29 November 2022

von Hirschhausen: Glück kommt selten allein ...

KLAPPENTEXT

Jeder ist seines Glückes Schmied. Und so sieht es auch aus: reichlich behämmert. Beim Zimmern unseres Glücks hauen wir uns oft genug mit dem Hammer auf den Daumen. Und vergessen dann, darüber zu lachen. Glück ist nicht das Ziel, sondern ein Abfallprodukt der Evolution. Glück geht zum Glück vorbei, und eine Bronze- ist besser als eine Silbermedaille. Die positive Psychologie zeigt: Erfüllung und Zufriedenheit sind keine Frage des Schicksals, sondern die Summe der täglichen Gedanken und Handlungen. Glück ist machbar.

 Verlagsmitteilung

"Glück geht vorbei – zum Glück! Ein Lesebuch der besonderen Art.
Mit dem Glück ist es wie mit Diäten oder Erkältungskrankheiten: tausend Rezepte – aber keine überzeugenden Erfolge. Gar keine? Deutschlands lustigster Arzt findet die Trüffel der Glücksforschung, das Kuriose, Komische und Menschliche. Endlich spricht einer aus, was keiner wahrhaben will: Wir sind von Natur aus bestens geeignet, das Glück zu suchen, aber eklatant schlecht darin, zufrieden zu sein. Warum? Wer die evolutionären Webfehler in unseren Wünschen kennt, hat gut lachen. Ein erfrischend provokanter Perspektivenwechsel auf Finanzkrise, Partnerwahl und Erdbeermarmelade."


Zitate:

"100 Jahre lang hat man sich mit den Nachteilen von Erkrankungen, an der schlechten Kindheit und des Verlust eines geliebten Menschen beschäftigt. Erst seit gut zehn Jahren erforscht man den Nutzen und die Vorteile, die Menschen tatsächlich aus schlechten Erlebnissen ziehen können. Was weiß man schon über diese Widerstands- und Wieder-Aufstehens-Kraft, die Resilienz genannt wird? Wie genau funktioniert dieses wundersame posttraumatische Wachstum?

Niemand weiß, was er zu ertragen in der Lage ist, bis die Situation es erfordert. 'Was dich nicht tötet, härtet dich ab.' Wie habe ich diesen Satz meines Sportlehrers gehasst!

Aber tatsächlich habe ich mich sehr gewundert, wie viel länger ich beim Waldlauf aufgrund seiner Quälerei durchhalten konnte – länger, als ich mir jemals zugetraut hätte. [...]

Trauma und Belastungen

Sie halten uns nicht nur ab, sie machen uns stärker und trainieren uns regelrecht. Wer einmal eine Katastrophe durchgestanden hat, ist bei der nächsten gelassener und erholt sich schneller wieder davon.

In Krisenzeiten wachsen Beziehungen. Trauernde lernen Menschen intensiver kennen und schätzen und werden toleranter und verständnisvoller in Bezug auf die Nöte anderer. Und sie werden oft liebevoller mit sich selbst. Die Schönwetterfreunde ist man schnell los, aber wenn man einen Knacks hat, öffnet man sich anderen leichter. Dann wird für uns und andere sichtbar, was unter der harten Schale schlummert und was die anderen geben können." (Seite 76/77)

Bewegte Bilder erhalten unserer Aufmerksamkeit:

"Zappen heißt nichts anderes als das: Ich kann nicht ins Bett – es bewegt sich noch!

Die Beute ist noch nicht tot. Wenn das Großhirn endlich fragt: 'Brauche ich das?', sind drei Stunden locker vorbei." (S.78) 

Gibt es ein glückliches Leben?

Was ist weiß und stört beim Essen? 

Eine Lawine


[...] Es gibt viele Art Serien, die in der Notaufnahme spielen. 
Emergency Room packt jeden. 
Keine Chance auf hohe Einschaltquoten hätte dagegen eine Sendung, die heißt Aufwachraum – alles gut gegangen! Das interessiert höchstens die paar Angehörigen." (S. 89)

in: Eckart von Hirschhausen: Glück kommt selten allein,


07 November 2022

Wie habe ich Bücher kennengelernt?

