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18 Juli 2020

Georg Forster: Parisische Umrisse

Georg Forster hat noch in der Zeit, als die Französische Revolution in die Schreckensherrschaft umschlug die Entwicklung damit gerechtfertigt, dass es bei einer Auseinandersetzung um Leben und Tod nicht mehr möglich sei, die Beweggründe beider Seiten gegeneinander abzuwägen, sondern nur noch das Ausfechten des Kampfes dazu führen könne, dass nachher in Ruhe entschieden werden könne, wer recht gehabt habe.

"Es gab eine Zeit, wo man sich in Deutschland mit einer Art von Siegwarts-Empfindsamkeit über die Harmlosigkeit unsrer Revolution hoch erfreute; alles schien so gelassen, so friedlich abzulaufen, daß man Frankreich für das glückliche Schlaraffenland hielt, wo einem die – Freiheit? von selbst in den Wurf käme. Ein Paar Köpfe, auf Piken gespießt, ließ man uns hingehen; ja, man verzieh uns sogar die Aufknüpfung des armen Schluckers Favras, wodurch einer vornehmeren Kehle geschont wurde. Als nun gar unsre Verfassung von 1791 zu Stande kam: wer hätte da noch an der Wiederkehr des goldenen Zeitalters gezweifelt? Diese utopischen Träume mußten bei der Wendung, die hernach die Sachen nahmen, eine höchst nachtheilige Wirkung thun; man ließ es uns entgelten, daß man sich in seinen Hoffnungen so verrechnet hatte. Als am 10ten August die Absetzung des Königs Blut kostete, da kündigten uns Eure Revolutionsfreunde schon Hut und Weide auf; und bald hernach verglichen sie unsre unseligen Septembernächte mit Karls des Neunten und seiner Mutter Bartholomäusnacht. Seitdem ist es so revolutionsgemäß bei uns hergegangen, daß man von dem ersten Vorurtheil endlich zurückgekommen ist. Man hat Zeit gehabt, die Geschichte andrer Revolutionen mit der unsrigen zu vergleichen. Ihre Würgengel mögen sich unter einander um den Vorrang streiten; und da unsre Rechnung vielleicht nicht so bald abgeschlossen werden kann, so müssen jetzt die Revolutionen überhaupt, und ohne Rücksicht auf ihren Zweck, vorläufig ihr Verdammungsurtheil empfangen. – O über die Kinder, die sich die Nase an einer Stuhlecke stoßen, und den Stuhl dafür peitschen! – O über die Klügler, die, wenn das Gewitter, das die Saaten erquickte, zugleich Dörfer in Brand steckt, Menschen und Heerden erschlägt, nicht wissen, ob sie es Wohlthat oder Plage nennen sollen!
Den Weibern, deren gutmüthige Schwärmerei so gern eine Unschuldswelt hervor zaubern möchte, ist es zu verzeihen, wenn sie über den Punkt das All vergessen. Sie sind gewohnt, das Schauspiel der Weltbegebenheiten nur in dem Einen Gegenstande, der ihr Herz erfüllt, zu erblicken; und alles um sie her ist Nacht, wenn dieser Spiegel zerbricht. »Die Guillotine«, sagte mir neulich eine Pariserin, »wird noch alle Regungen der Menschlichkeit ersticken. Selbst meine Kinder sprechen schon davon in ihren Spielen und die Straßenjungen haben längst manche Katze guillotinirt; ja, es heißt sogar, daß sie in einem gewissen Städtchen das Experiment an einem aus ihrer Mitte hätten probiren wollen.« – Mir machten diese Beispiele von angeblicher Verwilderung um so weniger bange, da ich wußte, daß diesmal einige der neuesten Auftritte die gute Frau außer Fassung gebracht hatten. Am wenigsten durfte sie für ihre eigenen Kinder besorgt seyn, bei denen man den glücklichsten Übergang kindlicher Triebe in das zarte sittliche Gefühl unmöglich verkennen konnte. Warum sollte auch Fühllosigkeit gerade das Hauptresultat einer Revolution seyn, worin so manche Triebfedern wirken? Wer hält die Engländer darum für fühlloser als andre Menschen, weil man in London wöchentlich ganze Galgen voll Diebe, Räuber und Mörder aufhängen sieht? Wahr indessen oder nicht; jene Besorgniß verräth immer ein schönes Gefühl, und der echte Bürger, der Mensch