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02 Februar 2019

Der Armenadvokat Siebenkäs auf dem Totenbett

"Meine sämtlichen Schreibereien soll mein Freund Leibgeber einpacken und behalten, sobald ich selber eingepacket bin ins letzte Kuvert mit Adresse. – Ferner will und verordne ich, daß man sich nicht weigere – da ich die dänischen Könige, die alten österreichischen Herzoge und die vornehmen Spanier vor mir habe, wovon sich die ersten in ihrer Rüstung, die zweiten in Löwenfellen, die dritten in elenden Kapuzinerbälgen beisetzen lassen – man soll sich nicht weigern, sag ich, mich ins Beet der andern Welt mit der alten Hülse und Schote zu stecken, worin ich in der ersten grünte; kurz, so wie ich hier bin und testiere. – Diese Verordnung nötigt mich, die dritte zu machen, daß man die Totenfrau bezahle, aber sogleich fortweise, weil ich in meinem ganzen Leben zwei Weibern auffallend gram geblieben, der einen, die uns herein-, und der andern, die uns hinausspület, obwohl in einem größern Badezuber abscheuert als jene: der Hebamme und der Totenfrau; sie soll mit keinem Finger an mich tippen, und überhaupt gar niemand als mein Heinrich da.« – Sein Groll gegen diese Dienerschaft des Lebens und des Todes kann, wie ich vermute, aus demselben Anlaß fließen wie der meinige: nämlich aus dem herrischen und sportelsüchtigen Regiment, womit uns diese beiden Pflanzerinnen und Konviktoristinnen der Wiege und der Bahre gerade in den zwei entwaffneten Stunden der höchsten Freude und der höchsten Trauer keltern und pressen. »Weiter will ich, daß Heinrich mir mein Gesicht, sobald es die Zeichen meines Abschiedes gegeben, mit unserer langhälsigen Maske, die ich oben aus dem alten Kasten heruntergetragen, auf immer bedachen und bewaffnen soll. Auch will ich, wenn ich aus allen Fluren meiner Vergangenheit gehe und nichts hinter mir höre als rauschende Grummethügel, wenigstens an meine Brust noch den seidnen Strauß meiner Frau, als Spielmarke der verlornen Freuden, haben. Mit einer solchen Schein-Insignie geht man am schicklichsten aus dem Leben, das uns so viele Pappendeckelpasteten voll Windfülle vorsetzt. – Endlich soll man nicht, wenn ich fortgehe, hinter mir, wie hinter einem, der aus Karlsbad abreiset, vom Turm nachklingen, wie man uns sieche, flüchtige Brunnengäste des Lebens ebenso wie Karlsbader mit Musizieren auf den Türmen empfängt, zumal da die Kirchendienerschaft nicht so billig ist wie der Karlsbader Türmer, der für An- und Nachblasen nur auf 3 Kopfstücke aufsieht.« – – Er ließ sich nun Lenettens Schattenriß ins Bette reichen und sagte stammelnd: »Meinen guten Heinrich und den Hrn. Hausherrn ersuch' ich, nur auf eine Minute abzutreten und mich mit dem Hrn. Schulrate und meiner Frau allein zu lassen.« [...]
O Gott, kein Mensch auf der ganzen weiten Erde nimmt sich meiner guten Lenette an, wenn sie von Ihnen verlassen wird – Weine nur nicht so bitterlich, Gute, er sorgt für dich – O mein teuerster Freund, dieses hülflose, schuldlose Herz wird brechen in der einsamen Trauer, wenn Sie es nicht beschirmen und beruhigen: o verlassen Sie es nicht wie ich!« Der Rat schwur bei dem Allmächtigen, er verlasse sie nie, und nahm Lenettens Hand und drückte sie, ohne die Weinende anzusehen, und hing mit tropfenden Augen gebückt auf das Angesicht seines verstummenden Freundes herein – aber Lenette drängte ihn weg von der Brust ihres Gatten und machte ihre Hand frei und sank auf die Lippen nieder, die ihr Herz so sehr erschüttert hatten – und Firmian schloß sie mit dem linken Arm ans erquickte Herz und streckte überdeckt den rechten nach seinem Freunde aus – und nun hielt er an die gedrückte Brust die zwei nächsten Himmel der Erde geknüpft, die Freundschaft und die Liebe... – Und das ists eben, was mich an euch betörten und uneinigen Sterblichen ewig tröstet und freuet, daß ihr euch alle herzlich liebet, wenn ihr euch nur in reiner menschlicher Gestalt erblickt, ohne Binden und Nebel – daß wir alle nur erblinden, wenn wir fürchten, daß wir erkalten, und daß unser Herz, sobald der Tod unsere Geschwister über das Gewölke unserer Irrtümer hinausgehoben, selig und liebend zerfließet, wenn es sie im durchsichtigen Äther, ohne die Entstellung der hiesigen Hohlspiegel und Nebel, als schöne Menschen schweben sieht und seufzen muß: ach in dieser Gestalt hätt' ich euch nie verkannt! – Daher strecket jede gute Seele ihre Arme nach den Menschen aus, die der Dichter in seinem Wolkenhimmel wie Genien unsern tiefen Augen zeigt, und die doch, wenn er sie auf unsere Brust heruntersenken lassen könnte, in wenig Tagen auf dem schmutzigen Boden unserer Bedürfnisse und Irrtümer ihre schöne Verklärung verlören; wie man das kristallene Gletscherwasser, das, ohne zu erkälten, erfrischet, schwebend, wenn es vom Eis-Demante tropft, auffangen muß, weil es sich mit Luft verunreinigt, sobald es die Erde berührt. [...]
