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10 November 2017

Ein Kanzler mit NS-Vergangenheit (zu Johnson: Jahrestage)

Ein Kanzler mit NS-Vergangenheit  von Birte Förster (http://blogs.faz.net/cresspahl/)
In New York trifft Gesine Cresspahl auf Uwe Johnson, in Jerichow ihr Vater Heinrich auf die missbilligende Frau des Pastors, in Rande wird ein Mann namens Voss von Nazis erschlagen. Über die Entgrenzung von Gewalt und die Unfähigkeit eines Schriftstellers, Kiesinger und dessen Regierungssprecher, Freund aus dem NS-Außenministerium, zu erklären. [...]
Im Januar 1967 ist Gesine Cresspahl Zeugin, wie der „Schriftsteller Johnson“ bei einer Veranstaltung des American Jewish Congress daran scheitert, die Wahl Kurt Georg Kiesingers zum Bundeskanzler zu kommentieren. Sie beobachtet, wie sich erst Technik und fremde Sprache, dann auch das Publikum gegen ihn wenden, als er umständlich nach Erklärungen sucht. Geschichtsvergessenheit als Argument seiner Kritik an der Deutschen Regierung kam bei seinen Zuhörer*innen nicht gut an. Der gutmeinende Schriftsteller „hatte noch nicht begriffen, daß Zeit und Adresse ihm die Schuldlosigkeit des Fremdenführers aus der Hand genommen hatten“. Mit der Blauäugigkeit dieser Annahme konfrontiert das Publikum seinen Gast bei der Diskussion. Angesichts der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie ist für sie ein Vergessen nicht möglich:
„Und sie sagten: Meine Mutter. Theresienstadt. Meine ganze Familie. Treblinka. Meine Kinder. Birkenau. Mein Leben. Auschwitz. Meine Schwester. Bergen-Belsen. Mit siebenundneunzig Jahren. Mauthausen. Im Alter von zwei, vier und fünf Jahren. Maidanek.“

06 Juli 2013

Sabine Friedrich: Wer wir sind - Widerstand gegen das NS-Regime und seine biographischen Hintergründe

Erweiterte Fassung des Artikels vom 15.6.13

Man kann Friedrichs Buch "Wer wir sind" als Ergänzung der Filmreihe "Unsere Mütter, unsere Väter" sehen, weil sie weitere Milieus aus der Zeit der NS-Herrschaft menschlich nahe zu bringen versucht.

Sabine Friedrich selbst hat ihren Roman in einem Interview, wie folgt, charakterisiert:
Wuttke: Diese Lebenserinnerung, die Sie gerade geschildert haben, verstehen Sie deshalb Ihren Roman als einen Wirklichkeitsentwurf, oder als Zeitpanorama?
Friedrich: Ach wissen Sie, das sind Fragen, die sind schwierig zu beantworten. Es ist auf jeden Fall natürlich ein Zeitpanorama, das ist klar. Ich habe versucht, möglichst nahe auch an der Atmosphäre dran zu bleiben. Aber jeder Roman ist ein Wirklichkeitsentwurf, das kann gar nicht anders sein, zumal ein Roman, der ja mit dem Interesse geschrieben worden ist: mein erstes Interesse, daher der Titel, war ja, etwas herauszufinden darüber, wie Menschen sich verhalten in extremen Situationen und was sie dazu bringt, dann so oder so zu handeln, also was sie verkürzt gesagt zu Widerständlern macht. Ist das eine große Entscheidung, ist das eine Summierung vieler kleiner Entscheidungen, die einen plötzlich dort hinträgt, dass man sagt, das ist jetzt die Todeszelle von Plötzensee.    dradio, 11.10.2012
Dazu:
eine lobende Rezension, eine recht kritische, die Lesung eines Textausschnitts durch Sabine Friedrich.

Ich selbst kann nach meiner bisherigen Lektüre nur sagen: Ich freue mich  - ganz unabhängig von einem literarischen Urteil - darüber, dass ich Personen, die ich bisher aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen kenne, in einen  Kontext gestellt sehe, und mag es gar nicht, darüber zu lesen, wenn sie leiden müssen.
So beklage ich mich gar nicht über mangelnde Ausmalung der Unerträglichkeit mancher Situation.
Dass ich besonders über die Familie Bonhoeffer nicht genug lesen kann, hat persönliche Gründe.

