Posts mit dem Label Portal werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Portal werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

15 Mai 2022

Roger Portal: Entwicklung des russischen Bauerntums

 "An den Volksaufständen, die seit dem Ende des 16. Jahrhunderts immer wieder in Rußland aufflackerten, nahmen Russen und Fremdvölker immer in parallel verlaufenden, manchmal sogar in gemeinsamen Aktionen teil."

 (Roger Portal: Die Slawen, Kindlers Kulturgeschichte Europas, Bd.19, S.167)

"Das sibirische Volk war so weit verstreut, die soziale Umwelt war aus so kleinen Menschengruppen zusammengesetzt, dass hier der Staatsgewalt kaum Widerstand begegnete. So ergab sich auch überall die selbe Formung der Menschen. Das sibirische Volk war Nichts anderes als eine russische Vorhut in Richtung auf den Pazifik. (S. 169)

Doch im Zuge der schrittweisen Versklavung der Bauern bis hin zur Leibeigenschaft, wo der Bauer zur "Sache" wurde, ergaben sich dann doch wieder Unterschiede:

"Der russische Bauer, de jure frei, de facto bis zum 14. Jahrhundert noch relativ frei, verlor zunächst das Eigentumsrecht über die von ihm bebaute Erde, dann wurde er immer mehr an sie gefesselt, und im 18. Jahrhundert schließlich wurde er für seinen Grundbesitzer zur bloßen 'Sache'. Als einzige entgingen der Knechtschaft die Bauern auf den Staatsgütern, freilich ohne die gleichen Rechte zu genießen wie die Bauern im Westen. Da sie aber ebenfalls schweren Frondiensten unterworfen waren und ihre Dorfgemeinde nicht ohne Genehmigung verlassen dürften, wurden sie aufgrund ihres analogen Schicksals mit der Masse der Leibeigenen zusammengeworfen. Ihre Lage war jedoch wesentlich besser, ihr Dasein im ganzen genommen weniger elend."(S.177)

"So bildeten die Länder jenseits der Wolga, der Ural (wo als einzige die Familie Stroganow sich im 17. Jahrhundert weite Landstrecken zuweisen ließ), und Sibirien ein ungeheures Rückzugsgebiet, wo ein neues Bauerntum entstand und sich entwickelte, das der Leibeigenschaft fast ganz entging und das unter Peter dem Großen eine eigene soziologische Schicht konstruieren sollte, wie noch zu sehen sein wird. Die geographischen Bedingungen ließen dort ebenso wie die örtlichen Notwendigkeiten der Kolonisation jene Versklavung scheitern, die von jetzt an bis 1861 der wesentlichste Zug der bäuerlichen Gesellschaft in den Westgebieten sein sollte, die, in früherer Zeit besiedelt und kultiviert, der Staatsmacht viel zwangsläufiger unterworfen waren und deren Stärke gerade in der Stabilität der Besiedlung und dem Gleichmaß ihrer Ausbeutung lag." (S.182)

Trotz mancher pauschalen Formulierungen differenziert Portal also immer wieder. Dabei ist zu beachten, dass die pauschale Aussage sich auf die weitgehende Einheit der Kultur bezieht und die differenzierende auf die soziologischen Verhältnisse.

14 Mai 2022

Roger Portal: Folgen der osmanischen Eroberungen auf dem Balkan

 "Die osmanische Eroberung hat auf dem Balkan einen Zustand politischer Infantilität fixiert." (Roger Portal: Die Slawen, Kindlers Kulturgeschichte Europas, Bd.19, S.161)

Diese harsche Formulierung versucht bildhaft zu beschreiben, dass auf dem Balkan nur relativ kurzlebige Reiche entstanden, die unter dem Ansturm der Osmanen zusammenbrachen und keine politischen Strukturen hinterließen, die der Unterdrückung durch das Osmanische Reich standgehalten hätten. 

"Von 1371 (türkischer Sieg an der Maritza) bis 1526 (Schlacht bei Mohács*) drangen die Türken immer tiefer nach Norden ein, lösten in den eroberten Ländern die alte Ordnung auf und überlieferten sie nach jedem Sieg jeweils eine Zeitlang der Zersetzung. Die Schlacht auf dem Amselfeld (1389) machte Serbien zu ihrem Vasallen." (S.161)

*Damals fielen große Teile Ungarns unter osmanische Herrschaft, bis sie nach der erfolgreichen Verteidigung Wiens 1683 nach und nach zurückerobert werden konnten:

