einen Musiker in die Demokratische Republik Kongo, das ehemalige Zaire, gereist. Den wichtigsten Musiker des Landes wollte ich filmisch porträtieren, den Vater der urbanen, kosmopolitischen Jugend, die nachts auch in den Clubs von Kinshasa zu seiner Musik tanzt und davon träumt, wie er eines Tages nur noch aus dem Pariser Exil anzureisen: Papa Wemba, weniger als ein Leidensgefährte, mehr als ein Tourist, der Miterfinder des »Soukous«, jener panafrikanischen, auch »Rumba-Rock« genannten Musik, die in den siebziger Jahren von Kinshasa aus den ganzen Kontinent eroberte die musikalische Sprache für das Selbstbewusstsein einer Jugend, die heute, ein paar Kriege weiter, keines mehr hat, nur noch die Musik." (S.440)
"Er, der ungeliebte, angeschlagene Präsident droht im Straßenbild von hohen Transparenten herab. Doch so ab wesend der Krieg in Kinshasa auch wirkt, so präsent ist die Gewalt des kriegführenden Präsidenten. Sieben Menschen sollen von seinen Leuten allein deshalb erschossen worden sein, weil sie seiner Autokolonne nicht schnell genug die Straßenkreuzung räumten. Die Angst vor seiner Willkür sitzt tief. Wir begreifen zunächst: Der Krieg liebt keine westlichen Augenzeugen, keine Rechercheure von Massakern. Aber sind wir hier nicht im Dienst der Musik?
Erst später werden wir auch das Zweite begreifen: die langsame Umkehr des Rassismus. Man verachtet die Weißen, schikaniert sie, unterwirft sie immer neuen Autoritäten, lässt an der Grenze ihre Pässe zu Boden fallen, danach sind sie stundenlang verschwunden oder nur mit Geld wie der auszulösen. Wer als Weißer unter diesen Umständen trotzdem noch im Land ist, hat oft altruistische Gründe und nicht selten sogar ein gewisses Verständnis für solche Formen später Revanche. Doch selbst dies mühsam erworbene und gegen die Ressentiments verteidigte Verständnis findet man hier zum Kotzen.
Papa Wemba dagegen wird geliebt. In seinen Gesprächen mit Freunden, lokalen Musikern oder Anhängern kommt der Krieg nicht vor und der Präsident auch nicht. Stattdessen fährt Wemba in der tiefgekühlten Mercedes-Limousine durch die Stadt, telefoniert dabei mit Paris, lässt sich Obst und Zeitungen in den Wagen reichen, hört pausenlos die eigenen Alben, und manchmal winkt er auch in die nie abreißende Menge der Enthusiasten an der Straße, die vor Begeisterung fast seinen Wagen demolieren.
 »Das sollten Sie filmen«, sagt er. Sofort!
Von jetzt an filmen wir stundenlang seine Triumphfahrten durch die Außenbezirke von Kinshasa, geschützt von seinem Ruhm. Jetzt winkt er auch häufiger.
Widerspricht die Musik dem Krieg oder ist sie eine zweite Welt? Ist sie das Kontinuierliche in der Geschichte des Landes, oder bricht ihr Stammbaum jetzt ab? Spricht sie von den Opfern, den Armen, oder will sie nur von ihnen gekauft werden?
 »Die Armen soll man in Frieden lassen«, sagt Papa Wemba.
 Die Wahrheit ist, dass sie natürlich keinen Frieden haben, sondern den Krieg bezahlen. Ja, das bekümmere ihn auch, sagt er und bürstet sich ein paar Flusen von den großblumigen Mustern seines Bubus. 
»Ich bin zwar Künstler, aber ich rede durchaus über Politik«, fügt er hinzu. Doch als ich es genauer wissen will, ergänzt er: »Eine politische Position werde ich allerdings nicht beziehen.«" (S.447/48)
"Im zehnten Stock des Ministeriums, hat man uns gesagt, werden wir unser Dokument bekommen, das al les entscheidende Dokument, ohne das unsere Kamera arbeit ein Verbrechen ist. Jeden Tag gehe ich nun ins Ministerium auf der Suche nach dem Verantwortlichen und seiner Unterschrift. Vor dem Fahrstuhl im Parterre schleppt ein Arbeiter auf seinem Rücken immer neue Zementsäcke heran.
 »Sie bauen?«, frage ich ihn, als der sechste Sack donnernd auf dem Stapel gelandet ist.
 Er lacht, beugt sich mit verschwörerischer Miene hinunter und öffnet einen Riss in der Verpackung mit zwei Fingern. 
»Nein«, antwortet er, »es ist nur Geld«, und sein Finger krault die Spitzen der Banknoten. »Alles in Cent?«
 »Ich bringe die Gehälter der Angestellten, ja, sie sind zahlbar in Cent.«
 Das Geld reist mit im Aufzug. Aber auf jedem Stockwerk öffnen sich die Türen ins Dunkel. Menschen steigen aus und verschwinden in völliger Finsternis, das Geld geht denselben Weg. Von Büro zu Büro werden die Bündel mit der Waage abgemessen - angesichts der Inflation die einfachste Zahlungsform.
 »Sie verdienen ein Pfund?«
 »So etwa.«" (S.452/53)
"Ein paar Jahre später hat die Politik beide eingeholt: Kabila wird von seinen Anhängern, seiner Palastwache, dem Sicherheitsdienst, möglicherweise Teilen seiner Familie in seinen Räumlichkeiten hingerichtet. Eine zuverlässige Darstellung der Umstände steht aus, der Sohn Joseph Kabila kommt an die Macht.
 Papa Wembas musikalische Laufbahn explodiert nicht. In Interviews bietet er sich zwar als politische Kraft der Integration an, doch ist die Zeit über seine Stimme hin weggegangen. In Paris wird er stattdessen inhaftiert, als bekannt wird, dass er Landsleuten für viel Geld die illegale Einreise nach Frankreich ermöglicht haben und einen ganzen Schleuserring unterhalten haben soll.
 Als wir aber an jenem Herbstnachmittag Kinshasa verlassen, sind der Präsident und der Popstar noch auf ihren Positionen. Nie habe ich ein Land so gerne verlassen wie dieses, [...]" (S.456)
(Roger Willemsen: Die Enden der Welt)

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