30 November 2018

Gerhart Baum: Meine Wut ist jung

Gerhart Baum: Meine Wut ist jung

Wenn ich mir die Programme der letzten Jahre ansehe – auch wenn sie Richtiges zum Ausdruck bringen –, so brennt darin kein liberales Lebensgefühl, das ich bisher auf die Wähler übertragen hätte. Doch schon vor der Wende von 1982 – auf einem Parteitag in Kiel 1977 – begann die Abkehr von den Grundsätzen des sozialen Liberalismus, wie er im Freiburger Programm definiert war. Meine Freunde und ich hatten einen Programmentwurf mit dem Titel aktuelle Perspektiven des sozialen Liberalismus erarbeitet. Er unterlag in wesentlichen Teilen einem vom Wirtschaftsflügel vorgelegten Gegenentwurf. Unsere Themen waren – neben einer neuen Definition des Sozialstaates in einer freien Wirtschaftsordnung – Vertiefung der Demokratie, Verteidigung des Rechtsstaates, Schutz der Umwelt und eine Bildungspolitik der Chancengleichheit. Schon damals begann die Entwicklung zu einem Liberalismus, von dem Peter Sloterdijk 2011 sagte, dass dieser eher für ein Leben auf der "Galeere der Habsucht" steht. (S. 30/31)

Nun hat man den Eindruck, der Aufbruch soll unter anderem mit dem Slogan "Wachstum" erfolgen statt mit "Mehr Netto vom Brutto". Glauben Sie, dass damit die Menschen wieder zu gewinnen sind?
Ich sehe das eher kritisch, denn es darf auf keinen Fall darauf hinauslaufen. dass ein alter, längst überholter und abgenutzter Wachstumsbegriff wieder belebt wird – als ginge es um Wachstum an sich. Das ist zwar nicht beabsichtigt, aber dieser Begriff löst Irritationen aus. Man muss ihn immer erklären. Er muss in Beziehung gesetzt werden zu anderen Politikfeldern. Beispielsweise geht es um Wachstum an Bildung. Gemeint ist qualitatives und nachhaltiges Wachstum. Es ist immer schwierig, einen Begriff zu verwenden, mit dem man in eine defensive Position kommt. (S. 39)

Menschen brachten mir ihre Sympathie entgegen und erklärten gleichzeitig, dass diese meiner Person, aber nicht der FDP gelten. Dennoch habe ich mich noch einmal um ein Mandat beworben. Ich wollte die Partei zwingen, Farbe zu bekennen an, ob sie noch zu meiner politischen Richtung stand. Ich scheiterte.
Diese Niederlage hatte auch ihr Gutes. Ich war gerade 60 Jahre alt und hatte noch Zeit, um etwas Neues aufzubauen. Diese Perspektive hatte ich mir schon als Abgeordneter vorbereitet. Ich hatte wieder Lust an einer anwaltlichen Tätigkeit und wollte in diesem Bereich aktiv werden. Ich hatte auch Lust, durch Eigenleistungen mein Einkommen bestimmen zu können. Bis dahin bezog ich nur gesetzlich festgelegte Bezüge. Nun war ich plötzlich einen Freiberufler, ein Unternehmer. Mein neues berufliches Leben habe ich ohne Protektion oder Hilfe irgendwelcher Netzwerke innerhalb oder außerhalb der Partei aufgebaut. Entscheidend waren gleichgesinnte gleichgestimmte Freunde ...

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/gastbeitrag-von-gerhart-baum-ich-will-dass-wir-beissen-koennen-12589869.html


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