im größten Sinne des Worts, leidet tief bei der traurigen Erfahrung daß ohne ganze Ströme Bluts die Vortheile der Revolution deren die Welt so nothwendig bedarf, ihr nicht zu Gute gekommen wären. Ja es trifft sich zuweilen, (und dies ist unstreitig das Niederschlagendste von Allem) daß der Verbrecher im politischen Sinn, als Mensch, als Hausvater und Freund, von Hunderten die ihn kannten, betrauert wird. Bei Ihnen dürfte mancher auch noch fragen: ist denn das politische Verbrechen allemal so ausgemacht? Eigentlich sind wir zur Beantwortung dieser Frage noch nicht hinlänglich unterrichtet. Welcher Dritte kann jetzt noch darüber urtheilen, ob die Systeme und Regierungsplane der einen oder der andern Parthei den Vorzug verdienten? Allein, so bald es zwischen ihnen so weit gekommen war, daß keine Aussöhnung mehr möglich blieb und es einen Kampf auf Tod und Leben galt; so konnte nur der Ausgang über die Straffälligkeit entscheiden und die siegende Parthei fand ihre Rettung einzig und allein in der Vertilgung der andern. Was die Leidenschaften hier unter dem Mantel der unerbittlichen Nothwendigkeit gewirkt haben mögen, wird der Vergeltung nicht entgehen, wenn es auch eben kein Thurm von Siloah wäre, der über den Schuldigen zusammenstürzte; aber die Moralität jener blutigen Rache gehört wenigstens für jetzt vor keinen menschlichen Richterstuhl.
Es ziemt uns, wenn wir kaltblütig forschen wollen, die Ursachen nicht zu übersehen, die allem Thun der Menschen so viel Unwillkührliches beimischen, daß das Wenigste zuletzt, sey es lobens- oder tadelnswerth, ihnen eigen gehört. Die gewaltsamsten Erscheinungen unserer Revolution entsprangen aus dem Widerstand und Aneinanderreihen der Kräfte. Die konstituirende Nationalversammlung wurde durch kleine Hindernisse gereitzt, die ihr der Blödsinn in den Weg legte; und täglich gewann sie dadurch ein vollkommneres Bewußtseyn ihrer Überlegenheit. In der zweiten ward die Reibung stärker: der Hof strebte nach seiner alten Macht; die Minorität gönnte ihm auch die nicht, die er vermöge der neuen Verfassung hatte, und in dieser Minorität lag eine andere noch ungeborne, die auf kürzerem aber halsbrechendem Wege, per saxa, per ignes, zur Republik gelangen wollte. Dessen ungeachtet blieben die furchtbarsten Krämpfe noch für die jetzige Versammlung aufbewahrt. In den Waffenkreis der auswärtigen Mächte gebannt, stürmten die los gebundenen Leidenschaften durch einander, und die Wuth der Partheien entbrannte in lichten Flammen. Unstreitig hat der gewaltsame Druck, womit man unsere Gährung dämpfen wollte, die Hitze auf den höchsten Punkt gebracht, und die heftigsten Anstrengungen in uns hervorgerufen.
Jetzt haben wir indessen unter einander ausgekämpft; alles kommt gegenwärtig darauf an, jenen zusammendrückenden, ehernen Kreis zu zersprengen. Wie mag es aber gekommen seyn, daß Europa so gegen uns sein ganzes Spiel auf Eine Karte setzt? Wer hat die Elasticität des gährenden Stoffes so genau berechnet, daß man von seiner Kraft nichts zu befürchten haben sollte? Wer kennt den Grad der Verstärkung, den unsere Gährung durch die von außen hinein gemischten Mittel noch erhalten kann? Wenn die Bombe zerplatzt, wird sie nicht alles umher zertrümmern? Ist überhaupt ein überlegter, ruhiger, fester Gang der Vernunft in diesem Plane zu suchen, oder ist es überall Leidenschaft gegen Leidenschaft, und Würfel gegen Würfel? Führen Könige und Republikaner nur Krieg mit einander, oder schlägt ein Gott die Menschengattung in Scherben, um sie im Tiegel neu umzugießen? –"
Georg Forster: "Parisische Umrisse"

Forster ist nach einer glänzenden Karriere als Wissenschaftler verarmt und verlassen an Lungenentzündung gestorben. Daran, dass die Revolution die gerechte Sache vertreten hat, hat er festgehalten. 