"Noch im gleichen Jahr gelang den Habsburgern die Eroberung Grans, und nach Einnahme von Buda und Ofen 1686 und dem Sieg über ein osmanisches Heer 1687 in der Schlacht am Berg Harsány (auch bekannt als zweite Schlacht bei Mohács) und der folgenden Besetzung weiter Teile Ungarns und Siebenbürgens erkannten die ungarischen Stände noch im gleichen Jahr den neunjährigen Erzherzog Joseph, den Sohn Leopolds I., noch zu dessen Lebzeiten als erblichen König von Ungarn an. Die Krönung am 9. Dezember 1687 in Pressburg bedeutete einen „wesentlichen Schritt zur Verbindung Ungarns mit dem vom Kaiser als Landesherr regierten österreichisch-böhmischen Länderkonglomerat und zum inneren Aufbau der Großmacht Österreich“.[14] Im Frieden von Karlowitz 1699 musste das Osmanische Reich endgültig den Verlust Ungarns anerkennen." (Wikipedia: Geschichte Ungarns)

22 Februar 2021

Die Tyrannei der (russischen) Dorfgemeinschaft

"So hatte das Statut von 1861 [Aufhebung der Leibeigenschaft] am Ende die Tyrannei des mir noch gestärkt."

 (Roger Portal: Die Slawen, Kindlers Kulturgeschichte Europas, Bd.19, S.406)

Anmerkungen:

"Eine Befreiung der Bauern aus der Polizeigewalt der Gutsbesitzers erfolgte unmittelbar mit dem Inkrafttreten der Reform 1861; weil das Land aber im Kollektivbesitz der örtlichen Bauern blieb und die schon bislang übliche periodische Umverteilung des Bodens festgeschrieben wurde, blieben die Möglichkeiten der Bauern, selbstbestimmt zu wirtschaften, höchst begrenzt.[30]" (Wikipedia: Alexander II. von Russland)

"Erst unter dem Reformzaren Alexander II. wurde die Leibeigenschaft der abwertend als „Muschiki“ bezeichneten Bauern am 19. Februarjul.3. März 1861greg. abgeschafft, etwa 50 Jahre später als in Westeuropa und in den zwar unter russischer Herrschaft, aber unter der Verwaltung des deutschbaltischen Adels stehenden Ostseegouvernements. Oft folgte hierauf keine Freiheit für die Bauern, sondern eine verschärfte wirtschaftliche Abhängigkeit (Schuldenfalle), jedoch ohne dass sie den alten Rechtsschutz genossen.[109] Diese Situation wurde nie zufriedenstellend gelöst und wurde zu einer der Ursachen für den Erfolg der Oktoberrevolution." (Wikipedia: Leibeigenschaft in Russland)

sieh auch:

Portal: Die russische Kirche als "Schmelztiegel der Revolution"

11 November 2015

Die russische Kirche als "Schmelztiegel der Revolution"

"Es ist eine Ironie der Geschichte, daß sich gerade in der russischen Kirche ein Schmelztiegel der Revolution bildete [...]
Die administrative und militärische Führungsschicht des Staats lieferte der Adel, der nicht nur das Befehlen von Kindheit an gelernt hatte, sondern auch allein im Besitz einer elementaren weltlichen Bildung war. Die Reformen Peters des Großen hatten ihn zu westlicher Bildung gezwungen, in Schulen, in denen der technische und militärische Unterricht die Allgemeinbildung zurückdrängte und in denen westliche Einrichtungen die Vorbilder waren. [...] Wenn der Kern ihrer Mentalität, wenn ihre täglichen Gewohnheiten sich aus einer langen Vergangenheit herleiteten, so speisten sich ihre »Meinungen«, die Vorstellungen, die sie sich über die Gesellschaft und die Welt bildeten, weniger aus der russischen Wirklichkeit als aus ihrer Erziehung. Von der alten Tradition losgelöst, führte sie diese Erziehung auch auf dem Umweg über eine technische Grundunterweisung, zu allgemeinen und abstrakten Begriffen, zu einem utopischen Rationalismus nach dem Geschmack des europäischen 18. Jahrhunderts. Aus dem Schoß des Adels als der einzigen kultivierten Klasse außerhalb der Kirche ging jene intelligencija hervor, die in Opposition zum Regime trat und 1825 den sogenannten »Dekabristenaufstand« auslöste. Gerade ihre starke Bindung an den Staat trieb die besten denkenden Köpfe des Adels dazu, Reformideen aus dem Ausland zu entleihen. Und ihr ganzes Leben, ihre ganze Erziehung spiegelten ihnen die trügerische Illusion eines leichten Erfolgs vor." (Roger Portal: Die Slawen, Kindlers Kulturgeschichte Europas, Bd.19, S.277ff.)

sieh auch: