31 Juli 2022

Peter Bichsel: Ein flugtüchtiger Engel

Ich hatte "fluguntüchtiger Engel" gelesen und mir deshalb die Erzählung vorgenommen.

Ein flugtüchtiger Engel ist so etwas wie ein flugtüchtiger Habicht oder ein weißer Schimmel. Da Engel vom Himmel kommen, müssen sie ja fliegen können, deshalb gibt "flugtüchtiger Engel" keinen Sinn. 

Dann kommt da die Geschichte über das Änneli, das jeder kennt, über das aber niemand etwas weiß, außer dass es mit dem Kari zusammengehört (denn "männliche Namen bleiben im Schweizerdeutschen auch in der Verkleinerungsform männlich, weibliche Namen werden in der Verkleinerungsform sächlich" (S.85) ). Sie weiß aber auch nichts über sich. Der Erzähler hat aber einmal ein Foto von ihr bekommen, das er auf Ännelis Wunsch immer wieder vorzeigen muss. "Das Kind kann nicht älter sein als zwölf, aber es hat den Kopf einer alten Frau, den Kpf von Änneli - alle erkennen sie gleich." (S.87)

"Ich stelle mir das schnelle und kräftige Änneli immer wieder fliegend vor. Sollte es wirklich Engel geben, Änneli wird ein außerordentlich  flugtüchtiger Engel sein." (S.87)

in: Peter BichselÜber Gott und die Welt. Texte zur Religion (Hrsg. Andreas Mauz). Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009 (st 4154), S.84-87

Warum flugtüchtig? Vielleicht, weil menschliche Engel sich meist für andere aufopfern und Änneli noch in hohem Alter sehr gut allein zurecht kam?

29 Juli 2022

Salomos Tempelbau

1. Könige Kapitel 5  1Vers6 Und Salomo sandte zu Hiram und ließ ihm sagen: 17 Du weißt, daß mein Vater David dem Namen des Herrn, seines Gottes, kein Haus bauen konnte wegen der Kriege, in die [seine Feinde] ihn verwickelten, bis der Herr sie unter seine Fußsohlen legte. 18 Nun aber hat mir der Herr, mein Gott, ringsum Ruhe verschafft, so daß kein Widersacher noch ein bösartiger Angriff mehr [zu erwarten] ist. 19 Siehe, nun gedenke ich dem Namen des Herrn, meines Gottes, ein Haus zu bauen, so wie der Herr zu meinem Vater David geredet hat, indem er sprach: Dein Sohn, den ich an deiner Stelle auf den Thron setzen werde, der soll meinem Namen ein Haus bauen!