 Ich greife den Blogartikel von Herrn Rau auf, aber ohne Titel zu nennen

Link zu Herrn Rau: https://www.herr-rau.de/wordpress/2022/11/buecher-die-ich-von-selbst-gefunden-habe-und-andere-eine-unvollstaendige-liste.htm

Im Bücherschrank der Eltern

Buchgeschenke (Eltern, Großeltern, Geschwister ...)

Leseempfehlungen eines Lehrers im Gymnasium in der 9. Klasse

Leseempfehlungen meines 9 Jahre älteren Bruders

Bücher, die meine 4 Geschwister gelesen haben

Bücher aus öffentlichen Büchereien, darunter auch eine des CVJM, wo ich Aufsicht geführt habe und Thomas Manns: Joseph und seine Brüder recht langweilig gefunden, aber ausdauernd gelesen habe.

Hier ein Titel: Die Caine war ihr Schicksal (lange Gespräch am Mittagstisch, bevor ich als Jüngster auch dazu kam, es zu lesen; vor kurzem in einem öffentlichen Bücherregal wieder in die Hand bekommen und festgestellt, dass es sofort spannend war, dann in der Wikipedia erfahren, dass der Autor unseren "Unsympath" offenbar als zu Unrecht beschuldigt verstanden wissen wollte. 

Bücher aus Antiquariaten

ausgeschiedenen Bücher der Schulbibliothek, als die neue eingerichtet wurde, u.a. Gregorovius - die meisten davon fanden danach den Weg in öffentliche Bücherregale

ausgeschiedenen Bücher von Kollegen

Empfehlungen meines wichtigsten Freundes

Bücher aus Präsenzbibliotheken von Universitätsseminaren, darunter etwas ausgefallener eine germanistische Seminarbibliothek in Oxford 

Empfehlungen in Zeitungen u.ä.

Einzelne Titel mit besonderen Schicksalen 

Meine Lieblingsbücher habe ich in dem verlinkten Blogbeitrag sowie in einigen weiteren in einem anderen Blog 2018 genannt. Die Fundorte waren der häusliche Bücherschrank meiner Herkunftsfamilie, Lektüren meiner Frau u.a. (Dafür müsste ich bei den Büchern, die von diesen Kategorien nicht erfasst sind, einzeln nachdenken.)



Thomas Mann: Deutsche Hörer

Deutsche Hörer! ist der Titel einer Reihe von 55 Radioansprachen Thomas Manns, die das deutsche Programm der BBC zwischen Oktober 1940 und Mai 1945 meist regelmäßig einmal monatlich ausstrahlte. Hinzu kamen einzelne Sondersendungen sowie eine letzte Ansprache zu Neujahr 1946.

Es handelte sich um fünf- bis achtminütige, pointiert formulierte Reden, in denen der Autor sich mit der politischen Lage Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus befasste, das Kriegsgeschehen kommentierte und mahnende Worte an seine Landsleute richtete. Eine erste Sammlung mit 25 Sendungen wurde 1942 als Buch veröffentlicht, ein zweites Buch umfasste 1955 55 Texte. [...]" (Wikipedia)