In der Wikipedia heißt es dazu:
"Forster wurde sich nun des Widerspruchs bewusst zwischen dem Anspruch der Revolution, das Glück der Menschheit zu befördern, und der revolutionären Praxis, die über das Glück und das Leben des einzelnen Menschen grausam hinweggehen konnte. Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Befürwortern der Revolution, wie etwa Friedrich Schiller, wandte sich Forster aber selbst unter dem Eindruck des Terrorregimes nicht von den revolutionären Idealen ab. Er verglich die Ereignisse in Frankreich mit einem Naturereignis, das man nicht aufhalten könne. Kurz vor seinem Tod schrieb er:
„Die Revolution ist ein Orkan. Wer kann ihn hemmen? Ein Mensch, durch sie in Tätigkeit gesetzt, kann Dinge tun, die man in der Nachwelt nicht vor Entsetzlichkeit begreift.“
Bevor die Terrorherrschaft ihren Höhepunkt erreichte, starb Georg Forster im Januar 1794, noch nicht 40-jährig, an einer Lungenentzündung in einer kleinen Dachwohnung in der Rue des Moulins in Paris."

14 August 2015

Georg Forster: James Cook, der Kapitän

Die Ausrüstung der Schiffe, und die Menge sowohl, als die Beschaffenheit des Vorraths aller Art, beschäftigten zunächst die Aufmerksamkeit des Capitains, so wenig auch diese Gegenstände den gewöhnlichen Befehlshaber angehen, der sein Schiff aus den Händen der Werft-Officianten völlig ausgerüstet erhält, und es, wenigstens in diesem Falle, für überflüßig hält, mehr als seine Pflicht zu thun. Als Ansons Geschwader im Jahr 1740 den Spaniern in Peru einen tödtlichen Streich versetzen sollte, mißlang der große Anschlag durch die Schuld der zwecklosen Ausrüstung; und diese gerechte Klage rechtfertigte den Admiral. Wären Cooks Unternehmungen aus einem ähnlichen Grunde gescheitert, ohne Zweifel hätte man ihn ebenfalls von aller Schuld völlig freygesprochen; allein sein Name wäre dann schwerlich auf die Nachwelt gekommen. Ich brauche wohl nicht erst zu fragen, welches von beyden größer ist: einen Vorwurf von sich abwälzen, oder seine Maaßregeln so sicher nehmen, daß alles gelingt, und überhaupt kein Tadel Statt finden kann? In der That, wäre Cook nicht Kenner in diesem Fache gewesen, hätte er nicht selbst gewählt, und von jeder Art des Vorraths so viel als ihm nöthig dünkte, unter seinen Augen einschiffen lassen; wie hätte er auf drey- und mehrjährigen Reisen, bey der Unmöglichkeit sich wieder mit anderm zu versehen, so vielen Stürmen und Wettern Trotz bieten können? Es ist bekannt, daß die verschiedenen Vorräthe eines Schiffs, welches zur Brittischen Flotte gehört, gewissen Officieren untergeben sind. So hat der Equipagenmeister oder Lootse (Master) die Oberaufsicht über die ganze Ladung. Der Oberbootsmann hat alles Tau- und Takelwerk, die Anker, die Segel und die Bote in Verwahrung; der Schiffszimmermann, den Holzvorrath und das Eisengeräth, nebst allem Zubehör; der Constapel die Kriegsmunition, der Wundarzt die Medikamente, endlich der Seckelmeister, (purser) und dessen Schreiber die Lebensmittel und die Kleidungsstücke. Die Befehlshaber, welche auf Entdeckungsreisen gingen, verwalteten gemeiniglich das einträgliche Seckelamt selbst. Auch dieses war eine der nothwendigsten Einrichtungen, wodurch der glückliche Erfolg der Reisen gesichert ward, der sonst von den guten oder schlechten Anstalten dieses Beamten abgehangen hätte. Ein umständliches Verzeichniß von allen einzeln mitgenommenen Artikeln würde uns zu weit führen, und ohne weitläuftigere Erläuterung zwecklos seyn. Hieher gehört nur noch die Bemerkung, daß in jedem Fache Cooks Erfahrung nicht nur über die Nothwendigkeit oder Entbehrlichkeit der gewöhnlichen Vorräthe entschied, sondern auch mehrere Veränderungen veranlaßte, und einige ganz neue, noch von keinem Schifscapitain geführte Artikel in Gang brachte, welche seitdem zum Theil in der Flotte allgemein eingeführt worden sind, zum Theil noch angenommen zu werden verdienten. Unter den besondern Vorkehrungen aber, welche ganz ausschließend für Entdeckungsreisen