29 März 2009

Tellkamps Turm

Uwe Tellkamp: Der Turm:
Die Fahrt mit der Standseilbahn erinnert mich an das erste Kapitel von Musils "Mann ohne Eigenschaften". Dazu passend die vielen genau beschriebenen Wege durch das Viertel und nach und in Ostrom. Autoren als Zensoren. Der Alte vom Berg. (Dazu: Turm als Schlüsselroman)
Arbogast. Die ausführlich beschriebene naturwissenschaftlich angereicherte Pracht in historischem Stil. Das Ausfragen auf der Basis von vorherigen Erkundigungen. Ähnlich der Allwissenheit der Stasi. Die wilden Hunde. Der Schreck am Tor. Hier etwas von Kafkas Prozess, der sonst dem Bewilligungsgebäude mit seinen vielen buchstabenkodierten Abteilungen seine Schrecken leiht. Die Rechtfertigung der Niederwerfung des Prager Frühlings.
Christian als der Sympathieträger.
Stasi "Dialog über Kinder": "Wenn diese Kinder nun bestimmte Talente besitzen, wäre es doch fahrlässig für einen Vater, sie nicht zu fördern, so gut er kann." (S.257f.)
Flüstergespräche der Ehepaare auf der Straße, das Gelächter der Angst.
Die Karavelle (Wikipediaartikel: "Vorbild für das Haus „Karavelle“ sei die Jugendstilvilla, in der Uwe Tellkamp aufgewachsen ist"), Falter im Treppenhaus, Meno: "Laß uns ein wenig sehen üben." (S.270) - Freut sich Christian wirklich?

2025:
Der Roman ist mir wieder in die Hände gefallen, und ich hätte Lust, mein überaus positives Urteil nach der ersten Lektüre zu überprüfen, nachdem mir Tellkamps Stellungnahmen ab 2017 zur mangelnden Meinungsfreiheit in Deutschland überzogen erschienen.
Wikipedia: "Im Umfeld der Frankfurter Buchmesse 2017 gehörte Tellkamp zu den 32 Erstunterzeichnern der „Charta 2017“, einer Online-Petition der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen. Sie richtete sich gegen die Ausgrenzung der rechten Verlage Antaios, Manuscriptum und Tumult auf der Messe.[34]

Vor der Leipziger Buchmesse 2018 sorgten Äußerungen Tellkamps bei einer öffentlichen Diskussion mit Durs Grünbein zur „Meinungsfreiheit in der Demokratie“ im Dresdner Kulturpalast für Aufsehen. Zur Flüchtlingskrise in Deutschland ab 2015 sagte er unter anderem: „Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent.“ In Deutschland gebe es einen „Gesinnungskorridor zwischen gewünschter und geduldeter Meinung“. Seine Meinung sei „geduldet, erwünscht ist sie nicht.“[35] Der Suhrkamp Verlag distanzierte sich auf Twitter von diesen Aussagen.[36] Diese lösten eine umfangreiche Debatte in Feuilletons und sozialen Medien aus.[37][38]

Ich nehme an, ich werde nicht genügend Zeit und Engagement aufbringen. Erstes Hineinsehen bestätigt mein frühes positives Urteil, das werde ich angesichts anderer anstehender Fragen keinen Versuch machen, vom heutigen zeitgeprägten Standpunkt aus mein Urteil irgendwie zu objektivieren.

Ich werde - wie bei den Buddenbrooks - das literarische Werk als ungewöhnlich gut in Erinnerung behalten und Tellkamps politische Stellungnahmen wie Thomas Manns "Betrachtungen eines Unpolitischen" als zeitgebundene Aussage eines bedeutenden Autors einstufen, mit dem ich politisch durchaus nicht übereinstimme. 

Ich hoffe aber, dass ich noch dazu kommen werde, einzelne Passagen aus dem Werk vorzustellen,  die mein literarisches Urteil zu untermauern imstande sind.

Gegenwärtig reizt mich die Lektüre von Christa Wolfs Ein Tag im Jahr und Juli Zehs letzten Roman und ihrer politischen Stellungnahmen mehr, und ich traue ihr mehr zu, mir ein angemessenes Bild von der DDR und dem heutigen Ostdeutschland zu machen als dem literarisch so hochwertigen Roman Tellkamps.