[...] horch, ich höre das Flämmchen, sie soll uns den Tod und die Auferstehung tanzen.« Die Alte richtete sich auf, wankte in eine Ecke, kniete dort nieder, stemmte die Arme in die Seite, und hob an, ein Lied zu singen, welches Hermann, der, sobald die Türe frei geworden war, hatte entfliehn wollen, mit magischer Gewalt zurückhielt.
Bei seinen Tönen trat Flämmchen ein, im vollen, üppigen Putze, schritt, ohne selbst Hermanns zu achten, wie gefesselt und bezwungen auf die Alte zu, senkte vor ihr das Haupt, und bewegte sich dann nach dem Takte der Melodie rund im Kreise um ihn. Die Worte des Liedes waren wieder aus der fremden Sprache, welche Hermann nicht verstand, aber Melodie und Ausdruck gaben den klaren Sinn. Tief und wehmutsvoll klangen die ersten Strophen, ein Schmerz, der keine Grenzen und keinen Namen hat, zitterte in ihnen, aber gehalten und bewußt. Auf einmal fielen in einem ganz wunderbaren, raschen Tempo wirbelnde, schneidende Töne ein, und zuletzt sprudelte daraus ein Gewimmel von Lauten hervor, als wollten Rhythmus, Worte, Musik einander aufheben und vernichten, ohne daß gleichwohl die dämonische Harmonie in diesem Aufruhre aller Takt – und Tongesetze unterging. Angemessen dem Liede waren die Tanzbewegungen Flämmchens. Das Haupt gesenkt, die Arme schlaff am Leibe niederhangend, den Leib matt in den Hüften wiegend, setzte sie die kleinen, wie durch Starrsucht gefesselten Schritte, lieblich immer, aber träge in die Runde. Es war mehr ein Schleichen, als ein Gehn, die Augen hielt sie halbgeschlossen, die Lippen waren wie von Erschöpfung geöffnet. So gab sie das Bild einer sterbenden Magdalena, an deren süßen Fleische schon der grimmige Freudenhasser nagt. Bald ging dieses Schleichen in ein völliges Stocken über, kaum merklich waren noch die Bewegungen, sie erstarrte endlich, sich auf die Knie niederlassend, zu einer Gestalt von Stein, durch deren Adern und Fibern es nur noch wie ein unseliges Rieseln und Wirbeln lief. Der Anblick dieses schönen Mädchenkörpers, seiner leisen, zuckenden Regungen war unbeschreiblich rührend, die Augen tat sie auf, und warf auf Hermann einen erloschnen Blick, vor dem er gleichwohl die seinigen senken mußte. Denn es rief aus demselben wie mit schluchzendem Munde: »Erlöse mich, o du mein Geliebter, aus den Krallen der zerwühlenden Elemente!« So blieb sie einige Sekunden haften, dann aber warfen die raschen schneidenden Strophen der Alten den Aufruhr auch in ihre Glieder. Sie erhob die Arme, sie richtete sich auf ihre Füße, vorwärts und rückwärts flog der Leib, von den geschwungnen Schenkeln bewegt; immer wilder, zerbrochner wurde dieser rasende Tanz, die Glieder schienen sich voneinander zu lösen und dahin und dorthin zu zerflattern, endlich schwebte das lemurische Gebilde hauchartig in den Lüften, denn kaum den Fußboden noch berührten die Spitzen der Zehen. Die Kreise hatte das tanzende Schattenähnliche aufgegeben, in einer geraden Linie schwebte es gegen den Sarkophag in der Nische, von welcher die Alte den Vorhang hinweggezogen hatte, und zitterte dann mit ängstlichem Wenden von seinem Mumieninhalte zurück. Nachdem dieses Hinan – und Zurückschweben einige Male stattgefunden hatte, verklang das Lied der Alten.
Immermann: Die Epigonen, 7. Buch, 14. Kapitel
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09 November 2014
07 November 2014
Flämmchen wird älter
Der Prinz zu Hermann über Flämmchen:
Nun, Ihre Erziehungsplane sind nicht geglückt, anstatt eines Kunstprodukts hat Natur das wundersamste, entzückendste Geschöpf ausgebildet. Ich behaupte, wer sie tanzen gesehn, kann nie wieder ganz unglücklich werden. Wäre ich ein Freund von Paradoxen, so würde ich sagen: Sie tanzt Geschichte, Fabel, Religion, ihre begeisterten Wendungen und Stellungen weihen uns in die geheimsten Dinge ein. [...]
Mit dem Rufe: »Liebster! Bester! Einziger!« hing sie ihm am Halse und die leidenschaftlichsten Küsse brannten auf seinen Lippen. »Habe ich dich endlich wieder!« rief sie, indem sie ihm Augen und Stirn küßte. »Nun aber werde ich dich nicht lassen, nun sollst du mein werden, sie mögen tun, was sie wollen.« [...]