20 So gebiete nun, daß man mir Zedern vom Libanon haut; und meine Knechte sollen mit deinen Knechten sein, und den Lohn deiner Knechte will ich dir geben, soviel du verlangst; denn dir ist bekannt, daß niemand unter uns ist, der Holz zu hauen versteht wie die Zidonier!
21 Als nun Hiram die Worte Salomos hörte, da freute er sich sehr und sprach: Der Herr sei heute gelobt, der David einen weisen Sohn gegeben hat über dieses große Volk! 22 Und Hiram sandte zu Salomo und ließ ihm sagen: Ich habe [die Botschaft] gehört, die du mir gesandt hast; ich will nach all deinem Begehren handeln betreffs des Zedern- und Zypressenholzes. 23 Meine Knechte sollen [die Stämme] vom Libanon an das Meer hinabbringen; darauf will ich sie als Flöße auf dem Meer bis an den Ort bringen, den du mir angeben wirst, und ich will sie wieder zerlegen lassen, und du sollst sie holen lassen. Aber du sollst auch mein Begehren erfüllen und mir geben, was mein Haus an Speise braucht!
24 So gab Hiram dem Salomo Zedern- und Zypressenholz nach all seinem Begehren. 25 Salomo aber gab dem Hiram 20 000 Kor Weizen zur Speise für sein Haus und 20 Kor feines Olivenöl. Dies gab Salomo dem Hiram alljährlich. 26 Und der Herr gab Salomo Weisheit, wie er ihm verheißen hatte; und es war Friede zwischen Hiram und Salomo; und die beiden machten einen Bund miteinander.
27 Der König Salomo rekrutierte auch Fronarbeiter aus ganz Israel; und die Zahl der Fronarbeiter betrug 30 000 Mann. 28 Und er sandte sie abwechselnd auf den Libanon, jeden Monat 10 000 Mann, so daß sie einen Monat auf dem Libanon waren und zwei Monate daheim. Und Adoniram war über die Fronarbeiter gesetzt. 29 Und Salomo hatte 70 000 Lastträger und 80 000 Steinhauer im Gebirge, 30 ohne die Oberaufseher Salomos, die über das Werk gesetzt waren, nämlich 3 300, die über das Volk, das am Werk arbeitete, zu gebieten hatten. 31 Und der König gebot, und sie brachen große Steine aus, kostbare Steine, um den Grund[2] des Hauses mit Quadersteinen zu legen. 32 Und die Bauleute Salomos und die Bauleute Hirams und die Gibliter behauten sie und bereiteten das Holz und die Steine für den Bau des Hauses.
6
1 Und es geschah im vierhundertachtzigsten Jahr nach dem Auszug der Kinder Israels aus dem Land Ägypten, im vierten Jahr der Regierung Salomos über Israel, im Monat Siv, das ist der zweite Monat, da baute er dem Herrn das Haus.
2 Das Haus[1] aber, das der König Salomo dem Herrn baute, war 60 Ellen lang, 20 Ellen breit und 30 Ellen hoch. 3 Und die Vorhalle vor der Tempelhalle des Hauses:[2] 20 Ellen lang, gemäß der Breite des Hauses, und 10 Ellen breit, vor dem Haus her. 4 Und er machte am Haus Fenster mit fest eingefügtem Gitterwerk. 5 Und er baute an die Wand des Hauses einen Anbau ringsum, an die Wände des Hauses ringsum, sowohl der Tempelhalle als auch des Sprachortes,[3] und erstellte Seitenräume ringsum. 6 Das unterste Stockwerk war 5 Ellen breit, das mittlere 6 Ellen und das dritte 7 Ellen breit; denn er machte Absätze an der Außenseite des Hauses ringsum, so daß sie nicht in die Wände des Hauses eingriffen.
7 Und als das Haus erbaut wurde, da wurde es aus Steinen gebaut, die fertig behauen aus dem Bruch kamen, so daß man weder Hammer noch Meißel noch sonst ein eisernes Werkzeug im Haus hörte, während es erbaut wurde. 8 Der Eingang zum mittleren Stockwerk[4] befand sich an der rechten Seite[5] des Hauses, und man stieg auf Wendeltreppen hinauf zum mittleren und vom mittleren zum dritten Stockwerk. 9 So baute er das Haus und vollendete es; und er deckte das Haus mit Brettern und Balkenreihen aus Zedernholz. 10 Er baute auch den Anbau am ganzen Haus, 5 Ellen hoch, und verband ihn mit dem Haus durch Zedernbalken.
11 Und es erging das Wort des Herrn an Salomo: 12 Was dieses Haus betrifft, das du gebaut hast: Wenn du in meinen Satzungen wandeln und meine Rechte tun und alle meine Gebote befolgen wirst, so daß du darin wandelst, so will ich mein Wort an dir erfüllen, das ich deinem Vater David verheißen habe; 13 und ich will in der Mitte der Kinder Israels wohnen und will mein Volk Israel nicht verlassen!
14 So baute Salomo das Haus und vollendete es. 15 Und er verkleidete die Wände des Hauses inwendig mit Brettern von Zedern, vom Boden des Hauses an bis zum Mauerwerk der Decke, und täfelte es inwendig mit Holz und belegte den Boden des Hauses mit Brettern aus Zypressenholz. 16 Und er baute [einen Abschnitt] von 20 Ellen von der hinteren Seite des Hauses her mit Zedernbrettern, vom Boden bis zum Mauerwerk, und baute es für ihn[6] inwendig aus zum Sprachort, zum Allerheiligsten. 17 Und das Haus, das ist die Tempelhalle, war 40 Ellen lang vor [dem Sprachort]. 18 Und das Zedernholz inwendig am Haus war Schnitzwerk von Koloquinten und offenen Blumen. Alles war aus Zedernholz, so daß man keinen Stein sah.
19 Und den Sprachort richtete er im Inneren des Hauses her, um die Bundeslade des Herrn dorthin zu stellen. 20 Und das Innere des Sprachortes: 20 Ellen lang und 20 Ellen breit und 20 Ellen hoch. Er überzog ihn mit feinem Gold; auch den Altar aus Zedernholz überzog er damit.
21 Und Salomo überzog das Haus inwendig mit feinem Gold, und er zog goldene Ketten vor dem Sprachort her, den er mit Gold überzogen hatte. 22 Und das ganze Haus überzog er mit Gold, das ganze Haus vollständig. Auch den ganzen Altar, der zum Sprachort gehörte,[7] überzog er mit Gold.
23 Er machte im Sprachort auch zwei Cherubim aus Ölbaumholz[8], 10 Ellen hoch. 24 Der eine Flügel des Cherubs maß 5 Ellen und der andere Flügel des Cherubs 5 Ellen; 10 Ellen waren es vom Ende des einen Flügels bis zum Ende des anderen Flügels. 25 Auch der andere Cherub hatte 10 Ellen [Flügelweite]. Beide Cherubim hatten ein Maß und eine Form. 26 Die Höhe des einen Cherubs betrug 10 Ellen, ebenso die Höhe des anderen Cherubs. 27 Und er stellte die Cherubim ins innerste Haus. Und die Cherubim breiteten ihre Flügel aus, so daß der Flügel des einen Cherubs die eine Wand und der Flügel des anderen Cherubs die andere Wand berührte. Und in der Mitte des Hauses berührte ein Flügel den anderen. 28 Und er überzog die Cherubim mit Gold.
29 Und an allen Wänden des Hauses ließ er Schnitzwerk anbringen von Cherubim und Palmen und offenen Blumen, innerhalb und außerhalb. 30 Auch den Boden des Hauses überzog er mit Gold, innerhalb und außerhalb.
31 Den Eingang zum Sprachort versah er mit Türen aus Ölbaumholz. Die Türfassungen bildeten einen fünffach gestaffelten Rahmen. 32 Und er machte zwei Türflügel aus Ölbaumholz und ließ darauf Schnitzwerk von Cherubim, Palmen und offenen Blumen anbringen und überzog sie mit Gold; und auf die Cherubim und die Palmen hämmerte er das Gold.
33 Und ebenso machte er für den Eingang der Tempelhalle Türfassungen aus Ölbaumholz, mit einem vierfach gestaffelten Rahmen, 34 und zwei Türflügel aus Zypressenholz; aus zwei drehbaren Blättern bestand der eine Flügel, und aus zwei drehbaren Blättern der andere Flügel. 35 Und er machte darauf Schnitzwerk von Cherubim, Palmen und offenen Blumen und überzog sie mit Gold, das dem Schnitzwerk angepaßt war. 36 Auch baute er den inneren Vorhof mit drei Lagen Quadersteinen und einer Lage Zedernbalken.[9]
37 Im vierten Jahr, im Monat Siv, wurde der Grund zum Haus des Herrn gelegt; 38 und im elften Jahr, im Monat Bul, das ist im achten Monat, wurde das Haus vollendet nach allen seinen Plänen und Vorschriften, so daß er sieben Jahre lang daran gebaut hatte.
7
1 Aber an seinem Haus baute Salomo 13 Jahre lang, bis er sein ganzes Haus vollendet hatte. 2 Er baute nämlich das Haus des Libanon-Waldes; 100 Ellen lang, 50 Ellen breit und 30 Ellen hoch; auf vier Reihen von Zedernsäulen, auf denen Zedernbalken lagen; 3 und ein Dach von Zedernholz oben über den Gemächern, die über den Säulen lagen, deren Zahl 45 betrug, je 15 in einer Reihe. 4 Und [es hatte] Fensterrahmen in drei Reihen, und [zwar] Fenster gegenüber Fenster, dreimal. 5 Und alle Türen und Pfosten waren viereckig, mit einem Rahmen versehen, ein Fenster gegenüber dem anderen, dreimal.
6 Und er errichtete eine Säulenhalle, 50 Ellen lang und 30 Ellen breit, und vor ihr noch eine Vorhalle mit Säulen und einem vorspringenden Schirmdach davor.
7 Dazu erbaute er eine Thronhalle, wo er richtete, nämlich die Halle des Gerichts, und er täfelte sie mit Zedernholz vom Fußboden bis zur Decke. 8 Und sein Haus, in dem er wohnte, im anderen Hof, einwärts von der Halle, war von der gleichen Bauart. Und Salomo baute auch für die Tochter des Pharao, die er sich zur Frau genommen hatte, ein Haus gleich dieser Halle.
9 Dies alles wurde aus kostbaren Steinen gefertigt, nach Maß behauen, mit der Säge geschnitten auf der Innen- und Außenseite, vom Grund an bis zum Dach[1], und draußen bis zum großen Hof. 10 Die Grundfesten aber bestanden aus kostbaren, großen Steinen, aus Steinen von 10 Ellen und von 8 Ellen [Länge], 11 und darüber lagen kostbare Steine, nach Maß behauen, und Zedernbalken. 12 Aber der große Hof ringsumher hatte [eine Mauer von] drei Lagen behauener Steine und einer Lage Zedernbalken; ebenso der innere Hof des Hauses des Herrn und die Vorhalle des Hauses[2].