John Rittmeister, Mitglied der Roten Kapelle*, entdeckt für sich in der Todeszelle die "Unendlichkeitsperspektve" (S.738)
"Seit ich die Dinge aus dieser Todesperspektive betrachte, denke ich ganz Unerhörtes. Ich fühle mich innerlich reicher als je zuvor. Was einem alles nimmt, macht einen reich. [...] Ich würde natürlich gern leben bleiben. Aber auch wenn ich sterbe, nehme ich nun alle diese Dige, die ich vorher gar nicht besessen habe, mit in den Tod hinein." (S.738)

*"Das von der Gestapo geschaffene Organisationskonstrukt Rote Kapelle hat in dieser Form nie existiert.“(Wikipedia)

In Oxford: Sabine Bonhoeffer-Leibholz' Töchter bitten um Geld für eine Sammelaktion in der Schule. "Und welchem guten Zweck sollen die Einnahmen dienen? Der Bombardierung Berlins." Dort erlebt Sabines Bruder Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis in Tegel die Luftangriffe. (S.860)

Kreisauer KreisHelmuth James Graf von MoltkeLöwenberger ArbeitsgemeinschaftEugen Rosenstock-Huessy,  Freya von Moltke, geb. Deichmann

Preußenschlag (S.1000)
Hans von Dohnanyi warnte davor, ihn rechtlich anzufechten: "Die Regierung Papen hat sich des verfassungsmäßig korrekten Instruments der Reichsexekution* bedient [...]" (S.1001)

*Die Verfassungsmäßigkeit der jeweiligen Maßnahmen ist bis heute umstritten. Ein Ausnahmezustand nach Art. 48WRV wäre nur durch die Bedrohung der Verfassung selbst zu rechtfertigen – jedoch wurden in Sachsen, Thüringen und Preußen jeweils demokratisch gewählte Regierungen abgesetzt, die sich zu keinem Zeitpunkt in offener Rebellion gegen die Weimarer Reichsverfassung befanden. (Wikipedia)

Julius Leber (S.1003ff), Carlo Mierendorff (S.1012ff), Adolf Reichwein (S.1022ff)
Bund der KöngenerHarald Poelchau  (S.1036) [Er half u.a. Konrad Latte.]

Helmuth v. Moltkes positive Staatslehre (S.1250ff) Über den Kreisauer Kreis: "Sie sind keine Verschwörer. [...] Ihre Treffen basieren auf alten Freundschaften, gemeinsamer Schulzeit, beruflichen und verwandtschaftlichen Beziehungen." (S.1269)
Einigkeit über den anzustrebenden Staat: "demokratisch und sozialistisch und außenpolitisch auf eine völkerverbindende Friedensordnung ausgerichtet" (S.1276)
Grundsatztexte des Kreisauer Kreisesallgemeine Prizipien (S.1519)
Julius Leber über den Kreisauer Kreis (in Friedrichs Darstellung): "Aber sie sind recht abgehoben, diese Leute. Sie brüten über detaillierten Programmen von solch verworrener Gründlichkeit, dass man sich fragt, wer außer ihnen sich jemals damit beschäftigen soll." (S.1519)
Hans Bernd von Haeften

Fritzi von Schulenburg an der Ostfront. "Fritzi hat alle Furcht überwunden: Todesfurcht, Tötungsfurcht, er ist ganz bei sich, wenn der Angriff beginnt." (S.1288)

Helmuth v. Moltke: "Wir tragen Verantwortung für uns selbst [...] Vor allem anderen müssen wir uns doch fragen, wer wir sind." (S.1315)
Erschießungen (S.1360-1369),
"Die Treue zu den Kameraden steht über jedem anderen Wert." (S.1371)
Moltke ist gegen ein Attentat, weil er eine Dolchstoßlegende fürchtet. Doch: "Es könnte sich ergeben, dass es eine Pflicht würde, das Attentat zu wagen." (S.1409)
"Es gab mehr als drei Dutzend dokumentierte Attentatspläne auf Hitler." (S.1413)
Henning von TresckowFabian von Schlabrendorff,
Russlandfeldzug (S.1447ff)
"Es ist noch nicht Juli, und der Raum ist schon jetzt unkontrollierbar." (S.1459)

4.Teil
Claus von Stauffenberg (S.1525), Bomben auf Berlin (S.1564ff), Axel von dem Bussche (S.1575),
S.1637 Sprüche Salomos 31, 10-31 über die gute Frau
S.1640 über das Wirklichwerden eines Stofftieres (Velveteen Rabbit) mit merklichen Parallelen zu  Als Hitler das rosa Kaninchen stahl, wenn man sich erst einmal darauf eingelassen hat, dass der Nationalsozialismus mit der Infektionskrankheit Scharlach zu vergleichen ist. Denn ist das rosa Kaninchen nicht eines der berühmtesten und damit lebendigsten der Welt? (Freilich weit abgeschlagen hinter Pu dem Bären)