gehören, verdient die folgende nicht ganz übergangen zu werden. Cook hatte auf seiner ersten Weltumschiffung bemerkt, wie nützlich ihm ein kleineres Fahrzeug als sein Schiff, bey der Untersuchung einer beträchtlichen mit Untiefen umringten Seeküste gewesen wäre; ja, er war überzeugt, daß im Fall die großen Schiffe so beschädigt würden, daß die Rückkehr nach Europa in denselben zu mißlich seyn möchte, dergleichen kleine Fahrzeuge sogar zur Rettung der gesammten Mannschaft dienen könnten. Demzufolge hatte man ihm, auf der zweyten und dritten Reise, in jedem Schiffe einen kleinen Schooner mitgegeben, dessen Holzwerk ganz fertig gezimmert war, und erforderlichen Falls nur zusammengefügt zu werden brauchte. Die Masten, das Tauwerk und die Segel dieser Fahrzeuge, waren ebenfalls in England mit eingeschifft worden; kurz, es fehlte nur an Gelegenheit, sich ihrer wirklich zu bedienen. Wenn man berechnet, welch einen großen Platz diese Fahrzeuge im Schiffe einnehmen müssen, wenn man bedenkt, daß alle Vorrathskammern mit Sachen vollgepfropft sind; daß auf dem Verdeck, zwischen dem großen und dem Fockmast, fünf große und kleine Boote stehen; daß die Seiten des Vordercasteels mit ungeheuren Noth- und Bugankern und ansehnlichen Strom- und Flußankern gleichsam bedeckt sind; daß der innere Raum voll vieler hundert Fässer ist, wovon allein zuweilen sechzig bis siebzig mit Wasser, eben so viel mit Sauerkraut, und ungleich mehr noch mit gepöckeltem Rind- und Schweinfleisch, mit Mehl, Erbsen und Zwieback, auch viele mit Wein und Branntwein angefüllt sind; daß eine Menge Steinkohlen theils als Ballast, um das Schiff gehörig ins Wasser zu senken, theils zum täglichen Gebrauch in der Küche, im Tiefsten liegt; daß viele Kabeltaue, jedes hundert und mehr Klafter lang, und manches von der Dicke eines Schenkels, oben im Matrosenraume befindlich sind: so erstaunt man wahrlich, wie in einem Behältniß von vierhundert und achtzig Tonnen, deren jede vier und vierzig Quadratfuß hält, noch hundert und zwanzig Menschen Platz finden, oder, wenn dies begreiflich ist, wie sie drey Jahre lang, bey unverdaulicher Kost, bey steter Anstrengung und allem Druck der härtesten Lebensart, gesund und gutes Muthes bleiben können? [...]
Ich habe unsere Leute schweigen sehen, wenn Monate lang das Verdeck, ihr Spielplatz und Erholungsort, ein unangenehmer Aufenthalt für sie war; aber unverdrossen und thätig blieben sie immer, denn ihre Vorgesetzten erduldeten bey Tag und bey Nacht mit ihnen die vielfältigen Beschwerden ihres harten Dienstes. Der Officier blieb, durchnäßt und starrend vor Kälte, auf dem Verdeck, und verließ es nicht eher als seine Wache, und Cook selbst genoß keine andre Speise als der gemeine Seemann. Eine Last wird leicht, und die Gefahr verschwindet, wenn man sie mit andern theilt. Noch wirksamer war aber das feste Vertrauen des Volks auf die weise Führung seines Befehlshabers, und die Ehrfurcht, die man allgemein an Bord für seine Talente und seinen Charakter hegte. Theils jene freywillige Enthaltsamkeit von allem ausschließenden Genuß, theils unzählige Beyspiele von seiner unermüdeten, väterlichen Sorge für das Wohl seiner Untergebenen, stärkten ihr Vertrauen auf ihn bis zu einem Grade von Enthusiasmus. Ein Fest, welches er ihnen zu rechter Zeit erlaubte, ein stärkender Trank, den er austheilen ließ, wenn die Witterung zu schneidend war, oder wenn harte Arbeit die Leute ermattet hatte; ein Zug von Menschlichkeit, wenn er seine Zimmer aufopferte, um den Segelmacher dort bequemer arbeiten zu lassen, und viele kleine Nebensachen dieser Art, gewannen ihm das Herz der rauhen, harten Kerle, die selten so behandelt worden waren. Man darf daher mit Recht behaupten, daß seine Disciplin musterhaft war, und dies vielleicht um so viel mehr, da diejenigen Officiere, die aus andern Kriegsschiffen unter Cooks Commando versetzt wurden, sie gemeiniglich nicht strenge genug fanden. Wie rühmlich ist nicht dieser Tadel für Cook?