Die Ausstattung des Tempels und seine Geräte

→ 2Chr 2,12-142Chr 3,15-172Chr 4,2-6

13 Und der König Salomo sandte hin und ließ Hiram von Tyrus holen; 14 der war Sohn einer Witwe aus dem Stamm Naphtali; sein Vater aber war ein Mann aus Tyrus, ein Erzschmied. Der war voll Weisheit, Verstand und Kunstsinn, um allerlei Arbeiten in Erz auszuführen; und er kam zum König Salomo und führte alle Arbeiten für ihn aus.
15 Und er bildete die beiden ehernen Säulen; 18 Ellen hoch war jede Säule, ein Faden von 12 Ellen konnte sie umspannen. 16 Und er machte zwei Kapitelle, aus Erz gegossen, um sie oben auf die Säulen zu setzen, und jedes Kapitell war 5 Ellen hoch. 17 Netzförmiges Geflecht und Schnüre wie Ketten waren an den Kapitellen oben auf den Säulen, sieben an dem einen Kapitell und sieben an dem anderen Kapitell. 18 Und so machte er die Säulen; und zwei Reihen [von Granatäpfeln] gingen rings um das eine Geflecht, um die Kapitelle zu bedecken, die oben [auf den Säulen] waren, und ebenso machte er es an dem anderen Kapitell. 19 Und die Kapitelle oben auf den Säulen waren gemacht wie die Lilien in der Vorhalle, 4 Ellen [hoch]. 20 Und es waren Kapitelle auf den beiden Säulen auch oberhalb, nahe bei dem Wulst, der hinter dem Geflecht war. Und es gab 200 Granatäpfel, ringsum in Reihen geordnet, [an dem einen und] an dem zweiten Kapitell. 21 Und er richtete die Säulen auf beim Vorraum zur Tempelhalle; und er richtete die rechte Säule auf und gab ihr den Namen Jachin[3], und er richtete die linke Säule auf und gab ihr den Namen Boas[4]22 Und oben auf die Säulen kam das Lilienwerk. Damit war die Arbeit an den Säulen vollendet. [...]
Und alle diese Geräte, die Hiram dem König Salomo machte für das Haus des Herrn, waren aus glänzendem Erz. 46 In der Jordanebene ließ sie der König gießen in lehmiger Erde, zwischen Sukkot und Zartan. 47 Und Salomo ließ alle diese Geräte [ungewogen] wegen der sehr großen Menge des Erzes; das Gewicht des Erzes konnte man nicht ermitteln.
48 Salomo machte auch alle Geräte, die zum Haus des Herrn gehörten: den goldenen Altar und den goldenen Tisch, auf dem die Schaubrote lagen, 49 und die Leuchter, fünf zur Rechten und fünf zur Linken, vor dem Sprachort, aus feinem Gold, mit Blumenwerk, Lampen und Lichtscheren aus Gold. 50 Dazu Schüsseln, Messer, Sprengschalen, Pfannen und Räucherpfannen aus feinem Gold. Auch die Angeln an den Türen des inneren Hauses, des Allerheiligsten, und an den Türen der Tempelhalle waren aus Gold.
51 Und so wurde das ganze Werk vollendet, das der König Salomo für das Haus des Herrn ausführte. Und Salomo brachte hinein, was sein Vater David geheiligt hatte: das Silber und das Gold und die Geräte legte er in die Schatzkammer des Hauses des Herrn.
Schlachter-Bibel (Wikipedia)

27 Juli 2022

Richard Wagner: Götterdämmerung

Im Wartezimmer hatte ich die Gelegenheit, ein Vorwort zur Götterdämmerung aus DDR-Zeit zu lesen. Der Eifer, mit dem der Autor betonte, dass Wagner seinen ursprünglichen Entwurf 1848 verfasste und dass der Text der Tetralogie vom Ring der Nibelungen schon fertig gewesen sei, als Wagner noch ganz unter dem Einfluss Proudhons  und Feuerbachs stand und noch nicht Schopenhauer gelesen hatte, war mir bemerkenswert. So viel Bemühen, Wagner als optimistischen Revolutionär im Kampf gegen das Kapital (Symbol: Gold) zu sehen! Auf die gekünstelt altdeutsche Sprache und den Antisemitismus ging der Autor, so weit ich im Wartezimmer gelesen habe, überhaupt nicht ein. 

Da habe ich mir noch einmal den Wikipediaartikel vorgenommen und wenigstens zwei Textstellen herausgesucht. (Bei Gelegenheit füge ich im Anschluss an den Text noch die kritische Sicht Fontanes auf die Behandlung des Mythos  und andererseits einen selbstironischen Text Wagners, der gar nicht zu meiner gefühlmäßigen Ablehnung von Wagnerschwulst passt.)

Meine Annäherung an Wagner kam sehr spät (2016); aber in ganz kleinen Happen, kann ich ihn inzwischen aufnehmen.


Richard Wagner: Götterdämmerung (Wikipedia)

1. Aufzug, 1. Szene

"[...] Das Geschwisterpaar erkennt den verschlagenen Hagen neidlos als Ratgeber an. Listig hält er ihnen vor, noch unvermählt zu sein, und fädelt einen geschickten Plan ein: Für Gunther weiß er ein „Weib“, „das herrlichste der Welt“ – Brünnhilde –, das indes nur Siegfried vom feuerumloderten Berg holen kann. Dieser aber werde Gunthers Bitte erfüllen, um dafür Gutrune als Ehefrau zu gewinnen. Gutrune mag nicht glauben, dass der „herrlichste Held der Welt“ sie begehren könne. Doch Hagen erinnert an einen Trank: Genösse Siegfried den, vergäße er, „daß je ein Weib ihm genaht“. Die Geschwister stimmen diesem Plan begeistert zu, ohne zu bedenken, welches Weib Siegfried vergäße. In Wahrheit freilich geht es Hagen ausschließlich um den Ring.

Auf seiner Rheinfahrt legt Siegfried bei der Gibichungenhalle an. Gutrune reicht ihm den von Hagen präparierten Begrüßungstrunk. Kaum hat er diesen „in einem langen Zuge“ geleert, hat er Brünnhilde vergessen. Er entbrennt in wilder Leidenschaft für Gutrune und ist sogleich bereit, für Gunther die gewünschte Braut – Brünnhilde – zu holen, wenn er dadurch „Gutrun zum Weib“ gewinnt. Er schließt mit Gunther Blutsbrüderschaft und drängt: „Frisch auf die Fahrt!“, denn, so erklärt er seinem Blutsbruder: „Um die Rückkehr ist’s mir jach!“. Gunther und Siegfried besteigen das Schiff. Hagen bleibt zurück und bewacht die Halle. Im Selbstgespräch höhnt er ihnen nach: „Ihr freien Söhne, frohe Gesellen, segelt nur lustig dahin! Dünkt er euch niedrig, ihr dient ihm doch, des Niblungen Sohn.“ [...]"