 25. Mai 1943

Deutsche Hörer!
Als ich mich im Sommer 1932 an der Ostsee aufhielt, bekam ich ein Paket zugeschickt, aus dem mir, als ich es öffnete, schwarze Asche, verkohltes Papier entgegenfiel. Der Inhalt bestand aus einem verbrannten, nur gerade noch erkennbaren Exemplar eines Buches von mir, des Buches 'Buddenbrooks', – mir übersandt vom Besitzer zur Strafe dafür, dass ich meinem Grauen vor dem heraufkommenden Nazi-Verhängnis öffentlich Ausdruck gegeben hatte.
Das war das individuelle Vorspiel zu der ein Jahr später, am 10. Mai 1933, vom Naziregime überall in Deutschland in großem Stil veranstalteten symbolischen Handlung: der zeremoniellen Massenverbrennung von Büchern freiheitlicher Schriftsteller, – nicht  deutscher nur oder nur jüdischer, sondern amerikanischer, tschechischer, österreichischer, französischer und vor allem russischer; kurzum auf dem Scheiterhaufen qualmte die Weltliteratur, – ein wüster, trauriger und ungeheuer ominöser Jux, den übrigens viele daran Beteiligte jungen Leuten sich guter Dinge zu Nutze machen, um von den Büchern, die sie heranschleppten, möglichst viele zu mausen und so auf billige Art zu förderlicher Lektüre zu kommen.
Es ist merkwürdig genug, daß unter allen Schandtaten des Nationalsozialismus, die sich in so langer, blutiger Kette daranreihten, diese blödsinnige Feierlichkeit der Welt am meisten Eindruck gemacht hat und wahrscheinlich am allerlängsten im Gedächtnis der Menschen fortLeben wird. Das Hitler-Regime ist das Regime der Bücherverbrennungen und wird es bleiben. Der Choc für das europäische Kulturgewissen war heftig und wird unaufhörlich nach, – während in Deutschland dieser Akt nationalistischer Betrunkenheit wohl schon so gut wie aus der Erinnerung verdrängt ist. [...]
Das amerikanische Propaganda-Amt hatte künstlerische Plakate herstellen und verbreiten lassen, die Symbol mit Symbol beantworten: Man sieht darauf, wie Rauch und Flammen aus dem Bücher-Scheiterhaufen den Kulturschänder Hitler ersticken. Ein 'Komitee für die Wiederherstellung verbrannter und verbannter Bücher in Europa', zu dessen Sponsoren erste Namen des Landes gehören, gab eine Liste der Werke in Auftrag, die als erste wieder in die Bibliotheken eines befreiten Europas eingereiht oder neu aufgelegt werden sollen. [...]"


Büchnerpreis für Emine Sevgi Özdamar und Thomas Manns "Bruder Hitler"

 Frage: Weihnachten, alles war gefroren – das war gar nicht so? 

Özdamar: Nein, natürlich nicht. Dass es kalt war, dass es in der WG sehr kalt war, dass die Heizungen ausgestellt waren, ja das ist wahr. Da musst du aber die Kälte inszenieren. Weil, dein Leben ist ja für dich interessant, aber nicht für die anderen, die musst du inszenieren, die musst du herstellen, dass jede gerne liest, dass es Spaß macht den Menschen.

Zitat aus:

Mit geteilter Zunge – Zum Werk der Georg-BüchnerPreisträgerin Emine Sevgi Özdamar

In diesem Blog kommt Özdamar erstmalig im Artikel Mutterzunge vor. 

An diesem Text ist mir wieder einmal deutlich geworden, dass mich an Literatur nicht so sehr die Sprache interessiert, sondern das andere Leben. So ist mir Özdamar erst wieder über die Berichte über ihren Büchnerpreis nahe gekommen. 

"Mein Bruder Büchner" ("Georg Büchner war mein Bruder, der mir auf meinem Weg leuchtete.") - Wusste sie, als sie das schrieb, dass Thomas Mann einen Text "Bruder Hitler" geschrieben hat?

Der beginnt mit den Worten:

"Ohne die entsetzlichen Opfer, welche unausgesetzt dem fatalen Seelenleben dieses Menschen fallen, ohne die umfassenden moralischen Verwüstungen, die davon ausgehen, fiele es leichter, zugestehen, daß man sein Lebensphänomen fesselnd findet. Man kann nicht umhin, das zu tun; niemand ist der Beschäftigung mit seiner trüben Figur überhoben – das liegt in der grob effektvollen und verstärkenden (amplifizierenden) Natur der Politik, des Handwerks also, das er nun einmal gewählt hat, – man weiß, wie sehr nur eben in Ermangelung der Fähigkeit zu irgendeinem anderen. Desto schlimmer für uns, desto beschämender für das hilflose Europa von heute, das er fasziniert, worin er den Mann des Schicksals, den Allesbezwinger spielen darf, und dank einer Verkettung fantastisch glücklicher – das heißt unglückseliger  Umstände, da zufällig kein Wasser fließt, das nicht seine Mühlen triebe, von einem Siege über das Nichts, über die vollendete Widerstandslosigkeit zum anderen getragen wird."

Ich leugne nicht, dass mich auch bei den Buddenbrooks, die ich meiner Erinnerung nach, angeregt durch den Film gelesen habe, nicht nur die Menschen, sondern auch die Sprache interessiert hat. (In meiner Charakterisierung des ersten Teils des Films vom 16.1.1960 heißt es "Da das Buch gut war, wurde der Film nicht schlecht.")

