30 Dezember 2024

Laozi: Tao-Te-King

 LaoziDaodejing oder Daudedsching, auch: Tao-Te-King

Goldmann 2003 übertragen von Peter Kobbe

















































Laotse:Tao-Te-King

Reclam 1976

Übersetzung Günther Debon





28 Dezember 2024

Herman Melville: Das Paradies der Junggesellen und der Tartarus der Mädchen

 Herman Melville: Das Paradies der Junggesellen und der Tartarus der Mädchen

"[...] Lange Reihen stattlicher Porträts zeigen in den Banketthallen, welche großen Männer von Bedeutung – berühmte Adlige, Richter, Lord Kanzler – zu ihrer Zeit Templer waren. Nicht alle Templer sind berühmt geworden, wenn jedoch ein warmes Herz und noch wärmeres Entgegenkommen, reiche Kenntnisse und noch reichere Keller zu haben, guten Rat und herrliche Diners, gewürzt mit sprühenden Unterhaltungen voll Heiterkeit und Phantasie, zu geben, unsterbliche Verdienste sind, dann, ihr Musen, verzeichnet die Namen von R. F. C. und seinem kaiserlichen Bruder.

Obwohl man, um es zum wirklichen Templer zu bringen, unbedingt Jurist sein oder Jura studieren und feierlich in den Orden aufgenommen werden muß, und während viele, obgleich sie Templer sind, nicht im Bezirk des Tempels wohnen, obschon sie dort vielleicht ihre Kanzlei haben, wohnen doch andererseits manche in den altersgrauen Wohnungen, die keine erklärten Templer sind. Wenn Sie als müßiger Gentleman und Junggeselle oder als stiller, unverheirateter Literat, entzückt von der lieblichen Abgeschiedenheit der Örtlichkeit, den Wunsch haben, Ihr schattiges Zelt zwischen den übrigen in diesem erhabenen Lager aufzuschlagen, dann müssen Sie mit einem Mitglied des Ordens besondere Freundschaft schließen und ihn veranlassen, auf seinen Namen, aber auf Ihre Kosten, irgend ein freies Zimmer zu mieten, das Ihnen gerade zusagt.

So machte es, denke ich, Dr. Johnson, nominell junger Ehemann und Witwer, eigentlich aber Junggeselle, als er eine Zeitlang dort wohnte. So machte es auch jener unbestrittene Junggeselle, Charles Lamb, die vortreffliche gute Seele. Und hundert andere, wackere Leute, Brüder vom Orden des Cölibats, haben von Zeit zu Zeit dort diniert, geschlafen und gewohnt. In der Tat ist das Ganze eine Honigwabe von Kanzleien und Wohnungen. Wie jeder Käse ist es in allen Richtungen durchlöchert von den schmucken Junggesellenzellen. Teurer, geliebter Ort! Ach, wenn ich an die herrlichen Stunden im Genuß so fröhlicher Gastfreundschaft dort unter jenen ehrwürdigen Dächern denke, findet mein Herz nur in der Poesie angemessenen Ausdruck, und mit einem Seufzer singe ich leise: »Bringt mich wieder nach dem alten Virginien zurück!«

So also ist im großen und ganzen das Paradies der Junggesellen. Und so fand ich es eines schönen Nachmittags im lieblichen Monat Mai, als ich mich von meinem Hotel am Trafalgar Square aufmachte, um eine Verabredung zum Essen einzuhalten, die ich mit dem kultivierten Barrister, Junggesellen und Richter, R. F. C. (er ist das erste und zweite und sollte das dritte sein, wozu ich ihn hiermit vorschlage) hatte, dessen Karte ich fest zwischen meinem behandschuhten Daumen und Zeigefinger geklemmt hielt, dann und wann wieder einmal rasch auf die erfreuliche Adresse blickend, die unter dem Namen geschrieben war: ›No –, Elm Court, Temple‹.