(Wikipedia)

Text:

"Hagen
In sommerlich reifer Stärke
seh' ich Gibichs Stamm,
dich, Gunther, unbeweibt,
dich, Gutrun', ohne Mann.

Gunther
Wen rätst du nun zu frein,
daß unsrem Ruhm es fromm'?

Hagen
Ein Weib weiß ich,
das herrlichste der Welt:
auf Felsen hoch ihr Sitz;
ein Feuer umbrennt ihren Saal;
nur wer durch das Feuer bricht,
darf Brünnhildes Freier sein.

Gunther
Vermag das mein Mut zu bestehn?

Hagen
Einem Stärkren noch ist's nur bestimmt.

Gunther
Wer ist der streitlichste Mann?

Hagen
Siegfried, der Wälsungen Sproß:
der ist der stärkste Held.
Ein Zwillingspaar,
von Liebe bezwungen,
Siegmund und Sieglinde,
zeugten den echtesten Sohn.
Der im Walde mächtig erwuchs,
den wünsch' ich Gutrun' zum Mann.

Gutrune
Welche Tat schuf er so tapfer,
daß als herrlichster Held er genannt?

Hagen
Vor Neidhöhle den Niblungenhort
bewachte ein riesiger Wurm:
Siegfried schloß ihm den freislichen Schlund,
erschlug ihn mit siegendem Schwert.
Solch ungeheurer Tat
enttagte des Helden Ruhm.

Gunther
Vom Niblungenhort vernahm ich:
er birgt den neidlichsten Schatz?

Hagen
Wer wohl ihn zu nützen wüßt',
dem neigte sich wahrlich die Welt.

Gunther
Und Siegfried hat ihn erkämpft?

Hagen
Knecht sind die Niblungen ihm.

Gunther
Und Brünnhild' gewänne nur er?

Hagen
Keinem andren wiche die Brunst.

Gunther
Was weckst du Zweifel und Zwist!
Was ich nicht zwingen soll,
darnach zu verlangen machst du mir Lust?

Hagen
Brächte Siegfried die Braut dir heim,
wär' dann nicht Brünnhilde dein?

Gunther
Was zwänge den frohen Mann,
für mich die Braut zu frein?

Hagen
Ihn zwänge bald deine Bitte,
bänd' ihn Gutrun' zuvor.

Gutrune
Du Spötter, böser Hagen,
wie sollt' ich Siegfried binden?
Ist er der herrlichste Held der Welt,
der Erde holdeste Frauen
friedeten längst ihn schon.

Hagen
Gedenk des Trankes im Schrein;
vertraue mir, der ihn gewann:
den Helden, des du verlangst,
bindet er liebend an dich.
Träte nun Siegfried ein,
genöss' er des würzigen Tranks,
daß vor dir ein Weib er ersah,
daß je ein Weib ihm genaht,
vergessen müßt' er des ganz.
Nun redet: wie dünkt euch Hagens Rat?

Gunther
Gepriesen sei Grimhild',
die uns den Bruder gab!

Gutrune
Möcht' ich Siegfried je ersehn!

Gunther
Wie fänden ihn wir auf?

Hagen
Jagt er auf Taten wonnig umher,
zum engen Tann wird ihm die Welt:
wohl stürmt er in rastloser Jagd
auch zu Gibichs Strand an den Rhein.

Gunther
Willkommen hieß' ich ihn gern.
Vom Rhein her tönt das Horn."


[...]


3. Aufzug, 3. (letzte) Szene

Während der folgenden Trauermusik verwandelt sich die Bühne wieder in die Gibichungenhalle. Die von Albträumen gequälte Gutrune irrt durch die Nacht. Sie glaubt, sie habe Brünnhilde gesehen, wie sie zum Ufer des Rheines schritt. Der tote Siegfried wird gebracht. Hagen brüstet sich trotzig mit dem Mord, weil der Tote „Meineid sprach“. Er macht „Heiliges Beuterecht“ geltend und fordert den Ring. Gunther stellt sich ihm in den Weg, doch Hagen erschlägt ihn und „greift nach Siegfrieds Hand; diese hebt sich drohend empor“. Alles schreckt zurück. Jetzt erscheint Brünnhilde und befiehlt, einen Scheiterhaufen am Rande des Rheins zu errichten, in dessen Flammen Siegfried, sie selbst und Grane verbrannt werden sollen. Noch einmal preist sie den Toten. Den Rheintöchtern, die sie am Ufer besucht hat, dankt sie „redlichen Rat“. Sie weiß jetzt alles. Sie zieht den Ring von Siegfrieds Finger. Aus ihrer Asche sollen die Rheintöchter den durch das Feuer vom Fluch Gereinigten an sich nehmen. Dann wirft sie eine Fackel in den Holzstoß, besteigt Grane „und sprengt mit einem Satze in den brennenden Scheiterhaufen“. Als das Feuer am höchsten lodert, tritt der Rhein über die Ufer, der Brand erlischt, die Rheintöchter schwimmen heran. Als Hagen diese erblickt, stürzt er sich mit dem Ruf: „Zurück vom Ring!“ in die Flut. Doch die Rheintöchter ziehen ihn in die Tiefe. In einem hellen Feuerschein am Himmel sieht man das brennende Walhall. „Als die Götter von den Flammen gänzlich verhüllt sind, fällt der Vorhang.“

(Wikipedia)

Text:

Brünnhilde (allein in der Mitte; nachdem sie lange, zuerst mit tiefer Erschütterung, dann mit fast überwältigender Wehmut das Angesicht Siegfrieds betrachtet, wendet sie sich mit feierlicher Erhebung an die Männer und Frauen)
Starke Scheite schichtet mir dort
am Rande des Rheins zuhauf!
Hoch und hell lodre die Glut,
die den edlen Leib
des hehrsten Helden verzehrt.
Sein Roß führet daher,
daß mit mir dem Recken es folge;
denn des Helden heiligste Ehre zu teilen,
verlangt mein eigener Leib.
Vollbringt Brünnhildes Wunsch!

(Die jüngeren Männer errichten während des Folgenden vor der Halle nahe am Rheinufer einen mächtigen Scheiterhaufen, Frauen schmücken ihn mit Decken, auf die sie Kräuter und Blumen streuen.)

Wie Sonne lauter strahlt mir sein Licht:
der Reinste war er, der mich verriet!
Die Gattin trügend, treu dem Freunde,
von der eignen Trauten, einzig ihm teuer,
schied er sich durch sein Schwert.
Echter als er schwur keiner Eide;
treuer als er hielt keiner Verträge;
lautrer als er liebte kein andrer:
und doch, alle Eide, alle Verträge,
die treueste Liebe trog keiner wie er!
Wißt ihr, wie das ward?

