"Ich war für einen Musiker in die Demokratische Republik Kongo, das ehemalige Zaire, gereist. Den wichtigsten Musiker des Landes wollte ich filmisch porträtieren, den Vater der urbanen, kosmopolitischen Jugend,
die nachts auch in den Clubs von Kinshasa zu seiner
Musik tanzt und davon träumt, wie er eines Tages nur
noch aus dem Pariser Exil anzureisen: Papa Wemba, weniger als ein Leidensgefährte, mehr als ein Tourist, der
Miterfinder des »Soukous«, jener panafrikanischen, auch
»Rumba-Rock« genannten Musik, die in den siebziger
Jahren von Kinshasa aus den ganzen Kontinent eroberte
die musikalische Sprache für das Selbstbewusstsein einer
Jugend, die heute, ein paar Kriege weiter, keines mehr
hat, nur noch die Musik." (S.440)
"Er, der ungeliebte, angeschlagene Präsident droht im
Straßenbild von hohen Transparenten herab. Doch so ab
wesend der Krieg in Kinshasa auch wirkt, so präsent ist
die Gewalt des kriegführenden Präsidenten. Sieben Menschen sollen von seinen Leuten allein deshalb erschossen
worden sein, weil sie seiner Autokolonne nicht schnell
genug die Straßenkreuzung räumten. Die Angst vor seiner Willkür sitzt tief.
Wir begreifen zunächst: Der Krieg liebt keine westlichen Augenzeugen, keine Rechercheure von Massakern.
Aber sind wir hier nicht im Dienst der Musik?
Erst später
werden wir auch das Zweite begreifen: die langsame
Umkehr des Rassismus. Man verachtet die Weißen, schikaniert sie, unterwirft sie immer neuen Autoritäten, lässt
an der Grenze ihre Pässe zu Boden fallen, danach sind
sie stundenlang verschwunden oder nur mit Geld wie
der auszulösen. Wer als Weißer unter diesen Umständen
trotzdem noch im Land ist, hat oft altruistische Gründe
und nicht selten sogar ein gewisses Verständnis für solche
Formen später Revanche. Doch selbst dies mühsam erworbene und gegen die Ressentiments verteidigte Verständnis findet man hier zum Kotzen.
Papa Wemba dagegen wird geliebt. In seinen Gesprächen mit Freunden, lokalen Musikern oder Anhängern
kommt der Krieg nicht vor und der Präsident auch nicht. Stattdessen fährt Wemba in der tiefgekühlten Mercedes-Limousine durch die Stadt, telefoniert dabei mit Paris,
lässt sich Obst und Zeitungen in den Wagen reichen, hört
pausenlos die eigenen Alben, und manchmal winkt er
auch in die nie abreißende Menge der Enthusiasten an
der Straße, die vor Begeisterung fast seinen Wagen demolieren.
»Das sollten Sie filmen«, sagt er.
Sofort!
Von jetzt an filmen wir stundenlang seine
Triumphfahrten durch die Außenbezirke von Kinshasa,
geschützt von seinem Ruhm. Jetzt winkt er auch häufiger.
Widerspricht die Musik dem Krieg oder ist sie eine
zweite Welt? Ist sie das Kontinuierliche in der Geschichte
des Landes, oder bricht ihr Stammbaum jetzt ab? Spricht
sie von den Opfern, den Armen, oder will sie nur von ihnen gekauft werden?
»Die Armen soll man in Frieden lassen«, sagt Papa
Wemba.
Die Wahrheit ist, dass sie natürlich keinen Frieden haben, sondern den Krieg bezahlen. Ja, das bekümmere ihn
auch, sagt er und bürstet sich ein paar Flusen von den
großblumigen Mustern seines Bubus.
»Ich bin zwar Künstler, aber ich rede durchaus über
Politik«, fügt er hinzu. Doch als ich es genauer wissen
will, ergänzt er: »Eine politische Position werde ich allerdings nicht beziehen.«" (S.447/48)
"Im zehnten Stock des Ministeriums, hat man uns gesagt, werden wir unser Dokument bekommen, das al
les entscheidende Dokument, ohne das unsere Kamera
arbeit ein Verbrechen ist. Jeden Tag gehe ich nun ins
Ministerium auf der Suche nach dem Verantwortlichen
und seiner Unterschrift. Vor dem Fahrstuhl im Parterre
schleppt ein Arbeiter auf seinem Rücken immer neue
Zementsäcke heran.
»Sie bauen?«, frage ich ihn, als der sechste Sack donnernd auf dem Stapel gelandet ist.
Er lacht, beugt sich mit verschwörerischer Miene hinunter und öffnet einen Riss in der Verpackung mit zwei
Fingern.
»Nein«, antwortet er, »es ist nur Geld«, und sein Finger
krault die Spitzen der Banknoten. »Alles in Cent?«
»Ich bringe die Gehälter der Angestellten, ja, sie sind
zahlbar in Cent.«
Das Geld reist mit im Aufzug. Aber auf jedem Stockwerk öffnen sich die Türen ins Dunkel. Menschen steigen
aus und verschwinden in völliger Finsternis, das Geld
geht denselben Weg. Von Büro zu Büro werden die Bündel mit der Waage abgemessen - angesichts der Inflation
die einfachste Zahlungsform.
»Sie verdienen ein Pfund?«
»So etwa.«" (S.452/53)
"Ein paar Jahre später hat die Politik beide eingeholt:
Kabila wird von seinen Anhängern, seiner Palastwache,
dem Sicherheitsdienst, möglicherweise Teilen seiner Familie in seinen Räumlichkeiten hingerichtet. Eine zuverlässige Darstellung der Umstände steht aus, der Sohn
Joseph Kabila kommt an die Macht.
Papa Wembas musikalische Laufbahn explodiert nicht.
In Interviews bietet er sich zwar als politische Kraft der
Integration an, doch ist die Zeit über seine Stimme hin
weggegangen. In Paris wird er stattdessen inhaftiert,
als bekannt wird, dass er Landsleuten für viel Geld die
illegale Einreise nach Frankreich ermöglicht haben und
einen ganzen Schleuserring unterhalten haben soll.
Als wir aber an jenem Herbstnachmittag Kinshasa verlassen, sind der Präsident und der Popstar noch auf ihren
Positionen. Nie habe ich ein Land so gerne verlassen wie
dieses, [...]" (S.456)
(Roger Willemsen: Die Enden der Welt)
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