Im Grunde war er ein wirklich freimütiger, sorgloser, richtig gemütlicher und sehr umgänglicher Engländer. Wenn er beim ersten Kennenlernen zurückhaltend erschien, geradezu eisig in seinem Wesen – Geduld, dieser Champagner will auftauen. Und tut er es nicht, besser gefrorener Champagner als flüssiger Essig.

Neun Herren nahmen am Essen teil, lauter Junggesellen. Einer war von ›No – King's Bench Walk, Temple‹; ein zweiter, dritter, vierter und fünfter von verschiedenen Höfen oder Passagen, die auf ebenso klangvolle Silben getauft waren. Sie bildeten wirklich eine Art Junggesellensenat, von den weit verstreuten Distrikten zu diesem Essen entsandt, um die gesamte Junggesellenschaft des Tempels zu repräsentieren. Ja, die Gäste stellten sogar als Vertreter ein Großparlament der besten Junggesellen von ganz London dar; einige der Anwesenden waren aus entfernten Stadtvierteln, berühmten, uralten Wohnsitzen von Juristen und unverheirateten Männern – Lincoln's Inn, Furnival's Inn, und ein Gentleman, auf den ich mit einer Art indirekter Ehrfurcht blickte, kam daher, wo Lord Verulam einst als Junggeselle verweilte – aus Gray's Inn. [...]"

"[...] »Die Schneiden dieser Schwerter sind von den Mädchen abgekehrt, wenn ich mich nicht irre; aber die Lumpen und die Finger fliegen so schnell, daß ich es nicht genau sehen kann.«

»Abgekehrt.«

Ja, murmelte ich vor mich hin, abgewendet, jetzt sehe ich es; jedes der aufgerichteten Schwerter steht so da, abgewendet, vor jedem Mädchen. Und wenn mein Wissen mich nicht täuscht, war es früher mit verurteilten Staatsgefangenen, die aus der Gerichtshalle zur Richtstätte schritten, genau so: ein Beamter ging vor ihnen her und trug ein Schwert mit abgewendeter Schneide voran, zum Zeichen ihrer Verurteilung zum Tode. So gehen diese bleichen Mädchen durch die schwindsüchtige Blässe ihres leeren, zerfetzten Lebens ihrem Tode entgegen.

»Diese Sicheln sehen sehr scharf aus«, wandte ich mich wieder an den Jungen.

»Ja, sie müssen sie auch so halten. Sehen Sie!«

Zwei Mädchen ließen gerade ihre Lumpen fallen und führten einen Schleifstein an der Sichelklinge auf und ab. Mein daran nicht gewöhntes Blut erstarrte bei dem scharfen Kreischen des gequälten Stahls.

Ihre eigenen Henker! Sie wetzen selbst die Schwerter, die sie treffen, dachte ich.

»Wovon sind diese Mädchen so kreidebleich, mein Junge?«

»Warum?« antwortete er ahnungslos scherzend mit einem schelmischen Zwinkern voll unbewußter Herzlosigkeit. »Der Umgang mit diesen weißen Fetzen wird sie wohl so blaß machen.«

»Ich denke, wir verlassen jetzt den Lumpenraum, mein Junge.«

Tragischer und undurchdringlich dunkler als irgend ein anderer rätselhafter Anblick in der Fabrik, sei es von einem Menschen oder einer Maschine, war die sonderbare Unschuld und die Herzensgrausamkeit dieses von der Gewohnheit hart gemachten Jungen.

»Und nun«, sagte er aufmunternd, »nehme ich an, daß Sie unsere große Maschine sehen wollen, die wir erst vorigen Herbst für zwölftausend Dollar gekauft haben. Es ist auch die Maschine, die das Papier macht. Hier entlang, Sir.« [...]"

Herman Melville: Weißjacke oder Die Welt auf einem Kriegsschiff

  Herman Melville: Weißjacke oder Die Welt auf einem Kriegsschiff

"Die Erzählung setzt mit der Ankündigung der Heimreise von Callao in Peru aus ein; zu Romanbeginn befindet sich das Kriegsschiff also bereits am Ende der ersten Reisehälfte. Im Laufe der Erzählung werden Kap Hoorn, Rio de Janeiro sowie der Äquator passiert.