(Nach oben blickend.)

O ihr, der Eide ewige Hüter!
Lenkt euren Blick auf mein blühendes Leid,
erschaut eure ewige Schuld!
Meine Klage hör, du hehrster Gott!
Durch seine tapferste Tat,
dir so tauglich erwünscht,
weihtest du den, der sie gewirkt,
dem Fluche, dem du verfielest:
mich mußte der Reinste verraten,
daß wissend würde ein Weib!
Weiß ich nun, was dir frommt?
Alles, alles, alles weiß ich,
alles ward mir nun frei!
Auch deine Raben hör' ich rauschen;
mit bang ersehnter Botschaft
send' ich die beiden nun heim.
Ruhe, ruhe, du Gott!

(Sie winkt den Mannen, Siegfrieds Leiche auf den Scheiterhaufen zu tragen; zugleich zieht sie von Siegfrieds Finger den Ring und betrachtet ihn sinnend.)

Mein Erbe nun nehm' ich zu eigen.
Verfluchter Reif! Furchtbarer Ring!
Dein Gold fass' ich und geb' es nun fort.
Der Wassertiefe weise Schwestern,
des Rheines schwimmende Töchter,
euch dank' ich redlichen Rat.
Was ihr begehrt, ich geb es euch:
aus meiner Asche nehmt es zu eigen!
Das Feuer, das mich verbrennt,
rein'ge vom Fluch den Ring!
Ihr in der Flut löset ihn auf,
und lauter bewahrt das lichte Gold,
das euch zum Unheil geraubt.

(Sie hat sich den Ring angesteckt und wendet sich jetzt zu dem Scheiterhaufen, auf dem Siegfrieds Leiche ausgestreckt liegt. Sie entreißt einem Manne den mächtigen Feuerbrand, schwingt diesen und deutet nach dem Hintergrund.)

Fliegt heim, ihr Raben!
Raunt es eurem Herren,
was hier am Rhein ihr gehört!
An Brünnhildes Felsen fahrt vorbei.
Der dort noch lodert,
weiset Loge nach Walhall!
Denn der Götter Ende dämmert nun auf.
So – werf' ich den Brand
in Walhalls prangende Burg.

(Sie schleudert den Brand in den Holzstoß, der sich schnell hell entzündet. Zwei Raben sind vom Felsen am Ufer ausgeflogen und verschwinden nach dem Hintergrunde zu.

Brünnhilde gewahrt ihr Roß, welches zwei junge Männer hereinführen. Sie ist ihm entgegengesprungen, faßt es und entzäumt es schnell; dann neigt sie sich traulich zu ihm.)

Grane, mein Roß, sei mir gegrüßt!
Weißt du auch, mein Freund,
wohin ich dich führe?
Im Feuer leuchtend, liegt dort dein Herr,
Siegfried, mein seliger Held.
Dem Freunde zu folgen, wieherst du freudig?
Lockt dich zu ihm die lachende Lohe?
Fühl meine Brust auch, wie sie entbrennt;
helles Feuer das Herz mir erfaßt,
ihn zu umschlingen, umschlossen von ihm,
in mächtigster Minne vermählt ihm zu sein!
Heiajoho! Grane!
Grüß deinen Herren!
Siegfried! Siegfried! Sieh!
Selig grüßt dich dein Weib!

(Sie hat sich auf das Roß geschwungen und sprengt mit einem Satze in den brennenden Scheiterhaufen. Sogleich steigt prasselnd der Brand hoch auf, so daß das Feuer den ganzen Raum vor der Halle erfüllt und diese selbst schon zu ergreifen scheint. Entsetzt drängen sich die Männer und Frauen nach dem äußersten Vordergrunde. Als der ganze Bühnenraum nur noch von Feuer erfüllt erscheint, verlischt plötzlich der Glutschein, so daß bald bloß ein Dampfgewölk zurückbleibt, welches sich dem Hintergrunde zu verzieht und dort am Horizont sich als finstere Wolkenschicht lagert. Zugleich ist vom Ufer her der Rhein mächtig angeschwollen und hat seine Flut über die Brandstätte gewälzt. Auf den Wogen sind die drei Rheintöchter herbeigeschwommen und erscheinen jetzt über der Brandstätte. Hagen, der seit dem Vorgange mit dem Ringe Brünnhildes Benehmen mit wachsender Angst beobachtet hat, gerät beim Anblick der Rheintöchter in höchsten Schreck. Er wirft hastig Speer, Schild und Helm von sich und stürzt wie wahnsinnig sich in die Flut.)

Hagen
Zurück vom Ring!

(Woglinde und Wellgunde umschlingen mit ihren Armen seinen Nacken und ziehen ihn so, zurückschwimmend, mit sich in die Tiefe. Floßhilde, den anderen voran dem Hintergrunde zuschwimmend, hält jubelnd den gewonnenen Ring in die Höhe. Durch die Wolkenschicht, welche sich am Horizont gelagert, bricht ein rötlicher Glutschein mit wachsender Helligkeit aus. Von dieser Helligkeit beleuchtet, sieht man die drei Rheintöchter auf den ruhigeren Wellen des allmählich wieder in sein Bett zurückgetretenen Rheines, lustig mit dem Ringe spielend, im Reigen schwimmen. Aus den Trümmern der zusammengestürzten Halle sehen die Männer und Frauen in höchster Ergriffenheit dem wachsenden Feuerschein am Himmel zu. Als dieser endlich in lichtester Helligkeit leuchtet, erblickt man darin den Saal Walhalls, in welchem die Götter und Helden, ganz nach der Schilderung Waltrautes im ersten Aufzuge, versammelt sitzen. Helle Flammen scheinen in dem Saal der Götter aufzuschlagen. Als die Götter von den Flammen gänzlich verhüllt sind, fällt der Vorhang.)

(Projekt Gutenberg)


Zur Würdigung der Leistung der neuen Formsprache Wagners

In seiner "Mitteilung an meine Freunde" weist Wagner darauf hin, dass er die klassische Form der Oper Mit Arie, Duett, Chor und Ensemble nicht absichtlich aufgelöst habe, sondern dass er um der Aussage der Dichtung willen die Musiksprache um dieser Aussage willen jeweils der Aussage angepasst habe. Thomas Mann sagt dazu in "Richard Wagner und der 'Ring des Nibelungen'": "Wagners Dichtertum anzuzweifeln schien mir immer absurd ... Die wundervollen Laute, die hier der Musiker findet, verdankt er dem Dichter. Aber was auch wieder dankt nicht dieser alles dem Musiker." Der russisch/sowjetische Regisseur Konstantin Stanislawski (1863-1938) sagte über Wagners Gesamtkunstwerk: "Wagners Gefühl für die Inszenierung und sein Traum von den Festspielen in Bayreuth sind das Großartigste, was das 19. Jahrhundert auf dem Gebiete der Theaterkultur geschaffen hat." [Zitate nach Werner Wolf*]