Nach dem Einmarsch der Sieger  (S.1969ff)
Fabian von Schlabrendorff erklärt die Todesurteile gegen die Mitglieder der "Roten Kapelle" für rechtens (S.1991f)
Der  deutsche Bundesgerichtshof bestätigt 1956 die Urteile gegen Dohnanyi, Dietrich Bonhoeffer und Oster. (S.1992)
Widerständler, die dem NS-Terror entgangen sind, sterben in russischen Lagern (S.1994)
 Annedore Leber und Brandt verfassen "Das Gewissen steht auf" (S.1999)
Gründung der Stiftung Kreisau 1989 (S.2010)


15 Juni 2013

Friedrich: Wer wir sind - Widerstand gegen das NS-Regime und seine biographischen Hintergründe

Man kann Friedrichs Buch als Ergänzung der Filmreihe "Unsere Mütter, unsere Väter" sehen, weil sie weitere Milieus aus der Zeit der NS-Herrschaft menschlich nahe zu bringen versucht.

Sabine Friedrich selbst hat ihren Roman in einem Interview, wie folgt, charakterisiert:
Wuttke: Diese Lebenserinnerung, die Sie gerade geschildert haben, verstehen Sie deshalb Ihren Roman als einen Wirklichkeitsentwurf, oder als Zeitpanorama?
Friedrich: Ach wissen Sie, das sind Fragen, die sind schwierig zu beantworten. Es ist auf jeden Fall natürlich ein Zeitpanorama, das ist klar. Ich habe versucht, möglichst nahe auch an der Atmosphäre dran zu bleiben. Aber jeder Roman ist ein Wirklichkeitsentwurf, das kann gar nicht anders sein, zumal ein Roman, der ja mit dem Interesse geschrieben worden ist: mein erstes Interesse, daher der Titel, war ja, etwas herauszufinden darüber, wie Menschen sich verhalten in extremen Situationen und was sie dazu bringt, dann so oder so zu handeln, also was sie verkürzt gesagt zu Widerständlern macht. Ist das eine große Entscheidung, ist das eine Summierung vieler kleiner Entscheidungen, die einen plötzlich dort hinträgt, dass man sagt, das ist jetzt die Todeszelle von Plötzensee.    dradio, 11.10.2012
Dazu:
eine lobende Rezension, eine recht kritische, die Lesung eines Textausschnitts durch Sabine Friedrich.

Ich selbst kann nach meiner bisherigen Lektüre nur sagen: Ich freue mich  - ganz unabhängig von einem literarischen Urteil - darüber, dass ich Personen, die ich bisher aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen kenne, in einen  Kontext gestellt sehe, und mag es gar nicht, darüber zu lesen, wenn sie leiden müssen.
So beklage ich mich gar nicht über mangelnde Ausmalung der Unerträglichkeit mancher Situation.
Dass ich besonders über die Familie Bonhoeffer nicht genug lesen kann, hat persönliche Gründe.

John Rittmeister, Mitglied der Roten Kapelle*, entdeckt für sich in der Todeszelle die "Unendlichkeitsperspektve" (S.738)
"Seit ich die Dinge aus dieser Todesperspektive betrachte, denke ich ganz Unerhörtes. Ich fühle mich innerlich reicher als je zuvor. Was einem alles nimmt, macht einen reich. [...] Ich würde natürlich gern leben bleiben. Aber auch wenn ich sterbe, nehme ich nun alle diese Dige, die ich vorher gar nicht besessen habe, mit in den Tod hinein." (S.738)

*"Das von der Gestapo geschaffene Organisationskonstrukt Rote Kapelle hat in dieser Form nie existiert.“(Wikipedia)

In Oxford: Sabine Bonhoeffer-Leibholz' Töchter bitten um Geld für eine Sammelaktion in der Schule. "Und welchem guten Zweck sollen die Einnahmen dienen? Der Bombardierung Berlins." Dort erlebt Sabines Bruder Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis in Tegel die Luftangriffe. (S.860)

Kreisauer Kreis, Helmuth James Graf von Moltke, Löwenberger Arbeitsgemeinschaft, Eugen Rosenstock-Huessy,  Freya von Moltke, geb. Deichmann

Preußenschlag (S.1000)
Hans von Dohnanyi warnte davor, ihn rechtlich anzufechten: "Die Regierung Papen hat sich des verfassungsmäßig korrekten Instruments der Reichsexekution* bedient [...]" (S.1001)

*Die Verfassungsmäßigkeit der jeweiligen Maßnahmen ist bis heute umstritten. Ein Ausnahmezustand nach Art. 48WRV wäre nur durch die Bedrohung der Verfassung selbst zu rechtfertigen – jedoch wurden in Sachsen, Thüringen und Preußen jeweils demokratisch gewählte Regierungen abgesetzt, die sich zu keinem Zeitpunkt in offener Rebellion gegen die Weimarer Reichsverfassung befanden. (Wikipedia)