Anhand dieses Rahmens behandelt Melville die verschiedenen Aspekte des Lebens auf dem Kriegsschiff. Dazu zählt zunächst die Beschreibung der Hierarchieebenen an Bord sowie der Personen, die sie auf der Neversink bekleiden. Darüber hinaus werden die verschiedensten Situationen dargestellt, die während der Reise auftreten. Dazu zählen beispielsweise die Unterbringung der Mannschaft, die Sauberhaltung des Schiffs, die Freizeitgestaltung der Matrosen, die Vorgänge im Lazarett, die Bestattung auf See, die Bestrafung bei Vergehen und die Trinkgewohnheiten der Mannschaft mitsamt den damit verbundenen Schmuggelaktivitäten. [...] Weißjackes Perspektive ist nicht die von der Kommandobrücke herab, denn er gehört zu den einfachen Matrosen; trotzdem nimmt er auch nicht die Perspektive der Menschen auf dem Mannschaftsdeck ein, sondern betrachtet die Kriegsschiffwelt von seinem Posten an der höchsten Rah der Fregatte aus, was ihm eine freie, breite, ungezwungene und gerechte Darstellung ermögliche.[...]" (Wikipedia)



27 Dezember 2024

Daniel Defoe: Robinson Crusoe

 Daniel Defoe: Robinson Crusoe

3. Abschnitt: Schiffbruch

[...] Die Freude über meine Erhaltung gieng bald vorüber, um mich sehr traurigen Betrachtungen zu überlassen. Wie schrecklich war meine gegenwärtige Lage! Ich war ganz durchnäßt, hatte keine andern Kleider, weder Speise noch Trank, um mich zu erlaben, und was das Schlimmste war, ich hatte keine Waffen, um Thiere zu meinem Unterhalte zu tödten, oder mich gegen sie zu vertheidigen, und hatte also keine andere Aussicht, als von wilden Thieren gefressen zu werden oder Hungers zu sterben; denn ich hatte nichts bei mir als ein Messer, eine Tabakspfeife und in meiner Dose einen kleinen Rest von Durchnäßtem Rauchtabak. Das war mein ganzer Vorrath; in halber Verzweifelung[81] lief ich hin und her, um etwas zur Befriedigung meines Hungers und Durstes zu suchen, und fand einige hundert Schritte vom Ufer, zu meiner großen Freude und Erquickung, frisches Wasser; aber etwas zu essen fand ich nirgends, ich nahm daher, nach Seemanns Sitte, Rauchtabak in den Mund.

Die Nacht nahete sich. Schwere, tiefhängende Wolken, die der Wind langsam fortwälzte, vermehrten die Dunkelheit. Ich befand mich in einer einsamen, öden Gegend, mit einzeln stehenden Bäumen besetzt, die jetzt in tiefer Finsterniß begraben waren. Nur der Wind, der in den Zweigen der Bäume rauschte, der fortdauernde Regen, das Getöse der Wellen, die sich am Ufer brachen, und in weiter Ferne der dumpfrollende Donner liessen sich durch die nächtliche schauervolle Stille hören. Das alles erfüllte mein Herz mit Bangigkeit, wozu noch die Furcht vor reissenden Thieren kam, welche gewöhnlich des Nachts auf Raub ausgehen. Das einzige Mittel, das mir zu meiner Sicherheit einfiel, war, auf einen dichtbewachsenen Baum zu steigen, der nahe bei mir stand und einer Tanne ähnlich, aber dornicht war. Zu meiner Verteidigung hatte ich mir einen knotigen Stock abgeschnitten, bestieg, damit bewaffnet, mein Nachtquartier, und setzte mich in eine solche Lage, daß ich nicht in Gefahr war, herunterzufallen. Aeusserst ermüdet sank ich bald in einen tiefen Schlaf und ruhte so sanft, daß ich bei meinem Erwachen mich neu belebt fühlte.