Letzter Wille des Armenadvokaten Siebenkäs 
»Endesunterschriebener, der mit andern Augustäpfeln jetzo gelbt und abfället, will, so nahe am Tode, der die körperliche Leibeigenschaft des Geistes aufhebt, noch einige frohe Rück- und Seitenpas und Großvatertänze machen, drei Minuten vor dem Basler Totentanz.« Der Landschreiber hielt innen und fragte staunend: »Mehr und dergleichen bring' ich zu Papier?« »Zuerst will und verordn' ich Firmian Siebenkäs, alias Heinrich Leibgeber, daß Hr. Heimlicher von Blaise, mein Tutor, die 1200 fl. rhnl. Vormundschaftgelder, die er mir, seinem Pupillen, gottlos abgeleugnet, binnen Jahr und Tag an meinen Freund, Hrn. Leibgeber, Inspektor in Vaduz[Fußnote: Das ist er selber. Er will darum seine Verlassenschaft an sich, und nicht an seine Frau ausgehändigt haben, um es genauer zu wissen, da sie vielleicht während dieses Termins könnte reich geheiratet haben; auch erfährt er so den Fall des Unterlassens leichter und kann also die Drohung erfüllen, die er sogleich ausstoßen wird, einhändigen solle und wolle, der sie nachher meiner lieben Frau wieder treulich übermachen wird. Weigert Hr. v. Blaise sich dessen, so heb' ich hier die Schwurfinger auf und leiste auf dem Totenbette den Eid ab: daß ich ihn nach meinem Ableben überall, nicht gerichtlich, sondern geistig, verfolgen und erschrecken werde, es sei nun, daß ich ihm als der Teufel erscheine oder als ein langer weißer Mann oder bloß mit meiner Stimme, wie es mir etwa meine Umstände nach dem Tode verstatten.« Der Landschreiber schwebte mit dem befederten Arme in der Luft und brachte seine Zeit mit bloßem schreckhaften Zusammenfahren hin: »Ich sorge nur, mich nehmen (sagt' er) der Herr Heimlicher, schreib' ich solche Sachen nieder, am Ende beim Flügel.« – Aber Leibgeber schnitt ihm mit seinem Körper und Gesicht die Flucht über das Höllentor der Kammer ab. »Ferner will und verordne ich, als regierender Schützenkönig, daß kein Sukzessionkrieg mein Testament zu einem Sukzessionpulver für unschuldige Leute mache – daß ferner die Republik Kuhschnappel, zu deren Gonfaloniere und Doge ich durch die Schützen-Kugeln ballotiert worden, keine Defensivkriege führen soll, weil sie sich nicht damit defendieren kann, sondern bloß Offensivkriege, um die Grenzen ihres Reichs, da sie schlecht zu decken sind, wenigstens zu mehren – und daß sie solche holzersparende Mitglieder sein sollen, wie ihr tödlich kranker Landes- und Reichsmarktflecken-Vater war. Jetzo, da mehr Wälder verkohlen als nachwachsen, ist das einzige Mittel dagegen, daß man das Klima selber einheize und in einen großen Brut-, Darr- und Feldofen umsetze, um die Stubenöfen zu ersparen; und dieses Mittel haben längst alle gute forstgerechte Kammern ergriffen, die vor allen Dingen die Forstmaterie, die Wälder, ausreuten, die voll Nachwinter stecken. Wenn man bedenkt, wie sehr schon das jetzige Deutschland gegen das von Tacitus mappierte absticht, bloß durch das Lichten der Wälder ausgewärmt: so kann man leicht schließen, daß wir doch endlich einmal zu einer Wärme, wo die Luft unsere Wildschur ist, gelangen werden, sobald es ganz und gar kein Holz mehr gibt. Daher wird der jetzige Überfluß daran, um die Flöße zu steigern – wie man 1760 in Amsterdam öffentlich für 8 Millionen Livres Muskatennüsse verbrannte, um ihren alten Preis zu erhalten –, gleichfalls eingeäschert. 
