Posts mit dem Label deutsche Sprache werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label deutsche Sprache werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

02 Mai 2018

Zur heutigen Situation der deutschen Sprache

Göttert: Deutsch. Biografie einer Sprache

"Das Alaska Native Language Center sagt voraus, dass von den derzeit schätzungsweise 6000 gesprochenen Sprachen auf der Erde in den nächsten 100 Jahren 90 Prozent entweder ausgestorben seien oder unmittelbar davorstünden. (S.352)

In der Schweiz sei an die Stelle des Hochdeutschen als Hochsprache Englisch getreten.
"Für Business und alle weiteren Kommunikationen Globalesisch für den Nahbereich der Familie Dialekt.  Genau das stehe auch Deutschland bevor. Den Slogan der Schwaben - Wir können alles außer Hochdeutsch - liest Trabant als ein Zeichen des Übergangs zu schweizerischen Verhältnissen." (S.353)
"Aber das ist doch wunderbar! Wir können in Venedig ein Hotelzimmer ohne unser Opernitalienisch buchen, in Lima nach dem Weg fragen, in Kyoto an einer Führung durch den kaiserlichen Garten teilnehmen. [...] Englisch ist das neue Latein [...]

Seit Europa den Nationalstaat erfunden hat, in dem die Losung ein Land, eine Sprache gilt, ist kaum eine Betrachtung der sprachlichen Lage frei von Empfindlichkeiten, die durchaus Neidniveau unter sonst ganz vernünftigen Menschen erreichen können. (S.354)

"Das Goethe-Institut (in der alten DDR das Herder-Institut) mit seinen 16 Inlands- und 150 Auslandsvertretungen in 78 Ländern bietet Sprachkurse an und wird gleichzeitig für die deutsche Kultur Seite (S.356)

Bei der umstrittenen Rechtschreibreform "beschlossen 1998 die Kultusminister (mit anschließender Bestätigung durch das Bundesverfassungsgericht), dass zur Verabschiedung keine parlamentarische Ermächtigung notwendig sei. Damit erhielt das Regelwerk amtlichen Charakter und ein gewinnorientiertes Verlagsunternehmen den Status einer "Behörde". [...]" (S.357)
"Nach einer Umfrage, die die Gesellschaft für deutsche Sprache 2008 beim Institut für Demoskopie Allensbach in Auftrag gegeben hat, wird die Reform von 9 Prozent der Bevölkerung befürwortet, von 55 Prozent dagegen abgelehnt (auch die große Zahl der meinungslosen spricht Bände: reine Kopfschüttler eben). Selbst wenn die meisten dieser Ablehner kaum wissen dürften, dass die deutsche Sprache in ihrer gesamten Entwicklung ohne behördliche Vorschriften auskam, darf man von einem fast "instinktiven" Vertrauen in die Kräfte der Selbstregulierung sprechen.

Dauerbrenner Anglizismen
Es gibt noch ein weiteres Problem von großer öffentlicher Beachtung, bei dem unsere professionellen Sprachbeobachter Stellung bezogen - gemeint sind die Anglizismen, die Aufnahme englischen Wortsgut in die deutsche Sprache [...]
Es stimmt, dass die Übernahme englischen Wortguts enorm zugenommen hat." (S.358)
"Die deutsche Sprache war lange Zeit künstlich von der internationalen Entwicklung ferngehalten worden und holt nun nach, was anderenorts bereits Normalität ist. Im Übrigen löst die gegenwärtige englische Dominanz nur die ältere französische ab [...]
Zwischen 1800 und 1980 schrumpfte der Anteil des Französischen innerhalb der Übernahmen insgesamt von über 58 Prozent auf 8 Prozent, der des englischen Stück von 8 
Prozent im Jahre 1800 auf 88 Prozent im Jahre 1980. [...]
80 
Prozent der sogenannten Anglizismen erwiesen sich als Wörter, die selbst im Griechischen, Lateinischen oder Romanischen wurzeln - man hat treffend von "Eurolatein" gesprochen. Viele übernommene Worte sind im übrigen schlicht Internationalismen, die fast in allen europäischen Sprachen zuhause sind und in gewissem Sinne die Vielfalt reduzieren. [...]" (S.359) 
"Die Allensbach-Umfrage von 2008 förderte eine ziemliche Gelassenheit der Deutschen gegenüber den Anglizismen zutage: Etwas mehr als ein Drittel fühlte sich von ihnen gestört, die Mehrheit jedoch sah in ihnen keine Gefahr, sondern eine Bereicherung.
Dies erscheint deshalb bemerkenswert, weil sich zeigt, dass der Versuch, Anglizismen mithilfe von Gesetzen ab zu wehren, eher kontraproduktiv ist. Das macht einen Blick auf unsere französischen Nachbarn deutlich." (S.359/60)
"Auch bei uns wurde nach der Bundestagswahl im November 2009 die Festschreibung der deutschen Sprache als Verfassungsgrundsatz diskutiert (als Ergänzung von § 22 des Grundgesetzes über die Bundesflagge). Jutta Limbach hat als ehemalige Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts darauf hingewiesen, dass mit einer Grundgesetzänderung nur eines provoziert würde - Tausende klagen pro Jahr. [...]
Nun mögen die Ängste angesichts der Anglizismen trotz ständigen Hochspielens in der Presse zu beschwichtigen sein. Aber die Ängste sitzen ja tiefer: Hinter dem Denglisch droht ja das Englische insgesamt mit Übernahme, und es gibt durch aus ein Terrain, auf dem sie tatsächlich bereits weitgehend vollzogen ist: in den Wissenschaften, besonders in den Naturwissenschaften. [...]
Am Faktum ist nichts mehr zu rütteln, gefragt sind allenfalls Abmilderungen [...]" (S.361) "Dabei geht es nicht nur um die Beteiligung von Wissenschaftlern, die nicht englische Muttersprachler sind, auch um die Vertretung einer anderen als nur angloamerikanischen Wissenschaftskultur mit einem anderen Sprachstil (weniger essayistisch), der in der globalisierten Gemeinschaft nicht wegfallen soll. [...]
Das heikelste Problem bei der Selbstbehauptung der deutschen Sprache im internationalen Sprachenkonzert liegt allerdings dort, wo ist die traditionell immer am schlechtesten aufgestellt war: In der Politik. [...]" 
In der EWG "dominierte das Französische als Arbeits- bzw. Verhandlungssprache.
Als 1973 Großbritannien beitrat, trat schlagartig das Englische an seine Stelle, wogegen die Franzosen einen ständigen, aber wenig erfolgreichen Kampf führten. Immerhin wurde das Französische zusammen mit dem Englischen Arbeitssprache, das Deutsche trotz der zahlenmäßigen Repräsentanz Deutschlands nicht." (S.361/62)
"Der Grund für diese heftig umstrittener Dominanz des Englischen ist letztlich einfach. Schon nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, als die EU bei zwölf Mitgliedstaaten neun Amtssprachen besaß, belegen Berichte von Mitarbeitern ans Chaotische grenzende Verhältnisse. Damals waren 1200 Übersetzer und 650 Dolmetscher im Sprachdienst tätig, mit weiteren Hilfen zusammen 3000 Beamte, was ein Viertel aller EU-Beamten mit Hochschulausbildung ausmachte. [...]
Mittlerweile aber ist die EU auf 27 Mitgliedsstaaten mit 23 Amtssprachen von Bulgarisch bis Ungarisch angewachsen. Für die sich daraus ergeben denn 23 mal 22, also 506 Sprachkombinationen wurde die Zahl der Konferenzdolmetscher auf  800 (plus 2700 Freiberufler) aufgestockt. [...]
Wie dies funktioniert oder eben nicht, kann man nur erahnen. [...]
Mehrsprachigkeit wurde mit der "Akzeptanz des europäischen Gedankens" gleichgestellt
(S.363)
"Das Argument ist zu verstehen, die Vielsprachigkeit Europas ist wesentlich. Nur muss man sich fragen, ob ein symbolischer Ausdruck angemessen ist, wenn daraus erstens Chaos folgt und zweitens wiederum nur einige wenige von dieser Symbolik begünstigt werden. In einer Sprache muss man sich unterhalten, bei jeder weiteren wird die Rechtfertigung zum Eiertanz." (S.364)
"Ein anderes und besonders schwerwiegendes Problem spielt die Sprache der Nachbarn im eigenen Land. Mittlerweile leben in Deutschland mindestens 15 Millionen Personen mit Migrationshintergrund, darunter Deutsche aus dem Ausland ("Spätaussiedler"), nach Deutschland Eingewanderte mit eigener Migrationserfahrung und Deutsche mit Migrationshintergrund durch ihre Eltern. Die daraus resultieren denn Sprachprobleme wurden lange Zeit nicht erkannt bzw. nicht genügend berücksichtigt. Vor allem bei der zahlenmäßig besonders starken Gruppe von Personen mit türkischem Migrationshinter-grund [...] mangelte es an geeigneten Angeboten in beiden Richtungen: Das Lernen der deutschen Sprache wurde zu wenig gefördert, aber auch der Unterricht in der eigenen Muttersprache blieb vernachlässigt. [...]
Die Problematik gerade deutsch-türkischer Kinder ist dabei vielfach beschrieben worden
Seyran Ateş hat in Büchern wie der Multi-Kulti-Irrtum gezeigt, wie sehr Integration von Sprachkenntnissen abhängt [...]
Nicht die Ausbildung einer türkischen Identität führt in eine Parallelgesellschaft, sondern der Mangel an Akzeptanz dieser Identität in der Aufnahmegesellschaft." (S.368/69)

Das Einwanderungsland Australien machte Erfahrungen mit verschiedenen Integrationsstrategien: "äußert negative mit einer aggressiven Assimilierungspolitik und äußerst positive mit der Wende zu Mehrsprachigkeit und Multikulturalität. [...]
Für eine solche Erkenntnis muss man im Übrigen nicht nach Australien gehen, ein Blick auf die Schweiz genügt, um zu sehen, dass Nationen mit verschiedenen Sprachen zurechtkommen." (S.370)

Vor dem 19. Jahrhundert war Deutschland "Mehrsprachigkeit gewöhnt, um 1800 sprach jeder Gebildete Französisch. Und wer noch ein paar Jahrhunderte weiter zurückgeht, stößt auf Latein. Was heute neu ist, ist die "Demokratisierung" der 
Mehrsprachigkeit, eine Mehrsprachigkeit, die nicht von den Gebildeten ausgeht, sondern von der Globalisierung allen aufgezwungen wird. Gut, dass die deutsche Sprache dies in einem Moment erlebt, in dem sie selbst gefestigt ist.
Im 18. Jahrhundert traf die Mehrsprachigkeit zusammen mit einem noch ziemlich bunten Dialektgemisch, mit einer reichlich unausgegorenen Hochsprache. Von Goethe gibt es Bemerkungen, er habe an den Unvollkommenheiten der deutschen Sprache gelitten. Davon kann heute nicht die Rede sein, jedenfalls leiden Grass und Co. höchstens an der Rechtschreibreform." (S.371)

Hier mehr zum und aus dem Buch

21 Mai 2017

Heine: Luther und die deutsche Sprache

Aber dieser Martin Luther gab uns nicht bloß die Freiheit der Bewegung, sondern auch das Mittel der Bewegung; dem Geist gab er nämlich einen Leib. Er gab dem Gedanken auch das Wort. Er schuf die deutsche Sprache. 
Dieses geschah, indem er die Bibel übersetzte. 
In der Tat, der göttliche Verfasser dieses Buchs scheint es ebenso gut wie wir andere gewußt zu haben, daß es gar nicht gleichgültig ist durch wen man übersetzt wird, und er wählte selber seinen Übersetzer, und verlieh ihm die wundersame Kraft, aus einer toten Sprache, die gleichsam schon begraben war, in eine andere Sprache zu übersetzen, die noch gar nicht lebte. [...]
Wie aber Luther zu der Sprache gelangt ist, worin er seine Bibel übersetzte, ist mir bis auf diese Stunde unbegreiflich. Der altschwäbische Dialekt war, mit der Ritterpoesie der hohenstaufenschen Kaiserzeit, gänzlich untergegangen. Der altsächsische Dialekt, das sogenannte Plattdeutsche, herrschte nur in einem Teile des nördlichen Deutschlands, und hat sich, trotz aller Versuche die man gemacht, nie zu literärischen Zwecken eignen wollen. Nahm Luther zu seiner Bibelübersetzung die Sprache, die man im heutigen Sachsen sprach, so hätte Adelung Recht gehabt zu behaupten, daß der sächsische, namentlich der meißnische Dialekt unser eigentliches Hochdeutsch d. h. unsere Schriftsprache sei. Aber dieses ist längst widerlegt worden, und ich muß dieses hier um so schärfer erwähnen, da solcher Irrtum in Frankreich noch immer gang und gebe ist. Das heutige Sächsische war nie ein Dialekt des deutschen Volks, ebenso wenig wie etwa das Schlesische; denn so wie dieses entstand es durch slawische Färbung. Ich bekenne daher offenherzig, ich weiß nicht wie die Sprache, die wir in der lutherschen Bibel finden, entstanden ist. Aber ich weiß, daß durch diese Bibel, wovon die junge Presse, die schwarze Kunst, Tausende von Exemplaren ins Volk schleuderte, die lutherische Sprache in wenigen Jahren über ganz Deutschland verbreitet und zur allgemeinen Schriftsprache erhoben wurde. Diese Schriftsprache herrscht noch immer in Deutschland, und gibt diesem politisch und religiös zerstückelten Lande eine literärische Einheit. Ein solches unschätzbares Verdienst mag uns bei dieser Sprache dafür entschädigen, daß sie, in ihrer heutigen Ausbildung, etwas von jener Innigkeit entbehrt, welche wir bei Sprachen, die sich aus einem einzigen Dialekt gebildet, zu finden pflegen. Die Sprache in Luthers Bibel entbehrt jedoch durchaus nicht einer solchen Innigkeit, und dieses alte Buch ist eine ewige Quelle der Verjüngung für unsere Sprache. Alle Ausdrücke und Wendungen, die in der lutherschen Bibel stehn, sind deutsch, der Schriftsteller darf sie immerhin noch gebrauchen; und da dieses Buch in den Händen der ärmsten Leute, so bedürfen diese keiner besonderen gelehrten Anleitung, um sich literarisch aussprechen zu können. 
Dieser Umstand wird, wenn bei uns die politische Revolution ausbricht, gar merkwürdige Erscheinungen zur Folge haben. Die Freiheit wird überall sprechen können und ihre Sprache wird biblisch sein. 
Luthers Originalschriften haben ebenfalls dazu beigetragen die deutsche Sprache zu fixieren. Durch ihre polemische Leidenschaftlichkeit drangen sie tief in das Herz der Zeit. Ihr Ton ist nicht immer sauber. Aber man macht auch keine religiöse Revolution mit Orangenblüte. Zu dem groben Klotz gehörte manchmal ein grober Keil. In der Bibel ist Luthers Sprache, aus Ehrfurcht vor dem gegenwärtigen Geist Gottes, immer in eine gewisse Würde gebannt. In seinen Streitschriften hingegen überläßt er sich einer plebejischen Rohheit, die oft ebenso widerwärtig wie grandios ist. Seine Ausdrücke und Bilder gleichen dann jenen riesenhaften Steinfiguren, die wir in indischen oder ägyptischen Tempelgrotten finden, und deren grelles Kolorit und abenteuerliche Häßlichkeit uns zugleich abstößt und anzieht. Durch diesen barocken Felsenstil erscheint uns der kühne Mönch manchmal wie ein religiöser Danton, ein Prediger des Berges, der, von der Höhe desselben, die bunten Wortblöcke hinabschmettert auf die Häupter seiner Gegner. 
Merkwürdiger und bedeutender als diese prosaischen Schriften sind Luthers Gedichte, die Lieder, die, in Kampf und Not, aus seinem Gemüte entsprossen. Sie gleichen manchmal einer Blume, die auf einem Felsen wächst, manchmal einem Mondstrahl, der über ein bewegtes Meer hinzittert. Luther liebte die Musik, er hat sogar einen Traktat über diese Kunst geschrieben, und seine Lieder sind daher außerordentlich melodisch. Auch in dieser Hinsicht gebührt ihm der Name: Schwan von Eisleben.  [...]