Julius Leber (S.1003ff), Carlo Mierendorff (S.1012ff), Adolf Reichwein (S.1022ff)
Bund der Köngener, Harald Poelchau  (S.1036)

Helmuth v. Moltkes positive Staatslehre (S.1250ff) Über den Kreisauer Kreis: "Sie sind keine Verschwörer. [...] Ihre Treffen basieren auf alten Freundschaften, gemeinsamer Schulzeit, beruflichen und verwandtschaftlichen Beziehungen." (S.1269)
Einigkeit über den anzustrebenden Staat: "demokratisch und sozialistisch und außenpolitisch auf eine völkerverbindende Friedensordnung ausgerichtet" (S.1276)
Grundsatztexte des Kreisauer Kreises, allgemeine Prizipien (S.1519)
Julius Leber über den Kreisauer Kreis (in Friedrichs Darstellung): "Aber sie sind recht abgehoben, diese Leute. Sie brüten über detaillierten Programmen von solch verworrener Gründlichkeit, dass man sich fragt, wer außer ihnen sich jemals damit beschäftigen soll." (S.1519)
Hans Bernd von Haeften

Fritzi von Schulenburg an der Ostfront. "Fritzi hat alle Furcht überwunden: Todesfurcht, Tötungsfurcht, er ist ganz bei sich, wenn der Angriff beginnt." (S.1288)

Helmuth v. Moltke: "Wir tragen Verantwortung für uns selbst [...] Vor allem anderen müssen wir uns doch fragen, wer wir sind." (S.1315)
Erschießungen (S.1360-1369),
"Die Treue zu den Kameraden steht über jedem anderen Wert." (S.1371)
Moltke ist gegen ein Attentat, weil er eine Dolchstoßlegende fürchtet. Doch: "Es könnte sich ergeben, dass es eine Pflicht würde, das Attentat zu wagen." (S.1409)
"Es gab mehr als drei Dutzend dokumentierte Attentatspläne auf Hitler." (S.1413)
Henning von Tresckow, Fabian von Schlabrendorff,
Russlandfeldzug (S.1447ff)
"Es ist noch nicht Juli, und der Raum ist schon jetzt unkontrollierbar." (S.1459)

4.Teil
Claus von Stauffenberg (S.1525), Bomben auf Berlin (S.1564ff), Axel von dem Bussche (S.1575),


Nach der Kapitulation (S.1969ff)


03 November 2010

Mit David Lodge ins Freie

Ein 15-jähriger Schüler aus den Londoner Vororten fährt aus dem von Lebensmittelrationierung geprägten England der Nachkriegszeit ins amerikanische Hauptquartier nach Heidelberg. Die Bahnfahrt will nicht enden, und als Leser will man auch endlich aus dem Zug heraus.
Und dann kommt er an bei der jungen Verwandten, die ihn eingeladen hat und aus Verlegenheit in einem Frauenhotel mit Heimcharakter unterbringt, wo er sich möglichst unsichtbar machen muss.
Tagsüber und bis spät in die Nacht kann er aber die Vergnügungen der amerikanischen Militärs und ihrer Entourage mitmachen.
Wie meist bei David Lodge gibt es also einen Zusammenstoß von Kulturen, an dem es viel zu lernen gibt, es gibt eine Menge Humor, wenn auch nicht ganz mit der späteren Leichtigkeit, dem Alter des Helden entsprechend gibt es viel Nachdenken über Sex und die entsprechenden Erfahrungen, und schließlich werden die Nazizeit und der Holocaust thematisiert.
Bei den vorhergehenden Schilderungen des Bombenkrieges ("Blitz") aus London und der Phasen der Evakuierung ist bei einem Autor, der 1935 geboren ist, nicht verwunderlich, dass er aus eigener Erfahrung schreibt. Aber auch die fast verrückte Geschichte vom Jungen im amerikanischen Hauptquartier ist autobiographisch. Nur die romanhaften Verwicklungen, die die Story im Hauptteil vorantreiben, sind es nicht.
So viele Schwierigkeiten der Roman Out of the Shelter auch gemacht hat (nach der für ihn höchst unbefriedigenden Ausgabe von 1970 gelang es ihm erst 1985 eine Fassung drucken zu lassen, die ihn befriedigte), der Roman ist bei aller wirklichkeitsnaher Schilderung der Problematik leicht zu lesen. Ich hatte Schwierigkeiten, ihn zwischendurch aus der Hand zu legen.