Es war schon heller Tag und kein Wölkgen am blauen Himmel; der Sturm hatte sich gelegt, und die[82] ruhige See glänzte im lieblichsten Sonnenschein, von sanften Winden gekühlt. Was mich am meisten verwunderte und erfreute, war, das Schiff kaum eine Meile vom Ufer, aufrecht und unbeweglich im Sande liegen zu sehen, wohin es während der Nacht, durch die Fluth aufgehoben, war getrieben worden.

Der erste Gedanke bei diesem trostvollen Anblicke konnte wohl kein anderer seyn, als mich an Bord zu begeben, Lebensmittel zu suchen, und soviel von der Ladung zu retten, als möglich wäre. Dahin gieng nun mein einziges Bestreben, und das natürlichste war, mich nach unserm Boot umzusehn, um damit an das Schiff zu fahren. Ich ward es auch ungefähr zwei Meilen links von mir gewahr, stieg dann vom Baum herab und gieng längs dem Strande hin, fand aber ungefähr auf halbem Wege die Mündung eines kleinen Flusses, der hier wohl eine halbe Meile breit und also zu weit war, um hinüber zu schwimmen. Noch weniger konnte ich schwimmend zum Schiffe gelangen, da die Entfernung noch einmal so groß war. So verstrich der ganze Morgen unter vergeblichen Entwürfen und Bemühungen, etwas auszudenken und etwas zu finden, um meinen Hunger zu stillen.

Als ich nicht lange nach Mittag an das Gestade zurückkam, fand ich die Ebbe beinahe verlaufen und das Wasser so weit zurückgezogen, daß ich trockenen Fusses mich dem Schiffe auf drei- bis vierhundert Schritte nähern konnte. Voll Freude zog ich mich sogleich aus, doch behielt ich meine langen Beinkleider und mein[83] Hemde an, warf meine Kleider auf den Strand und schwamm zum Schiffe, wo ich eine neue, nämlich die Schwierigkeit fand, an Bord zu kommen, denn es lag in niedrigem Wasser auf dem Grunde fest, und ragte hoch über selbiges heraus. Zweimal schwamm ich um das Schiff herum und ward endlich ein Tau-Ende gewahr, das ich mich wunderte nicht gleich das erstemal erblickt zu haben; es hieng am Vordertheil so tief herab, daß ich es, wiewohl nicht ohne Mühe, erhaschen und mich daran auf den Bock schwingen konnte, der tiefer im Wasser lag als der Hintertheil, der auf einer Sandbank ruhte.

Hier ward mein Schmerz über den Verlust meinem Gefährten erneuert, denn ich sah deutlich, daß, wenn wir an Bord geblieben wären, keiner sein Leben verloren hätte, und ich nicht so ganz verlassen in einer Einöde geblieben seyn würde, denn wir hätten aus den Schiffstrümmern und dem vorräthigen Holz, mit Hülfe des Schiffszimmermanns und seiner Werkzeuge, ein Fahrzeug erbauen und nach bewohnten Gegenden und von da wieder zu den Unsrigen gelangen können. [...] 

30. Junius. Heute war ich wieder in Gefahr, lebendig verschüttet zu werden. Ich war eben vor dem Eingange meiner Höhle, bereit auszugehen, und ward heftig erschreckt, als von der Decke des Mittelgewölbes wieder eine Menge Schutt herabfiel und die aufgestellten Stützen entsetzlich krachten. Aus Furcht, darunter begraben zu werden, flog ich gleich die Leiter hinauf und über die Mauer weg, aber kaum hatte ich aussen die Erde berührt, als ich deutlich merkte, daß ein schreckliches Erdbeben die Insel erschütterte, denn der Boden, wo ich stand, erbebte in weniger als acht Minuten dreimal durch eben so viel Stöße, die so heftig waren, daß die stärksten Gebäude eingestürzt wären; ein großes Felsenstück rollte, eine halbe Meile von mir, mit donnerndem Getöse von dem Gipfel des Berges, an dessen Fuß meine Wohnung stand, herab, die See gerieth in eine grausenerregende Bewegung, und die Erdstöße mochten unter der Wasserfläche wohl noch stärker als auf dem Lande gewesen seyn.

