13 November 2018

Roger Willemsen: Die Enden der Welt - Minsk

Minsk 
Der Fremde im Bett 

"Der Flughafen von Minsk sieht aus, als sei er aus einem Haufen von Dunstabzugshauben zusammengeschweißt. Vor seinen Toren protzt die Monumentalarchitektur Weißrusslands, und wie im alten Sowjetreich gibt es noch immer diese imaginären Geländer. Man muss ge leitet, geführt, Befehle müssen erwartet und befolgt wer den, Verbote müssen sich aufrichten." (S.103)
Minsk wurde nach der Zerstörung durch deutsche Bomben im 2. Weltkrieg  ab 1958 historisch getreu wieder aufgebaut; aber die Architektur wirkt im Sozialismus nicht glaubwürdig 'hochherschaftlich'."
"Minsk liegt an einem Fluss, einem Verkehrsfluss, der achtspurig die Stadt teilt, über sechzehn Kilometer." (S.109)
"Überall unterbindet die Stadtplanung Ensemblebildung, nur die Wohnsilos am Stadtrand ballen sich." (S,111)
Willemsen geht in ein Krankenhaus, ohne beachtet zu werden. Schließlich geht er in ein Krankenzimmer, in dem, einem Zweibettzimmer, nur ein einzelner Sterbender liegt. Er setzt sich zu ihm und macht sich seine Gedanken. 
"Erst als ich schon wieder auf der großen Straße war, fielen mir die beiden Gurken ein, die ich auf der Kante dieses Sterbebetts vergessen hatte." (S.117)

Im Kapitel "Minsk" ist vielleicht am stärksten aus geprägt, was sich durch die ersten Kapitel hindurch zieht. Willemsen wirkt wie ausgesetzt. Ich bin froh, dass ich es nicht wie er an einem Orte aushalten muss, der so wenig Anziehendes bietet. Wo die Natur einmal unüberhörbar spricht, stören ihn die Menschen, die dort auftauchen. Am wenigsten stört ihn in Minsk der Sterbende, der sich betrachten lässt, ohne ihn wahrzunehmen.

Natürlich trifft diese Charakterisierung nicht jedes Kapitel. Gerade in Tonga, wo er die "Klaustrophobie der Weite" und sich "eingepfercht in dieser Weite" fühlt, beweist er bemerkenswerte Einfühlung in das völlig Fremde. Und in Kinshasa ist sein Überleben so offenkundig von der Willkür des Übergangspräsidenten Kabila und der Aura von Papa Wemba abhängig, dass er nicht umhin kann, ihre Rolle in diesem Lande genau in den Blick zu nehmen. 

Beim "Opiumessen" und in Orvieto (Signorelli [S.490ff.], Bernadette [479ff.]) wollte ich zwar auch nicht dabei sein. Dort kommt er mir aber als Experimentierender Erfahrungssucher in seinem Element  vor.

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