Was er in den folgenden Tagen von der Lebensweise Flämmchens hörte, war das Ausschweifendste von der Welt. Sie hatte wirklich in ihrem einsamen Landhause eine Art von Hof oder Menagerie, wie man es nennen will, versammelt, bestehend aus den wildesten jungen Leuten der Residenz, die, durch den Ruf ihrer Schönheit angelockt, dorthin geströmt waren. Mit ihnen wurden die tollsten Streiche verübt, zuweilen toste dieses wütende Heer bei Nacht auf schnellen Pferden unter entsetzlichem Geschrei durch die Gegend, so daß die Landleute in ihren stillen Hütten sich vor dem Unwesen segneten, oder man sprengte falsche Nachrichten von Räuberbanden und Unglücksfällen aus, welche Scharwachen und Beamte aufregten, so daß sich auch schon die Polizei hier in das Mittel hatte legen wollen, jedoch höheren Ortes bedeutet worden war, solches zu unterlassen, da sich denn doch alles außer dem Bereiche eigentlicher Vergehungen hielt. Am brausendsten aber schäumte Flämmchens üppige Lebenskraft im Tanze aus. [...]
Das ist nun der Tanz, den ich nicht lassen kann, der mich mir selbst wiedergibt, wenn der Weltgraus mich überwinden und in mir einziehen will. Könntest du mich lieben, und immer bei mir sein, so wäre alles gut, dann hätte ich eine Stütze und würde auch aufhören zu tanzen; leider wird es nicht so gut werden.«
Immermann: Die Epigonen, 7. Buch, 8. und 9. Kapitel
01 November 2014
Flämmchens Tanz
Einen Kranz auf dem Haupte, und einen in jeder Hand haltend, schritt das Mädchen gemessen, fast feierlich, erst rund um die Felsenplatte, als vollziehe sie die Weihe des Orts. Dann in die Mitte sich stellend, wandte sie ihr glänzendes Antlitz gegen den Mond, und begann nun, immer seiner leuchtenden Scheibe zugekehrt, ihren ausdrucksvollen Tanz. Bald neigte sie sich ihm mit zärtlicher Gebärde entgegen, bald schien sie vor ihm verstellterweise zu fliehn, jetzt hob sie den einen, dann den andern Kranz lockend empor, darauf ließ sie beide sinken, verwechselte sie, warf sie in die Luft, daß sie dort Bogen beschrieben, und fing sie jederzeit gewandt und zierlich wieder auf, während Füße und Leib ihr anmutiges Spiel fortsetzten. DerSinn dieses Tanzes war ein liebliches Gedicht; der kalte hohe Freund da oben, sollte zur Erde herabgezogen werden, mit welcher er einst in größerer Vertraulichkeit gelebt habe, und auf der jede Sehnsucht nur eine Erinnrung an diese schöne Liebeszeit sei. Was ihre Bewegungen an diesem Mondscheinmärchen noch dunkel ließen, deuteten Strophen aus, die sie dazwischen absang, und womit sie sich den Takt anzugeben schien. Sie hatten alle ein gewisses Metrum, bestanden aber oft nur aus abgebrochnen Worten, deren Verbindung die Zuhörenden ergänzen mußten. Die Alte gab zuweilen in einer fremden Sprache, welche weder der Arzt, noch der Domherr verstand, eine Art von Refrain zu vernehmen.
Immermann: Die Epigonen,
Immermann: Die Epigonen,
29 Oktober 2014
Flämmchen
Flämmchens Fluchtgeschichte war einfach genug. Das Mädchen war die Tochter eines polnischen Offiziers, der, unter den Fahnen des Eroberers dienend, Mutter und Kind auf den Kriegszügen durch Deutschland mit sich umhergeführt hatte. Er blieb in einer großen Schlacht, bald nachher starb auch seine Geliebte, eine Spanierin, von Klima und Mangel aufgezehrt. Aus den Händen armer Leute empfing der Komödiant das elternlose Geschöpf. Er war ein gutmütiger Mensch und spielte schon damals edle Väter. Der Anblick des kleinen Wesens, dem die Augen wie Kohlen im Kopfe brannten, und welches aus seinen Lumpen so keck hervorsah, als sei es eine Prinzessin, rührte ihn. Er ließ das Kind sich abtreten, und beschloß, es zu seinem Gewerbe anzuführen. Indessen brachte ihm diese wohltätige Handlung keinen Segen, sondern nur Herzeleid. Fiametta, die lieber Flämmchen heißen wollte, war das eigensinnigste, widerspenstigste Ding, was polnisches und spanisches Blut, vereinigt erzeugen können. Die sogenannte Erziehung, welche ihr in jener Komödiantenwirtschaft zuteil wurde, fruchtete nichts, und unmöglich war es, sie zum Auftreten zu bewegen. Sie begreife nicht, sagte sie, wozu das dumme Zeug, wie sie das Schauspiel nannte, diene? der falsche Vater lüge ja den ganzen Tag über, warum er denn des Abends zu seinen Lügen die fremden Kleider anziehe?
Immermann: Epigonen,
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