Georg Forster: James Cook, der unerschrockene Entdecker

Die Seite gegen das stille Meer oder gegen Morgen hin, hatte noch kein Seefahrer berührt, als Cook sie auf einer Strecke von sechshundert Seemeilen befuhr. Sie ist höher als die andere, aber eben so von Untiefen und Klippen, dem bewundernswürdigen Bau gewisser polypenartigen Thierchen, umringt. Ihre kalkigten Wurmgehäuse wachsen am unergründlichen Boden des Meeres fest, und werden, so wie das Thier in den untersten Stämmen abstirbt, zu wahren Felsenmauren von Korall, welche oberwärts immer neue Äste treiben, und sich zuletzt, je näher sie der Oberfläche des Meeres kommen, nach allen Richtungen ausbreiten. Solche Korallenmauern sind es, an denen die hohe Woge des vom beständigen Ost-Passatwind erregten Meeres sich schäumend brandet, und die der Seemann Riefe nennt. Oft erstrecken sie sich rund um Inseln her; oft ziehen sie sich mehrere hundert Meilen, wie hier bey Neuholland, in paralleler Richtung mit den Küsten; oft stehen auch mehrere dergleichen Riefe hintereinander. Zwischen ihnen und dem Lande ist ein ruhiges Meer; denn die hereinrollende See bricht sich an der Schutzmauer, die ein Wurm ihrem Ungestüm entgegen zu setzen vermochte, und fließt entkräftet über sie hin, oder kömmt durch enge Brüche und Öfnungen hinein, welche zugleich den Schiffen zur Ein- und Ausfahrt dienen. [...] 
Mit Angst und Entsetzen sucht er einen Ausweg, durch den er wieder in die offene See gelangen, und sich von furchtbaren Syrten entfernen könne, wo ihn der Tod in tausend Gestalten umringt. Nicht also Cook, der Entdecker! Fünf Monate lang blieb er an dieser Küste, folgte allen ihren Krümmungen, nahm ihre Häfen und Bayen auf, bestimmte die Lage vieler hundert Untiefen und Klippen, und verließ sie nicht eher, als bis er sie vom acht und dreyßigsten bis zum zehnten Grade südlicher Breite durchaus entdeckt, und endlich zwischen ihrer Nordspitze und den Inseln von Neuguinea die Durchfahrt gefunden hatte, welche von seinem Schiffe, den Namen Endeavourstraße erhielt. Fast sollte man auf den Gedanken gerathen, daß auch der verwegenste Schwung einer romanhaften Einbildungskraft noch nicht an die wirklichen Thaten reicht, die hier dem hartnäckigen Ausharren, der unerreichbaren Kunst, und vor allem, dem Innern edlen Antrieb einer brennenden Ruhmbegierde möglich waren. Man muß die Geschichte dieser Fahrt selbst lesen, wenn man sich von den Schwierigkeiten, die Cook hier überwand, den Gefahren die ihm drohten, und dem standhaften Muth, womit er sich, das Senkbley in der Hand, zwischen den Felsenwänden und Ketten und Klippen durchtastete, einen vollständigen Begrif machen will. Alle seine Behutsamkeit konnte es jedoch nicht verhindern, daß sein Schiff auf einen verborgenen Felsen stieß wo es vier und zwanzig Stunden lang hangen blieb, indessen jedermann dem schrecklichen Augenblick seines Untergangs entgegen sah. Nur die glücklichen Umstände, daß der gewöhnliche Seewind still war und keine hohen Wellen erregte, daß ein Stück des Felsens in dem Schiffe stecken blieb, und die Wunde die er ihm gerissen hatte, beynahe ganz ausfüllte, daß einem Officier ein sonderbares Mittel den Leck zu verstopfen gelang, und endlich, daß sich ein zur Ausbesserung bequemer Hafen in der Nähe fand, bewirkten diesmal eine unerwartete Rettung.

08 August 2015

Georg Forster: James Cook

[...] Von dem Jahr 1521 an, bis 1768, in einem Zeitraum von drittehalbhundert Jahren, wurden viele Reisen durch eben diesen Ocean gethan, den Magellan zuerst beschiffte. Bald trieb Begierde nach Reichthümern, welche in Peru und Mexico ihren höchsten Grad erstiegen hatte, und nicht befriedigt worden war, Cortez und Pizarros Gefährten zu Schiffe; bald suchten Engländer und Holländer sich entweder durch den Schleichhandel zu bereichern, oder den Eroberern der neuen Welt ihre Schätze mit Gewalt zu entreißen; endlich führte auch die Hoffnung, im unbekannten Schooße des Südmeeres ein reiches Land zu entdecken, Seefahrer aus allen Nationen in Magellans Fußtapfen. Allein die Menge der Reiserouten, auf welchen man das Südmeer in dieser Absicht durchkreuzte, dient zum augenscheinlichsten Beweise, wie wenig die Triebfeder allein zur Sache thut, wenn nicht Fähigkeit des Entdeckers hinzukömmt. [...]
Die Summe aller Entdeckungen, die man seit Magellans Zeiten im Südmeere gemacht hatte, war indeß nichts weniger als beträchtlich. Mehr als dreißig Reiserouten hatten diesen Ocean, den größten unter allen, durchschnitten, ohne mehr als die Lage einiger verlohrnen Inselpünktchen zwischen den Wendekreisen dürftig zu bestimmen; ja die früheren hatten größtentheils, wie die dunkeln Tagebücher der Anführer, diese Denkmäler ihrer Unkunde und geringen Fähigkeit beweisen, mehr Ungewißheit als Licht über jene Weltgegend verbreitet. Noch war die halbe Oberfläche der Erdkugel von tiefer Nacht bedeckt; und welche Traumgestalten schwebten nicht in ihr umher, die den leichtgläubigen Geographen täuschten, und selbst den vernünftigen Forscher verwirrten; scheinbare Muthmaßungen spekulativer Köpfe, müßige, auf mißverstandene Überlieferung gegründete Mährchen, und dreiste Erdichtungen vorsetzlicher Betrüger! Rund um den Südpol, bis zum funfzigsten Grad der Breite, war alles, die einzige Spitze von Südamerika ausgenommen, unbekannt. [...]
allein auch diese wirklichen oder angeblichen Entdeckungen bestärkten nur den Glauben an ein festes Südland, welches nunmehr auf allen Charten erschien. Seine Küsten zeichnete man keck in einer mit Chili fast parallel zum Wendekreise hinablaufenden Linie, ließ sie an einigen Orten bis zum zwanzigsten Grad der Breite in den heißen Erdgürtel sich verlängern, und dann wieder südwestwärts nach Neuseeland steigen.
Dies war die Lage der Geographie, als Cook erschien, dem es vorbehalten war, in kurzer Zeit die Kenntniß der Erde in das hellste Licht zu setzen. Der Geist der Entdeckung beseelte ihn ganz, und seine Eigenschaften waren dem Geschäfte, wozu ihn das Schicksal auserkohr, so angemessen, daß er allein mehr als alle seine Vorgänger zusammen genommen leistete, und als Seemann und Entdecker, unerreichbar und einzig, der Stolz seines Jahrhunderts bleibt.
In einem gleichen Zeitraum hat niemand je die Gränzen unseres Wissens in gleichem Maaße erweitert. Seine unmittelbaren Vorgänger glaubten allen Forderungen der Nachwelt ein Genüge gethan zu haben, wenn sie innerhalb zwey und zwanzig Monaten die Erde umschiften; denn diese Umschiffung allein schien ihnen verdienstlich genug. Carteret blieb zwar etwas länger aus, weil er einen Monsun versäumte; doch brachte er diese Zeit in Häfen zu, die Europäern gehörten. Cook hingegen irrte auf seiner ersten Reise beynah drey Jahre umher. Die zweyte umfaßte einen noch längern Zeitraum; und die dritte, deren Ende er nicht erlebte, die er aber, selbst nach seinem Tode, noch zu lenken schien, dauerte mehr als vier Jahre!


Georg Forster: Cook, der Entdecker