Meine Angst war desto größer, da ich nie ein Erdbeben erfahren hatte, und ich lag betäubt und beinahe[119] erstarrt unter einem Baum. Der weithallende Donner des herabgestürzten Felsens weckte mich aus der Betäubung, und erfüllte mich mit Entsetzen vor dem Gedanken, daß mein Zelt, mein Alles, unter dem eingestürzten Hügel begraben und ich ganz entblößt seyn werde. Die Bangigkeit preßte mir die Worte: »Gott erbarme dich meiner!« aus, aber ohne daß ich etwas dabei dachte. Als auf den dritten Stoß keine Erschütterung nachfolgte, faßte ich wieder etwas Muth, doch nicht genug, um es wagen zu dürfen, in meine Wohnung zurückzukehren; ich blieb trostlos und niedergeschlagen auf der Erde sitzen, ohne zu wissen, was ich anfangen sollte, und bemerkte, daß der Himmel sich bewölkte und sich ein starker Wind erhob, der in weniger als einer halben Stunde zum schrecklichsten Orkan ward, den man sich denken kann. Die See ward ganz mit Schaum bedeckt, die Brandung brach sich heulend am Felsenstrand, entwurzelte Bäume schleuderte der Sturm weit von ihrer Stelle, und die ganze Natur schien im Aufruhr zu seyn. Erst nach drei Stunden ließ das Toben nach, und es fieng nun an, sehr stark zu regnen. Da fiel mir endlich ein, daß dieser Sturm und Regen natürliche Folgen des Erdbebens wären, dieses also vorüber seyn müßte und ich mich nun wohl nach Hause wagen dürfte. Der Regen trieb mich noch mehr dahin und ich kam ganz durchnäßt daselbst an, setzte mich in mein Zelt und lebte gleichsam neu auf, als ich sah, daß der Schaden ganz unbedeutend war. Der Regen war so heftig, daß er mich in mein Mittelgewölbe zurückzugehen nöthigte, obgleich ich noch immer[120] bange war, es möchte über mich zusammenstürzen; als ich aber nichts Abschreckendes mehr bemerkte, so ward ich ruhiger, und um meine Lebensgeister wieder zu stärken, nahm ich einen Schluck    Kordialwasser, mit dem ich, so wie mit dem Rum, sehr sparsam war, weil ich wußte, daß keiner mehr zu haben wäre, wenn dieser alle seyn werde.

1. Julius. Der Regen dauerte die ganze Nacht und den größten Theil des heutigen Tages, so daß ich nicht an's Ausgehen denken konnte. Ich hatte also Zeit, über meine Lage nachzudenken. »Wenn die Insel öftern Erdbeben ausgesetzt ist«, – dachte ich, »so muß ich durchaus eine andere Wohnung suchen, mir eine leichte Hütte oder ein Zelt aufrichten, sie mit einer Mauer, wie hier, umgeben, denn in dieser Höhle werde ich über kurz oder lang mein Grab finden.« Die Furcht, lebendig begraben zu werden, verscheuchte mir den Schlaf, und doch erlaubte mir die Besorgniß vor wilden Thieren nicht, ausser meinem Walle zu schlafen. Ich dachte hin und her, wohin ich meine Wohnung verlegen sollte. Wenn ich aber um mich her Alles in der schönsten Ordnung, mich so versteckt und vor jeder andern Gefahr gesichert sah, so kam es mir gar zu schwer an, diesen Aufenthalt mit einem andern zu verwechseln, besonders wenn ich an die unsägliche Mühe und Beschwerlichkeiten dachte, die ich erlitten und die mir auf' s neue bevorstanden. Der Umstand, daß ich dennoch in dieser Wohnung bleiben müßte, bis die neue fertig wäre, welches eine desto längere Zeit erforderte, da ich einen ganzen statt nur eines halben Kreises mit[121] Pfählen einschliessen mußte, beruhigte mich eine Zeit lang, so daß ich die Ausführung auf eine unbestimmte Zeit verschob, wozu denn ein anderes Geschäft auch noch das Seinige beitrug. Ich beschäftigte mich den ganzen Tag, den herunter gefallenen Schutt herauszuschaffen, womit ich auch fertig wurde, denn es war nicht so viel als ich vor Schrecken glaubte. [...]