 Ich als König vom kuhschnappelischen Jerusalem will ferner, daß der Senat und das Volk, Senatus populusque Kuhschnappeliensis151, nicht verdammt werden, sondern selig, besonders auf dieser Welt – daß ferner die Stadt-Magnaten nicht die kuhschnappelischen Nester (Häuser) zugleich mit den indischen verschlucken – und daß die Abgaben, die durch die vier Mägen der Hebbedienten durch müssen, durch die Panse, durch die Mütze, den Psalter und den Fettmagen, am Ende doch aus Milchsaft zu rotem Blute (aus Silber zu Gold) verarbeitet, und wenn sie durch die Milchgefäße, den Milchsack und Milchgang geflossen, ordentlich ins Geäder des Staats-Körpers getrieben werden. – Ich will ferner und verordne ferner, daß der Große und der Kleine Rat...« Der Landschreiber wollte aufhören und schüttelte auffallend den Kopf; aber Leibgeber spielte scherzend mit der ausgehenkten Büchse, womit der Testator sich auf den Schützenthron geschwungen – anstatt daß andere sich an fremden Springstäben von Ladstöcken darauf heben –, und Börstel schrieb in seinen Morgenschweißen weiter nieder: 
»Daß also der Schultheiß, der Seckelmeister, der Heimlicher und die acht Ratherrn und der Großweibel mit sich reden lassen und keine andern Verdienste belohnen als die Verdienste fremder Leute, und daß der Schuft von Blaise und der Schuft von Meyern aneinander täglich prügelnde Hände als Verwandte legen sollen, damit doch einer da ist, der den andern bestraft....«[...]"
(Jean Paul: Siebenkäs, 4. Bändchen 20. Kapitel)

05 November 2018

Zwei ungewöhnliche Freunde: Siebenkäs und Leibgeber

"Fragt nicht sehr, warum beide sich mit einander verbrüderten; die Liebe braucht gar keine Erklärung, nur der Haß. Aller Ursprung des Besten, vom All an bis zu Gott hinauf, bedeckt sich mit einer Nacht voll zu ferner Sterne. Beide sahen in der grünglänzenden Saftzeit der akademischen Jugend zuerst einander durch die Brust ins Herz, aber mit den ungleichnamigen Polen zogen sie sich an. Siebenkäs erfreuete sich vorzüglich an Leibgebers harter Kräftigkeit, ja sogar Zornfähigkeit, an dessen Flug und Lachen über jeden vornehmen, jeden empfindsamen, ja jeden gelehrten Schein; denn er legte ein Ei seiner Tat oder seines tiefen Worts, wie der Kuntur das seinige, ohne Nest auf den nackten Felsen und lebte am liebsten ungenannt, daher er immer einen andern Namen annahm. Der Armenadvokat pflegte ihm deshalb, um sein Ärgern darüber zu genießen, mehr als über zehnmal zwei Anekdoten zu erzählen. Die erste war, daß ein deutscher Professor in Dorpat in einer Lobrede auf den damaligen Großfürsten Alexander plötzlich sich selber eingehemmt und still geschwiegen und lange auf die Büste desselben hingeblickt und endlich gesprochen: »Das verstummende Herz hat gesprochen.« Die zweite war, daß Klopstock die Prachtausgabe seines Messias an die Schulpforte abgeschickt mit dem Wunsche, der würdigste Schulpförtner [Fußnote: Deutscher Merkur von 1809. ] möge auf das Grab seines Lehrers Stübel Lenzblumen streuen, dabei des Gebers Namen Klopstock leise nennen; – worauf Siebenkäs, wenn Leibgeber etwas auffuhr, noch damit fortfuhr, daß der Sänger vier neue Pförtner, jeden zu drei Vorlesungen aus seiner Messiade, aufgerufen und jedem dafür eine goldene Medaille zugesagt, die ein Freund hergebe; und jetzo endlich harrte er auf Leibgebers Sprudeln und Stampfen über einen, der (leibgeberisch zu sprechen) sich selber als sein eigenes Reliquiarium voll heiliger Knochen und Glieder anbetet. Leibgeber hingegen – fast den Morlacken ähnlich, welche nach Towinson und Fortis auf der einen Seite für Rache und Heiligung einen Namen (osveta) haben und auf der andern sich am Altare zu Freunden trauen und einsegnen lassen – hatte seine vorzügliche Freude und Liebe an der Diamantnadel, welche in seinem satirischen Milchbruder Poesie und Milde zugleich mit einem welttrotzenden Stoizismus ineinandersteckte. Und endlich erlebten beide täglich aneinander die Freude, daß jeder den andern ungewöhnlich verstand, wenn er Scherz, ja sogar wenn er Ernst machte. Aber solche Freunde findet nicht jeder Freund." 