Fontane über Wagners Ring:

"Er ist, aller glänzenden Rekapitulationen unerachtet, doch in einer totalen Konfusion steckengeblieben; deshalb steckengeblieben, weil er sich eine Aufgabe stellte, die entweder überhaupt nicht zu lösen war oder für die wenigstens seine Kräfte, so respektabel sie an sich an und für sich waren, nicht ausreichten.
Und welches war nun diese Aufgabe? Die Verschmelzung zweier Sagen oder Fundamentalsätze, von denen jeder einzelne gerade Schwierigkeiten genug bot. Erster Fundamentalsatz: An der Gier, an dem rücksichtslosen Verlangen hängt die Sünde, das Leid, der Tod. Wer den Goldring der Nibelungen hat, der hat ihn immer nur zum Unheil und Verderben. Zweiter Fundamentalsatz: Die Götter sind gebunden und regieren nur durch Vertrag. Auch dem Himmel kann gekündigt werden. Wächst der Mensch, so sinken die Götter; der eigentliche Weltenherrscher ist der freie Geist und die Liebe. [...] Satz 1 ist die alte Evageschichte, sündiges Verlangen und die bekannten Konsequenzen. Satz 2 hat durch Feuerbach einen viel prägnanteren und viel geistreicheren Ausdruck empfangen:

"Ob Gott die Menschen schuf, ist fraglich; dass sich die Menschen ihren Gott geschaffen, ist gewiss." [...]" (Fontane an Karl Zöllner 13.7.1881)

*Werner Wolf: "Richard Wagner und sein Bühnenfestspiel 'Der Ring des Nibelungen' in: R. Wagner: Götterdämmerung Leipzig 1960, S.24 u. 27

23 Juli 2022

Igorlied

Igorlied (Wikipedia)

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"Wie wäre es, Brüder, wenn wir anfingen, nach den alten Überlieferungen die schwere Geschichte vom Zuge Igors zu erzählen, vom Zuge des Igor Swjatoslawitsch. Anfangen aber wollen wir das Lied nach den Bylinen unserer Zeit, nicht nach der Erfindung Bojans. Wenn der Seher Bojan einem ersinnen wollte ein Lied, breitete er sich aus und war in den Bäumen, war auf der Erde als grauer Wolf und als Adler, blaugrau, unter den Wolken. Und sooft er dessen gedachte, was man erzählt aus vergangenen Zeiten von Zwietracht, ließ er zehn Falken los auf eine Herde von Schwänen: [...]

Und nun, Brüder, geht unsere Geschichte von dem alten Wladimir zu dem Gegenwärtigen über, zu Igor, der seinen starken Verstand scharfschliff an seinem mannhaften Herzen und voll kriegerischen Geistes seinen mutigen Völkern voran in das Land der Polowzer zog durch die russische Erde.
2
Da blickte Igor suchend zur klaren Sonne auf und sah: sein ganzes Heer war durch ein Dunkel verdeckt vor der Sonne. Und es sagte Igor zu seinem Gefolge: »Brüder und liebe Gefolgschaft! Lieber zerhauen werden denn gefangen. Auf unsere mutigen Pferde hinauf, daß wir den dunkelblauen Don zu sehen bekommen.« Denn die Lust fiel den Fürsten an, zu versuchen den großen Don, und die Sehnsucht war stärker in ihm als das Zeichen des Himmels. »Ich will« – ruft er, »einen Speer brechen mit euch, Russen, auf fernem polowzischem Feld. Meinen Kopf will ich hinlegen oder aus meinem Helme trinken vom Don.« – O Bojan, Nachtigall uralter Zeit! sängest du diese Völker, hinhüpfend, du Nachtigall, durch walddichte Gedanken, auffliegend im Geiste unter die Wolken und herabsinkend, Nachtigall, auf beide Hälften dieser Zeit, – auf trojanischer Fährte hinrasend durch Felder und Berge hinan, – so sängest du also das Lied des Igor, des Enkels von Oleg: »Der Sturm hat nicht Falken getragen weit über die Felder hin: Dohlen jagen in Zügen zum großen Don.« Oder du sängest, Bojan, wahrsagender Enkel des Weles: »Pferde wiehern die Sula entlang; Kiew erklingt vom Ruf, und Hörner hallen in Nowgorod.« [...]
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Vom Morgen zum Abend und vom Abend zum Morgen fliegen die stählernen Pfeile, die Säbel dröhnen unter den Helmen, und die harten Speere zerkrachen auf fremdem Feld, tief im polowzischen Land. Die schwarze Erde unter den Hufen war mit Gebeinen besäet und begossen mit Blut: was konnte da anderes wachsen als Leid für das russische Land.*
Was braust dort, was brüllt dort so früh vor Tag? ... Igor wälzt seine Heere dahin: ihm tut der liebe Bruder wohl leid – Wsewolod. Einen Tag schlugen sie sich und einen zweiten Tag, und am dritten Mittag sanken die Fahnen Igors. Dort am Ufer der schnellen Kajala nahmen zwei Brüder Abschied; dort reichte der Blut-Wein nicht mehr, dort hoben die tapferen Russen das Mahl auf: die Werber waren unter den Tisch getrunken, und sie selber legten sich hin für das russische Land. In Mitleid bog sich das Steppengras, und die Bäume hingen vor Trauer.
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Und da, Brüder, begann eine ungute Zeit; in der Einöde lag begraben die russische Macht, und das Unrecht stand auf in den Kräften der Enkel des Dashdbog. [...]
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Großer Fürst Wsewolod (Groß-Nest), fliegt dir nicht von fern der Gedanke zu, deines Vaters goldenen Thron zu beschützen: denn du kannst mit deinen Rudern Muster in die Wolga weben und mit deinen Helmen ausschöpfen den Don. Wärest du hier, so wäre eines Weibes Gefangenschaft eine Scheidemünze wert und ein Gefangener ein Marderfell; aber du hast auch zu trockener Schlacht lebendige Bogen: des Gleb waghalsige Söhne. [...]
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Es sang Bojan auch von den Tagen Swjatoslaws, der Sänger der uralten Zeiten Jaroslaws und Olegs: »Fürstengeschlecht, schwer mag es dir sein, Haupt ohne Schulter, aber auch dir ist es schwer, Leib ohne Haupt.« So war es dem russischen Lande schwer ohne Igor. Nun steht die Sonne hell in den Himmeln: Fürst Igor ist wieder auf russischer Erde. Am Dunai singen die Mädchen, und es wehn ihre Stimmen über das Meer hin nach Kiew. Igor reitet über Boritschow zum heiligen Bilde der pirogoschtschischen Muttergottes. Und die Gegenden freuen sich, und die Städte sind froh.
Gesungen ist den alten Fürsten ihr Lob; nun singet die jungen: Heil Igor Swjatoslawitsch, Heil Wsewolod, weißer Stier, Wladimir, des Igor Sohn, Heil! Gegrüßt seien die Fürsten und ihre Gefolgschaften, die für die Christenheit streiten gegen ungläubige Horden. Heil den Fürsten und ihren Gefolgschaften, Heil!
 (Übersetzung von R.M. Rilke)
(*Hervorhebung von Fontanefan)