27.-31. Julius. Ich hatte bei den vielen Arbeiten meine Werkzeuge, besonders meine drei Aexte und meine Messer, beinahe ganz stumpf gemacht; auch die Beile waren größtentheils nicht mehr zur Arbeit tauglich, obgleich ich deren eine Menge hatte, weil wir sie zum Tauschhandel für die Neger mitgenommen hatten; aber theils durch meine Ungeschicklichkeit, theils durch das harte Holz meines Pfahlwerks und des Schiffsgebäudes waren sie so schartig geworden, daß es höchst nöthig war, sie zu schleifen. Nun hatte ich zwar einen Schleifstein, der aber kein Fußgestelle hatte, und den ich so nicht gebrauchen konnte. Es kostete mich nicht weniger Nachdenken als einem Staatsminister der wichtigste Punkt in der Politik. Doch kam ich damit zu Stande, und ersann mir ein Gestell mit einer Schnur und Fußtritt, daß ich den Stein mit dem Fuß drehen konnte, und beide Hände zum Schleifen frei behielt. Diese Arbeit kostete mich nicht weniger als fünf Tage Zeit, denn ich hatte vorher dergleichen niemals gesehen, wenigstens nie darauf gemerkt, wie sie gemacht waren. Mein Schleifstein drehte vortrefflich, und that mir sehr gute Dienste; ich benutzte die verlornen Stunden und besonders die Regenzeit, um meine Werkzeuge zu schleifen und stets brauchbar zu erhalten.

Die Vernunft ist das Wesen und der Ursprung der Meßkunst, und ein Jeder, der alles ihr zufolge abwägt,[127] abmißt und beurtheilt, kann durch Uebung ein Meister in allen mechanischen Künsten werden. Ich hatte vorher keines der verschiedenen Handwerke getrieben oder auch nur gesehen, wozu mich jetzt die Noth zwang, und doch fand ich mit der Zeit durch Nachdenken, Fleiß und Arbeit, daß ich alles machen konnte, was ich brauchte, und brachte oft bloß mit einem Beile und Messer eine Menge von Sachen zuwege, – freilich mit vieler Mühe und Zeit, – die sonst niemals auf die Art waren gemacht worden. Wenn ich z.B. anfangs eine Planke nöthig hatte, so war ich genöthigt, einen so dicken Baum zu fällen, als sie breit werden sollte, ihn dann auf beiden Seiten so lange zu bezimmern, bis er so dünn als nöthig war, und ihn endlich mit dem Hobel vollends eben zu machen; so bekam ich nun freilich aus der ganzen Dicke eines Baumes nur ein Brett, zu dem ich auf keine andere Art gelangen konnte als durch Arbeit, Geduld und Zeit, die aber auf diese Weise eben so gut als auf eine andere angewendet war, denn was hatte ich sonst zu thun? Späterhin fand ich jedoch Holz, das sehr gern und schnurgerade spaltete, so daß ich leicht viele Bretter aus einem Stamme verfertigen konnte. Auch lehrte mich oft der Zufall Dinge, die ich nie durch Nachsinnen und Fleiß erfunden hätte. [...]"


4. Abschnitt Bergung von Schiffsvorräten


[...] Das erste, was ich nun vornahm, war, mit dem mitgebrachten Segel und Rundholz ein Zelt zu errichten, und alles, was durch Sonne und Regen Schaden leiden könnte, in selbiges zu bringen. Die leeren Kisten stellte ich um das Zelt herum, um es vor jedem Anfall von Menschen und Thieren zu sichern und vermachte den Eingang mit Brettern, vor welche ich auswendig eine umgekehrte Kiste aufstellte. Hierauf bereitete ich mein Bett auf die Erde, legte meine geladene Flinte und zwei Pistolen neben mich, und schlief zum erstenmal wieder, nach gewohnter Bequemlichkeit, sanft und ruhig bis an den Morgen.