(Jean Paul: Siebenkäs, Zweites Kapitel)

27 Januar 2018

Jean Paul: Siebenkäs

"Der Armenadvokat Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel hatte den ganzen Montag im Dachfenster zugebracht und sich nach seiner Braut umgesehen; sie sollte aus Augsburg früh ein wenig vor der Wochenbetstunde ankommen, damit sie etwas Warmes trinken und einmal eintunken könnte, ehe die Betstunde und die Trauung angingen. Der Schulrat des Orts, der gerade von Augsburg zurückfuhr, hatte versprochen, die Verlobte als Rückfracht mitzunehmen und ihren Kammerwagen oder Mahlschatz hinten auf seinen Koffer zu binden. Sie war eine geborne Augsburgerin – des verstorbenen lutherischen Ratkopisten Egelkraut einzige Tochter –, wohnte in der Fuggerei in einem geräumigen Hause, das vielleicht größer war als mancher Salon, und war überhaupt nicht unbemittelt, da sie nicht wie pensionierte Hof-Soubretten von fremder Arbeit lebte, sondern von eigner; denn sie hatte die neuesten Kopf-Trachten früher als die reichsten Fräulein in den Händen (wiewohl in einem Formate, daß keine Ente den Putz aufsetzen konnte) und führte nach dem kleinen Baurisse die schönsten Hauben im großen aus, wenn sie einige Tage vorher bestellt waren.
Alles, was Siebenkäs unter dem Warten tat, waren einige Eidschwüre, daß der Teufel das Suchen und seine Großmutter das Warten ausgesonnen. Endlich erhielt er noch früh genug statt der Braut einen Nachtboten mit einem Schreiben des Schulrats: er und die Verlobte könnten unmöglich vor Dienstags eintreffen, sie arbeite noch an ihrem Brautkleide, und er noch in den Bibliotheken der Exjesuiten und des Geheimen Rat Zapf und der Gebrüder Veith und an einigen Stadttoren. Letzte bewahren bekanntlich uns noch römische Altertümer. Indes Siebenkäsen Schmetterlingrüssel fand in jeder blauen Distelblüte des Schicksals offne Honiggefäße genug; er konnte doch am leeren Montag die letzte Arm-Feile und den Glättzahn an seine Stube legen, mit Schreibfedern den Streusand und den Staubpuder vom Tische fegen, das papierne Geniste hinter dem Spiegel ausreuten, das Dintenfaß von Porzellan mit unsäglicher Mühe weißer wischen und die Butterbüchse und die Kaffeetäßchen auf dem Throngerüste eines Schrankes mehr weiter hervor in Reih und Glied stellen und die Messingnägel am ledernen Großvaterstuhl blitzgelb scheuern. [...]