Das Igor-Lied, ein umkämpftes Heldenepos von Christian Thomas FR-online 22.7.2022

[...] Obwohl russisch-ukrainischer Schulstoff und hier wie dort zum Literaturkanon gehörend, ist das Igor-Lied umkämpftes Terrain. Ständig wurde es in Russland, liest man bei Slawisten, anders verstanden als in der Ukraine. Kein gemeinsamer Gedächtniskonsens. Haben doch imperiale großrussische Ambitionen seit dem 17. Jahrhundert die Eigenständigkeit der Ukraine unablässig in Abrede gestellt, deren Identität und Integrität als Nation, gründend in der Kiewer Rus des 12. Jahrhunderts. Und heute? 

Nie ist ein Anfang nur so gemacht, aus dem Nichts."

Im Text findet sich 29-mal das Wort nicht.

20 Juli 2022

Hennig Ritter: Die Eroberer. Denker des 20. Jahrhunderts

Hennig Ritter: Die Eroberer. Denker des 20. Jahrhunderts, Beck 2008

 Sigmund Freud S.13 ff.

"Was das Unbehagen in der Kultur der Gegenwart so weit entrückt, sind die Erwartungen, die sich immer noch an die Kultur richten, nun aber verkürzt auf Erlebnisse. Kultur ist heute ein Gegenwartserleben, das die vergangene Kultur unter dem Gesichtspunkt ihrer gegenwärtigen Genießbarkeit bruchlos einbezieht. Was dem einen der neueste Film, ist dem anderen die Kathedrale in den Osterferien. Da kommt ein Unbehagen allenfalls durch misslingende Erlebnisse auf. Für Freud war die höhere Kultur wesentlich Entschädigung für Enttäuschungen und produzierte wiederum Enttäuschungen." (S.28)

Franz Kafka  S.33 ff.

Der Verschollene, Der Process  Das Schloss (Wikipedia)

Der Verschollene (Deutungsansätze für den schulischen Gebrauch)

Ludwig Wittgenstein S.49 ff.

Aby Warburg S. 71 ff. (Kunsthistoriker)

Ikonographie, Ikonologie

Warburgs Bildatlas: Mnemosyne

Agambens Beitrag zu Warburgs Bildatlas

Walter Benjamin S.85 ff.

Das "Fortleben sei nicht etwas vom Leben Abgesetztes [...] Vielmehr soll es ein dem Subjekt entzogener Teil seines Lebens sein, ein Unpersönliches im Persönlichen.

Benjamins Schriften zielen offenbar auf Ähnliches. Sie enthalten einen Anteil von subjektiv Unfassbarem, suchen dem mit der Erfahrung des Subjekts nicht Vermittelbaren Raum zu geben und das Subjekt zum Schauplatz von etwas ihm Inkommensurablen zu machen. [...] Dem Misstrauen Walter Benjamins gegen das Nachleben der Werke als gegen ein ihnen Fremdes antwortet seine Absicht, in seinen Schriften authentisch fremdem Einlass zu verschaffen. Darauf verweist eine / Eigenart, die Scholem an ihm bemerkte: die Verwechslung von Persönliche und Unpersönlichen."  (S.87/88) 
 "[...] Benjamins Unverstehbarkeit. Man mag herausgreifen, was irgend ihm wichtig war, immer ist die Formulierung wie versiegelt gegen ein natürliches Verständnis, als sei es ihm darum gegangen, den Gedanken unbrauchbar zu machen für jede ihm zugedachte Verwendung." (S.88)
"Hierher gehört auch Benjamins merkwürdige Begabung für glasklar wirkende Definitionen, die freilich nicht erhellen, sondern verdunkeln. In einer Diskussion über Anschauung formuliert er: 'Gegenstand der Anschauung ist die Notwendigkeit eines sich im Gefühl als rein ankündigenden Inhalts, wahrnehmbar zu werden. Das Vernehmen dieser Notwendigkeit heißt Anschauen.' Wegen solcher Gegensinnigkeit fügt sich Benjamins Denken auch keiner der ihm nahestehenden Gattungen. (S. 89)
"Alle Umwege sind recht, solange sie nicht zum Ziel führen, so könnte Benjamins Devise gelautet haben." (S.89)
In keinem anderen sonst hat Benjamin sich selbst so unverhüllt porträtiert wie in Kafka: 'Um Kafkas Figur in ihrer Reinheit und ihrer eigentümlichen Schönheit gerecht zu werden, darf man das Eine nicht aus dem Auge lassen: es ist die von einem Ge/scheiterten. Die Umstände dieses Scheitern sind mannigfache. Man möchte sagen: war er des endlichen Misslingens erst einmal sicher, so gelang ihm unterwegs alles wie im Traum. Nichts denkwürdiger als die Inbrunst, mit der Kafka sein Scheitern unterstrichen hat.' [...] 
So erkennbar hat Benjamin sich nirgends sonst beschrieben." (S. 89/90)

Sein Passagenwerk* sollte ursprünglich nur aus Zitaten bestehen, dem ihm Inkommensurablen. Nachdem er sich von Adorno von dieser Form hat abbringen lassen, ist es unvollständig geblieben, also "gescheitert".

* "Die Fragmente des eigentlichen Passagenwerks kann man den Baumaterialien fiir ein Haus vergleichen, von dem nur gerade erst der Grundrifi abgesteckt oder die Baugrube ausgehoben ist. Mit den beiden Exposes, die der Ausgabe voranstehen, hat Benjamin seinen Plan in großen Strichen entworfen, so wie er ihm 193 5 und 1939 vor Augen stand: den sechs, bzw. fiinf Abschnitten der Exposes sollten ebenso viele Kapitel seines Buches oder, um im Bild zu bleiben, ebenso viele Geschosse in dem zu bauenden Haus entsprechen. Neben der Baugrube findet man die Exzerpte aufgehäuft, aus denen die Mauern errichtet worden waren.  Benjamins eigene Reflexionen aber hatten den Mörtel abgegeben, durch den das Gebäude zusammenhalten sollte. Von solchen theoretischen und interpretierenden Reflexionen sind zwar zahlreiche vorhanden, doch am Ende schei-nen sie hinter dem Exzerptenbestand fast verschwinden zu wollen. Der Herausgeber hat zuzeiten gezweifelt, ob es sinnvoll wäre, diese erdrückenden Zitatmassen zu veröffentlichen; ob er sich nicht besser auf den Abdruck der Benjaminschen Texte beschränkte, die leicht in eine lesbare Anordnung gebracht werden konnten und eine konzentrierte Sammlung funkelnder Aphorismen und beunruhigender Fragmente ergeben hatten. Indessen wäre das mit dem Passagenwerk Projektierte dahinter nicht einmal mehr zu erahnen gewesen. Benjamins Absicht war, Material und Theorie, Zitat und Interpretation in eine gegenüber jeder gängigen Darstellungsform neue Konstellation zu bringen, in der alles Gewicht auf den Materialien und Zitaten liegen und Theorie und Deutung asketisch zurücktreten sollten. Als »ein zentrales Problem des historischen Materialismus«, das er mit dem Passagenwerk zu lösen gedachte, hat er die Frage bezeichnet, »auf welchem Wege es möglich [sei], gesteigerte Anschaulichkeit mit der Durchführung der marxistischen Methode zu verbinden." (S.12/13) (Einleitung des Herausgebers des Passagenwerks: Rolf Tiedemann)

Carl Schmitt S.111 ff.

"Das Nachleben von Carl Schmitt ist merkwürdige Wege gegangen. War lange Zeit von ihm nur als vom nationalsozialistischen 'Kronjuristen' die Rede – eine Bezeichnung, die sein früherer Schüler, Waldemar Gurian, lanciert hatte –, so erlebte sein Werk nach seinem Tode eine erstaunliche Auferstehung: In Italien, in Frankreich in den Vereinigten Staaten wurden Hauptwerke und Nebenwerke, seine Abhandlungen "Politische Theologie", "Der Begriff des Politischen", "Der Nomos der Erde", "Theorie der Partisanen" übersetzt und diskutiert. Die Erklärung für diesen postumen Triumph, der Carl Schmitts Präsenz in den letzten Jahrzehnten seines Lebens – er starb 1985, drei Jahre vor seinem hundertsten Geburtstag – weit übertrifft, harrt noch einer Erklärung." (S.111)

Alexandre Kojève S.125

Kojève faszinierte vor allem in Frankreich durch seine Interpretation von Hegels Phänomenologie des Geistes, nach der das Ende der Geschichte erreicht sei. Ob der Weltstaat durch einen Sieg des Kommunismus erreicht würde (weil der Kapitalismus nicht anpassungsfähig genug sei) oder dadurch, dass kapitalistische und kommunistische Ökonomien sich integrierten, sei dabei nicht einmal sehr wesentlich. (S.126/27)

André Malraux S.133

Anthony Blunt, S.145 ff. (Kunsthistoriker und Doppelagent)

Doppelagenten (Cambrige Five): Kim Philby, Donald Maclean, Guy BurgessJohn Cairncross u. Blunt 

Elias Canetti, S.167 ff.

Isaiah Berlin S.181 ff. (politischer Philosoph)

Die Gedanken Berlins über historische Größe:
"Immer gehört zu ihr eine starke historische Imagination, nicht aber die Fixierung auf ein visionäres Ziel. Viel mehr weiß historische Größe sich von den doktrinären Vorgaben der Visionäre frei zu machen. Sie vollbringt das Unwahrscheinliche kraft eines untrüglichen Realitätssinnes und nicht auf seine Kosten. Historische Größe ist für Berlin ein Beweis der Freiheit gegen den historischen Determinismus." (S.185)

Claude Lévi-Strauss S.205 ff.

"Während es für den Autor der 'Traurigen Tropen' noch einer ungewöhnlichen intellektuellen Anstrengung bedurfte, um der exotischen Versuchung zu widerstehen, liegt es heute für jedermann auf der Hand, dass der Zauber des Exotischen nur über denjenigen doch etwas vermag, der betrogen sein will. Fünfzig Jahre haben genügt, um zu einer banalen Einsicht werden zu lassen, dass es das Fremde nicht gibt, weil es nur um den Preis seiner Deformation zu haben ist. Wir leben überall die Umkehrung der Devise von Jean de Léry: Das Haben hat sich des puren Sehens vorweg bemächtigt. Den [...] Betonburgen des sozialen Fortschritts, sind die Ghettos der völlig Mittellosen gefolgt, die den Müllbergen der Zivilisation und den Schlachtfeldern der Naturzerstörung ähnlicher sind als allen noch so rudimentären Lebensordnungen, welche die Anthropologen bisher / zu erfassen suchten. Die 'teilnehmende Beobachtung', auf die sie sich so viel zugute hielten und die auch früher schon ihren Preis gehabt hat, würde heute von ihnen verlangen, die Hungerepidemien zu teilen, denen die Reste der ehedem mit fürsorglichem Paternalismus 'primitiv' genannten Völker erliegen. Oder sie müssten sich als Berater an der Seite der Hilfsorganisationen engagieren, deren Interventionen heute jedoch schon mit dem Etikett des 'philanthropischen Imperialismus' versehen werden." (S.211)

18 Juli 2022

Karl May: Das Geldmännle und andere Erzgebirgische Dorfgeschichten

Das Geldmännle ist eine der  Erzgebirgischen Dorfgeschichten, die Karl May 1903 neu herausgab und dafür von ihm kurz davor neu geschrieben wurde.

 "Eine Einleitung "informiert" über die sagenhafte Entstehung des "Bergles" (= Teil des Erzgebirges). Pluto und Vulkan versuchten einen so hohen Berg zu schaffen, dass dort ein Gletscher entstehen könne. Wegen einer falschen Mischung der Gase entsteht aber kein hoher Berg, sondern ein breiterer. Bei der Gelegenheit stürzt Vulkan so unglücklich, dass er fortan lebenslänglich hinken muss. Damit die Sache nicht herauskommt ("Man weiß ja ganz genau, dass einst jeder Quartaner seinen 'Mythologischen Leitfaden' in der Tasche haben wird, und infolgedessen ist es einem immer zu Mut, als ob man einige Dutzend Steckbriefe hinter sich her hätte. Es wäre geradezu fürchterlich, wenn in diesem Leitfaden erzählt würde, dass Vulkan hinkt, weil er die unterirdischen Gase nicht zusammengehalten hat!" [...]" (S.293)), erfinden sie eine Geschichte, wonach Vulkan bei einem Streit zwischen Jupiter und Juno Junos Partei ergriffen und deshalb von Jupiter auf die Erde herunter geworfen worden sei, die dann in die Schulbücher geriet." (Karl-May-Wiki)

Eine Hauptfigur ist das Herzle, ein Musterbeispiel für die Guten im Gegensatz zu den Bösen, wie sie in dieser Dorfgeschichte geschildert werden. 

sieh auch: Karl May Figurenlexikon online

Weitere Erzgebirgische Dorfgeschichten Karl Mays im Karl-May-Wiki:


Aus dem Nachlass:
Im Artikel Erzgebirgische Dorfgeschichten werden diese biographisch und literarisch eingeordnet.