So fasziniert mich am Anfang dieses Textes die Sprache, obwohl mir der Text nur aufgrund seines ungewöhnlichen Titels in Erinnerung geblieben ist. Zu dem Thomas Mann, der die Rundfunkansprachen "Deutsche Hörer" geschrieben hat, will dieser Titel des Textes vom März 1939 nicht recht passen.

Doch weiter in Manns Text:

"Die politische Willenlosigkeit des deutschen Kulturbegriffs, sein Mangel an Demokratie hat sich fürchterlich gerächt: er hat den deutschen Geist zum Opfer einer Staatstotalität gemacht, die ihn der sittlichen Freiheit zugleich mit der bürgerlichen beraubt. [...]

Er konnte sich anti-demokratisch gebärden, weil er nicht wußte, daß Demokratie identisch ist mit jenen Gründen und Stützen, daß sie nichts ist als die politische Ausprägung abendländischer Christlichkeit, und Politik selbst nichts anderes als die Moralität des Geistes, ohne die er verdirbt. Wir wollen feststellen: während im äußeren Völkerleben eine Epoche des zivilisatorischen Rückschlages, der Vertrauensunwürdigkeit, Gesetzlosigkeit und des Dahinfallens von Treu und Glauben angebrochen zu sein scheint, ist der Geist in ein moralisches Zeitalter eingetreten, will sagen: in ein Zeitalter der Vereinfachung und der hochmutlosen Unterscheidung von Gut und Böse. Das ist seine Art, sich zu rebarbarisieren und zu verjüngen. Ja, wir wissen wieder, was Gut und Böse ist. Das Böse hat sich uns in seiner Nacktheit und Gemeinheit offenbart, daß uns die Augen aufgegangen sind für die wilde und schlichte Schönheit des Guten, daß wir uns ein Herz dazu gefaßt haben und es für keinen Raub an unserer Finesse erachten, es zu bekennen. Wir wagen es wieder, Worte wie Freiheit, Wahrheit und Recht in den Mund zu nehmen; ein Übermaß von Niedertracht hat uns der skeptischen Schüchternheit davor entwöhnt. Wir halten sie dem Feinde der Menschheit entgegen, wie einst der Mönch dem leidigen Satan das Kruzifix; und alles, was die Zeit uns erdulden lässt, wird überwogen von dem jungen Glück des Geistes, sich in der ihm ewig zugedachten Rolle wiederzufinden, in der Rolle Davids gegen Goliath, im Bilde Sankt Georgs gegen den Lindwurm der Lüge und der Gewalt."

Das ist geschrieben zwar nach der Reichpogromnacht vom 9.11.1938, aber noch vor dem Holocaust.
Hannah Arendt hat beim Eichmannprozess ihrerseits dieses Pathos der Unterscheidung von Gut und Böse zurückgenommen und als Holocaustüberlebende ihr Erstaunen über die "Banalität des Bösen" ausgesprochen*. Golo Mann hat das im Gedanken an Hitler mit Schärfe zurückgewiesen. Das ist ein weiteres Kapitel im Umgang mit "Bruder Hitler" und mit Sprache im Allgemeinen.
*Ihr ging es darum, deutlich zu machen, dass nicht einmal ungeheure kriminelle Energie vorhanden sein muss, damit ein Menschheitsverbrechen zustande kommt. - Dass im Falle Eichmanns wohl doch ein "Werkstolz" vorlag, da er die Judenvernichtung noch weiter durchführen ließ, obwohl sie von Hitler bereits abgesagt worden war, ist vermutlich während des Prozesses nicht deutlich geworden.

03 November 2022

Mag mein Näschen nicht in alles stecken

 

Vierter Aufzug

Lessing: Nathan 4. Aufzug

Erster Auftritt

(Szene: in den Kreuzgängen des Klosters.)

Der Klosterbruder und bald darauf der Tempelherr.

Klosterbruder.
Ja, ja! er hat schon recht, der Patriarch!
Es hat mir freilich noch von alledem
Nicht viel gelingen wollen, was er mir
So aufgetragen.-Warum trägt er mir
Auch lauter solche Sachen auf?-Ich mag
Nicht fein seinmag nicht überreden; mag
Mein Näschen nicht in alles stecken;
 mag
Mein Händchen nicht in allem haben.-Bin
Ich darum aus der Welt geschieden, ich
Für mich; um mich für andre mit der Welt
Noch erst recht zu verwickeln?