 Eine Braut ist zwar viele Tage lang für jeden, den sie nicht heiratet, ein schlechtes, mageres hl. Schaubrot, und für mich vollends; aber eine Stunde nehm' ich aus – nämlich die am Morgen des Hochzeittages –, worin die bisherige Freiin in ihrem dicken Putze zitternd, mit Blumen und Federn bewachsen, die ihr das Schicksal mit ähnlichen bald ausreißet, und mit ängstlichen andächtigen Augen, die sich am Herzen der Mutter zum letzten und schönsten Mal ergießen; mich bewegt diese Stunde, sag' ich, worin diese Geschmückte auf dem Gerüste der Freude so viele Trennungen und eine einzige Vereinigung feiert, und worin die Mutter vor ihr umkehrt und zu den andern Kindern geht und die Ängstliche einem Fremden überlässet. Du froh pochendes Herz, denk' ich dann, nicht immer so wirst du dich unter den schwülen Ehejahren heben, dein eignes[36] Blut wirst du oft vergießen, um den Weg ins Alter fester herabzukommen, wie sich die Gemsenjäger ans Blut ihrer eignen Fersen halten. – – Dann möcht' ich zu den zuschauenden und neidischen Jungfrauen auf dem Wege zur Kirche hinaustreten und sagen: mißgönnt der Armen die Wonne einer vielleicht flüchtigen Täuschung nicht so sehr – ach ihr sehet wie sie heute den Zank- und Schönheitapfel der Ehe nur in der Sonnenseite der Liebe hangen, so rot und so weich; aber die grüne, saure, im Schatten versteckte Seite des Apfels sieht niemand. [...]
Ich sehe zwar jetzo das geliebte Paar am Altargeländer knieen und könnte dasselbe wieder mit meinen Wünschen, wie mit Blumen, bewerfen, besonders mit dem Wunsche, daß beide den Eheleuten im Himmel ähnlich werden, die allemal, nach Swedenborgs Vision, in einen Engel verschmelzen – wiewohl sie auf der Erde oft in der Hitze auch zu einemEngel, und zwar zu einem gefallnen einkochen, woran des Weibes Haupt, der Mann, den stößigen Kopf des Bösen vorstellt – noch einmal wünschen könnt' ich, sag' ich; aber meine Aufmerksamkeit wird, so wie die aller Trauzeugen, auf eine außerordentliche Begebenheit und Vexiergestalt hinter der Liedertafel des Chors gelenkt. – –
Droben guckt nämlich herunter – und wir sehen alle in der Kirche hinauf – Siebenkäsens Geist, wie der Pöbel sagt, d.h. sein Körper, wie er sagen sollte. Wenn der Bräutigam hinauf schauet: so kann er erblassen und denken, er sehe sich selber. – – Die Welt irrt; rot wurd' er bloß. Sein Freund Leibgeber stand droben, der schon seit vielen Jahren ihm geschworen hatte, auf seinen Hochzeittag zu reisen, bloß um ihn zwölf Stunden lang auszulachen. Einen solchen Fürstenbund zweier seltsamen Seelen gab es nicht oft. – Dieselbe Verschmähung der geadelten Kinderpossen des Lebens, dieselbe Anfeindung des Kleinlichen bei aller Schonung des Kleinen, derselbe Ingrimm gegen den ehrlosen Eigennutz, dieselbe Lachlust in der schönen Irrenanstalt der Erde, dieselbe Taubheit gegen die Stimme der Leute, aber nicht der Ehre, dies waren weiter nichts als die ersten Ähnlichkeiten, die sie zu einer in zwei Körper eingepfarrten Seele machten. Auch dieses, daß sie Milchbrüder im Studieren waren und einerlei Wissenschaften, bis auf die Rechtsgelehrsamkeit, zu Ammen hatten, rechn' ich, da oft gerade die Gleichheit der Studien ein auflösendes Zersetzmittel der Freundschaft wird, nicht am höchsten an. Ja nicht einmal die bloße Unähnlichkeit ihrer ungleichnamigen Pole (denn Siebenkäs verzieh, Leibgeber bestrafte lieber, jener war mehr eine horazische Satire, dieser mehr ein aristophanischer Gassenhauer mit unpoetischen und poetischen Härten) entschied ihr Anziehen. Aber wie Freundinnen gern einerlei Kleider, so trugen ihre Seelen ganz den polnischen Rock und Morgenanzug des Lebens, ich meine zwei Körper von einerlei Aufschlägen, Farben, Knopflöchern, Besatz und Zuschnitt: beide hatten denselben Blitz der Augen, dasselbe erdfarbige Gesicht, dieselbe Länge, Magerheit und alles; wie denn überhaupt das Naturspiel ähnlicher Gesichter häufiger ist, als man glaubt weil man es nur bemerkt, wenn ein Fürst oder ein großer Mann einen körperlichen Widerschein wirft. "
(Jean Paul: Siebenkäs, 1. Kapitel, S.38/39)