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21 Juli 2021

Vischer: Auch Einer - ein Traum

 Der Traum dieser Nacht sei aufgezeichnet, schnell, bevor er sich verwischen kann! So gut ich's vermag nach so viel Grausen, Beben und Entzücken. Ich wandle wieder auf dem Korso. Der Himmel wie neulich in Pästum. Die schwere Wolkenwand sinkt herab und schließt den Spalt, durch den man dort die Abendsonne im trüben Schirokkogelb leuchten sah. Nacht. Die Begegnenden sehen sich nicht mehr. Schwül und schwüler, endlich fast zum Ersticken. So muß es in und um Pompeji gewesen sein, als der alte Plinius den Atem aufgab. Jetzt langsam wächst eine Ziegelröte über den Himmel, geht in feuerrotes Glanzlicht über. Stille, todesbang. – Horch, welcher Ton? Man hört ein wehendes Blasen, etwas wie ein Fegen, es wird zu einem lauten und lauteren stürmischen Speien, jetzt knallen Donnerschläge dazwischen – jetzt wankt zuckend die Erde unter mir – ich schaue um und auf, der Monte Pelegrino hat sich in den Aetna verwandelt, offen ist die fürchterliche Esse, glutrot fährt die Lohe aus der Unterwelt empor, und rings am schrecklichen Geisterberge schlängeln sich Lavabäche zu Tal und verlöschen zischend im flammenden Gewässer des Hafens. [...]

– was hebt sich aus dem Krater empor? Ein Drachengespann – es reißt hinter sich einen Wagen aus dem Schlund – er scheint leer – dann richtet sich ein Schatten in ihm auf – jetzt schwebt er wie auf sicherem Boden in ebener Linie durch die Lüfte – herwärts der Stadt, meinem Standort zu, – ist das nicht etwas wie eine weibliche Riesengestalt, was aus ihm emporragt? – – der Wagen senkt sich – schwebt sinkend näher und näher – deutlicher im schwefligen Glut- und Blutschein wird die Lenkerin des Drachenpaars – Augen wie Fackeln brennen aus ihrem Antlitz – ihre Locken sind von Gold, ringeln sich aber wie Schlangen, blaue Funken knistern aus ihren Spitzen – jetzt wankt mir der Mut, ich denke an Flucht, die Beine sind mir lahm, angewurzelt stehe ich, denn das ist ja – sie! sie! das Weib, das mir die Seele ver– der Wagen hält in Lüften – ein Blick – was für ein Blick! Ich kenne ihn! – trifft mich, streift dann über die Köpfe der Menge hin –; sie wirft stolz ihr Haupt auf und erhebt die Stimme, – es ist der Ton, mit dem sie einst jene Stellen des Olaflieds sang, woraus es hervorklang wie Mitleid und Hohn zugleich, – nur lauter jetzt, greller, ein Herrscherton – so mag einst Libussa ihre Schlachtbefehle gerufen haben – »Adoratemi! Sono la santa Rosalia!« Das Volk starrt sie an, dann rufen Stimmen: Auf die Knie! Seht ihr das Kreuz auf ihrer Stirn? – und alles sank auf die Knie. Ich sehe hin nach ihrer Stirne und erkenne mit Grausen – – »Betet nicht an! das ist kein Kreuz! schaut besser hin – eingeätztes Bild eines Dolches!« – Das entsetzliche Weib wendet den Blick wieder nach mir und herrscht mir jetzt griechische Worte zu: »Ἄνω τὴν κεφαλὴν! Βλέπε ἄνω!« Ich schaue über ihr Gorgonenhaupt hinweg, hinauf nach dem speienden Krater. Da fliegt wie eine Rakete emporgetrieben ein schwarzer Körper zwischen den Flammengarben auf, hält dann im Schweben still, fängt an mit den Beinen zu gaukeln, zu zappeln, wie ein Hampelmann, tanzt baumelnd, sich überschlagend eine Weile in den Lüften, kugelt dann abwärts und herwärts, immer näher, bis er über meinem Haupte flattert, und beginnt nun mit kreischender Stimme zu stottern: »Gu– gu– guck mich an!« Ich lache, doch verzwungen und angstvoll, und rufe: »Du bist der Stotterer vom Theater S. Carlin in Neapel!« »Oho, oho,« stammelt es jetzt, »wie du– du– dumm! Ich bin ja der Pla– Pla– Plato! Kann auch pfei– pfeifen!« – Er pfiff, der schrille Ton ging in eine Schelmenmelodie über, und es war jetzt, als pfiffen zwei Stimmen, eine höhere und eine tiefere, und die tiefere schien aus einem großen Loch in der Brust zu kommen. – O, ich hatte mir's nur verhehlen wollen, – schon vorher hatte ich die nun verzerrten Züge, die halbgrauen, nun wild flatternden Locken erkannt, die mir einst so ehrwürdig erschienen. [...]

Hat sich der Himmel aufgetan? Vor mir wölbte sich die blaue Grotte von Capri, nicht Bild, nicht Gemälde, sondern Wirklichkeit. Und doch auch wieder nicht. Denn wohl raunt das Volk von gewissen Felshöhlen an jener Inselküste, es seien Spiriti darin, aber was leuchtet hier, welch Unbekanntes, Neues, welchen Wunderkern umschließen diese blauerglänzenden Wölbungen? Eine Erhöhung des Felsens ragt aus dem Wasser, wie zur natürlichen Ruhestätte gebildet; auf weißer Decke, die darüber sich breitet und faltenreich niederfällt, in weißem Gewande, das Haupt auf weißem Schlummerkissen ruht ein Weib, mir entgegengekehrt, das Angesicht mir gegenüber, halbgeschlossen sind die von langen Wimpern überschleierten Augen. Friede wohnt auf ihrer Stirne, ein seliges Lächeln umspielt ihre Lippen, Verklärung ist dies Antlitz. Das magische Licht, das auf Correggios berühmter »Nacht« vom Christuskind ausgeht, auf den Gesichtern der anbetenden Gruppe wiederscheint und im Dunkel der Hütte, der nächtlichen Landschaft verschwebt, es ist stumpf und erdig gegen die Lichtfülle, die von diesem Himmelsbilde ausströmt und doch nicht blendet, sondern mondscheingleich das Blau, das vor lauter Leuchtkraft wie Rot auf das Auge wirkt, zu sanfter Kühle ermäßigt. Ich sollte die Züge dieses Weibes kennen, sprach es in mir. Nur so wagte ich es im Innern zu sagen, denn sehr wohl beim ersten Blicke kannte ich sie. Doch drang es mir über die Lippen: »Soteira!« flüsterte ich und trat um einen kleinen Schritt näher; das Wasser, das ihr Felsbett umschwankte, schien zugleich fester Boden, der dem Fuße Stand und Gang erlaubte. Sie öffnete jetzt die Augen und ließ sie auf mir ruhen. Wer beschreibt den Blick! Mir war wie damals, als sie sich über mich beugte und das feuchtkühle Tuch auf meine Stirne legte, nur dasselbe Gefühl ins Unmeßbare, ins Unsagbare erhöht. Nun sprach sie, – es war jener grundgute Ton, der mir einst ins Herz des Herzens gedrungen –: »Nicht wahr, hier ist es gut still und kühl?« – »Ja, du Gute,« sagte ich, »aber das ist ein Ort für Reine, da darf ich nicht bleiben; verzeih, verzeih, daß ich hier eingedrungen; aber du glaubst nicht, o, du glaubst nicht, wie fürchterlich es droben aussieht im Tale der Schrecken.« Wie vorher ruhten diese Augen auf mir mit dem Blick der Güte und des Mitleids, den keine Zunge nennt. Dann hob sie langsam den Arm, bot mir die schneeweiße Hand und sagte: »Reiche die deine, das kühle Lichtblau hat alles, alles abgewaschen.« Zitternd hob ich die Hand und faßte die ihre. Sie war kalt, aber nie im Leben hat der Druck einer warmen, lebendigen Hand einen Menschennerv und ein Menschenherz so selig durchzittert, wie mich die Berührung dieser weichen, zarten Finger, die wie aus Schnee gerundet schienen. Ich hielt sie fest und flüsterte: »Ewig.« – »Ja,. ewig,« hauchte sie. * Ich glaubte sie noch zu halten, als ich erwachte. Dies Erwachen! Hinweggespült aus meiner hämmernden Brust ist der Krampf und Brand des Lebens, sanft geht mein Puls. Ich bin frei. [...]

Aus Wust und Wut,

Aus Schwefelglut, 

Aus atemloser Schwüle 

Hinab in Meeresgrund, hinab ins Kühle. 

Da ruh' ich aus 

Im Felsenhaus 

Von all dem Angstgewühle, 

Gebadet in der sanften, reinen Kühle. 

Im tiefen Blau Ruht eine Frau, 

Lichtweiß auf weißem Pfühle, 

Und lächelt selig in der stillen Kühle. 

Nah' ich mich ihr? 

Sie schaut nach mir, 

Fragt mich, ob ich auch fühle, 

Wie gut es weilen ist in dieser Kühle. 

Reicht mir die Hand, 

Daß ich den Brand 

Aus meinem Busen spüle 

Und mit ihr ewig bleibe in der Kühle. 

Aber da bin ich noch und was nun tun? Der aufzuckende Gedanke, ich müsse nun auf und fort, hinwärts, dorthin – nein! Mein Traum und die Fragen, die Zwecke der Wirklichkeit: zwischen ihnen ist kein Verhältnis, keine Gleichung. Auch den Gedanken, mein Gesicht könne eine Ahnung gewesen sein, halte ich nieder. Ich mag mich mit keinerlei Fragen einlassen. Mir ist alles vollendet. Ich bin. Ich habe das Gefühl, zu sein. Mit ihr, in ihr. Tief in der blau schimmernden Grotte. – Die Dinge am Tageslicht sind mir nun pure Gegenstände, nichts mehr mit mir verwachsen.

(Vischer: Auch Einer, Kapitel 26)

13 März 2021

Calderón: Das Leben ein Traum

Wikipedia (Inhalt und Einordnung in den literarischen Zusammenhang)

Kurzfassung mit Playmobilfiguren vorgeführt (auf YouTube)

1. Akt 1. Szene:  Rosaura, Clarin.

Rosaura, in männlicher Reisekleidung, steigt, gefolgt von Clarin, den Berg herab.


ROSAURA ruft ihrem entlaufenen Rosse nach.

Du Hippogryph, an Schnelle

den Winden gleich, unbändiger Geselle!

Wohin, Blitz ohne Schimmer,

glanzloser Vogel, schuppenloser Schwimmer,

sinnloses Ungeheuer,

wohin, im labyrinthischen Gemäuer

der nackten Felsenmassen,

entrennst du zügellos, wild, ausgelassen?

Bleib hier im Bergreviere,

ein Phaethon hinfort der wilden Tiere!

Denn ich, ohn andre Pfade,

als das Geschick mir anweist sonder Gnade,[7]

will blindlings, ohne Hoffen,

durch die verworrne Rauheit dieses schroffen

Gebirgs, das mit Ergrimmen

der Sonn entgegen dräut, herniederklimmen.

Wie schlecht empfängst du, Polen,

den Fremdling; schreibst mit Blute seiner Sohlen

in deinen Sand sein Kommen!

Zur Mühsal kommt er an, mühsam gekommen.

Wohl sagt's mein Stern mir Armen;

wo fand ein Unglücksel'ger auch Erbarmen?

CLARIN.

Zwei gibt's hier, wie ich denke;

laßt mich nur, wenn Ihr klagt, nicht in der Schenke.

Denn da wir zwei doch waren,

die's wagten, aus der Heimat auf Gefahren

und Abenteur zu reiten,

und zwei, die unter Not und Albernheiten

nun bis hieher uns trollten,

und zwei, die hier vom Berg herunterrollten;

heißt's nicht mein Recht verletzen,

mich mit in Not und nicht in Rechnung setzen?

[...]


(Calderón: Das Leben ein Traum, 1. Akt, 1. Szene)


Das Stück auf Youtube (deutsch)

Das Stück auf Youtube (spanisch)


Sieh auch:

Siglo de Oro


Calderón: Der Richter von Zalamea (Text)

Lope de Vega (Wikipedia)

Lope des Vega: Was kam denn da ins Haus (Lustspiel, deutsch auf YouTube)
Lope de Vega: Die Liebesheuchler (Lustspiel, Text bei projekt-Gutenberg.org)

08 Juli 2017

Kinderträume

"[...] Die thematische Verarbeitung dagegen und das Dichten versteht der Traum des Kindes besser. Tausend kleine Dinge und Vorkommnisse des wachen Lebens, die den abgestumpften Erwachsenen gänzlich kalt lassen, die er nicht einmal mehr sieht und, wenn er sie sieht, nicht bemerkt, rühren dem Kinde, weil es noch frisch fühlt und weil ihm die Erdendinge neu sind, bis in die Seele und erzeugen Traumspiegelungen im Schlafe. Ich kann aus meiner Erfahrung berichten, dass mir ein Eisengitter um ein Haus, ein flüchtiger Blick in ein Kellergeschoss in der darauffolgenden Nacht ernste, tiefsinnige Träume verursachten, dass auf grössere Neuigkeiten, zum Beispiel auf den erstmaligen Anblick strömenden Wassers, ein wahrer Traumsturm folgte. Und wie golden schon die Landschaftsbilder in den Träumen des Erwachsenen leuchten mögen, die Landschaften, die der Traum des Kindes malt, sind noch viel seliger und süßer. Die Träume meiner zwei ersten Lebensjahre sind meine schönste Bildersammlung und mein liebstes Poesiebuch. [...]"
(Carl Spitteler: Die Träume des Kindes)

27 September 2014

Ein Traum

Als ich endlich um 4 Uhr zu Haus kam und beim rosigen Tageslicht eingeschlafen war, bildete ich mir ein, mein Lager sei das Moos eines Waldes. Da weckte mich ein klägliches Geschrei. Ich sah mich um und erblickte einen armen Teufel, der eben von der Spitze eines hohen Baumes schräg durch die Luft fuhr, und neben mir zur Erde stürzte. Stöhnend und leichenblaß raffte er sich auf und jammerte schmerzlich: nun sei es aus mit ihm! Ich wollte ihm zu Hilfe eilen, als ein Wesen, das einem zugestöpselten Tintenfaß glich, herbeikam und dem halbtoten Menschen unter Flüchen noch mehrere Stöße mit dem Stöpsel gab. Ich packte es aber, zog den Stöpsel heraus, und wie die Tinte nachströmte, verwandelte es sich in einen Mohren in glänzend silberner Jacke und prächtigem costume, der lachend rief: ich sollte ihn nur in Frieden lassen, er wolle mir Sachen zeigen, wie ich noch nie gesehen. 
Jetzt fingen auch sogleich Zaubereien an, die alle Pinettis und Philadelphias der Welt weit hinter sich zurückließen. Ein großer Schrank, unter andern, veränderte seinen Inhalt jeden Augenblick und alle Schätze Golkondas mit den unerhörtesten Seltenheiten kamen nacheinander zum Vorschein. Ein dicker Mann mit vier hübschen Töchtern, welcher eifrig zusah, und den ich sogleich als einen Herrn erkannte, der früher in Brighton Bälle gab, und Rolls hieß, weshalb man ihn (seiner Korpulenz wegen) ›double-rolls‹, seine Töchter aber ›hot-rolls‹ nannte, äußerte indes, das Ding daure ihm zu lange, er sei hungrig. 
Sogleich rief der beleidigte Zauberer mit zorniger Miene, indem sein Anzug sich vor unsern Augen scharlachrot färbte: Zwei wird fünf und sieben zehn. Augen eßt! Der Mund soll seh'n, Vorn und hinten wechselt schnell. Fitzli butzli very well. 
Kaum war diese Verschwörung ausgesprochen, als ein prächtiges Mahl erschien, und der arme Rolls sich eifrig frische grüne Erbsen in die Augen steckte, die auch ohne alle Umstände heruntergingen, während er, mit dem lorgnon vor dem Munde, alle die übrigen Wunderdinge, die sich auf der Tafel ausbreiteten, betrachtete und in Gedanken verschlang. Jetzt wollte er Frau und Töchter auch dazu einladen, konnte aber über kein anderes Sprechorgan als dasjenige disponieren, dem gewöhnlich das Lautwerden untersagt ist, so daß alle ›hot-rolls‹ sich über Papas sonderbare ›propos‹ fast totlachen wollten. 
Zu guter Letzt ging er noch, in der groteskesten Verdrehung, auf den Händen zum Zauberer hin, um sich zu bedanken, und langte en passant mit den Füßen in eine Schüssel tutti frutti, die sein neues Sprachorgan mit einem melodischen: »Delicious!« begleitete. (Pückler-Muskau: Briefe eines Verstorbenen)