3. Oktober. Heute schwamm ich wieder an Bord, machte einen neuen Floß und zwar nicht ohne große Schwierigkeit, weil ich aus Unbedachtsamkeit die Werkzeuge und Materialien meistens an's Land gebracht hatte; doch fand ich noch von beiden genug, um mir zu helfen, und nahm diesmal soviel Taue, dünne   Stricke   und   Bindfaden, als ich finden konnte, ferner alle Segel vom größten bis zum kleinsten, nebst einem Stück Kannevas zum Ausbessern derselben mit; ich bedauerte nur, daß ich die größern Segel in Stücken zerschneiden mußte, um sie auf den Floß bringen zu können, sie konnten[93] mir daher nicht mehr zu Segeln, sondern bloß als grobe Leinwand dienen.Das erste, was ich nun vornahm, war, mit dem mitgebrachten Segel und Rundholz ein Zelt zu errichten, und alles, was durch Sonne und Regen Schaden leiden könnte, in selbiges zu bringen. Die leeren Kisten stellte ich um das Zelt herum, um es vor jedem Anfall von Menschen und Thieren zu sichern und vermachte den Eingang mit Brettern, vor welche ich auswendig eine umgekehrte Kiste aufstellte. Hierauf bereitete ich mein Bett auf die Erde, legte meine geladene Flinte und zwei Pistolen neben mich, und schlief zum erstenmal wieder, nach gewohnter Bequemlichkeit, sanft und ruhig bis an den Morgen.

3. Oktober. Heute schwamm ich wieder an Bord, machte einen neuen Floß und zwar nicht ohne große Schwierigkeit, weil ich aus Unbedachtsamkeit die Werkzeuge und Materialien meistens an's Land gebracht hatte; doch fand ich noch von beiden genug, um mir zu helfen, und nahm diesmal soviel Taue, dünne Stricke und Bindfaden, als ich finden konnte, ferner alle Segel vom größten bis zum kleinsten, nebst einem Stück Kannevas zum Ausbessern derselben mit; ich bedauerte nur, daß ich die größern Segel in Stücken zerschneiden mußte, um sie auf den Floß bringen zu können, sie konnten[93] mir daher nicht mehr zu Segeln, sondern bloß als grobe Leinwand dienen.


Fünfter Abschnitt: Das Erdbeben.


Nun war mein Hausrath und meine Wohnung in der besten Ordnung, und eigentlich fieng ich erst jetzt an, bequem zu leben und mein Tagebuch zu halten, so wie der vorhergehende Auszug zeigt. Ich setzte dieses Tagebuch, worin ich Alles auf's genaueste anmerkte, so lange fort, als mein Vorrath von Tinte, der in einer nicht vollen Flasche bestand, dauerte, die endlich durch vieles Zugießen von Wasser so blaß wurde, daß es mit dem Schreiben ein Ende hatte, denn frische[116] Tinte konnte ich nicht zuwege bringen, und alle Versuche mißlangen.

26. Junius. Als ich diesen Morgen von meinem gewöhnlichen Spaziergang nach Hause kam und an der Quelle einen wahren Labetrunk gethan hatte, bemerkte ich einige Schritte davon zehn bis zwölf Aehren Gerste und eben so viel Waizen, beides so schön und vollkommen, als die, so ich je in England gesehen habe. Ausser diesen waren noch zwanzig bis dreißig Halme Reis da, die ich gleich erkannte, weil ich bei meinem Aufenthalte in Afrika denselben kennen gelernt hatte. Meine Verwunderung, mein Erstaunen gieng über jeden Ausdruck, da ich hier, in einem Klima, wo sonst kein Getreide und kein Reis wächst, beides fand, und ich fieng an, auf den Gedanken zu kommen und mich glücklich zu preisen, daß Gott um meinetwillen ein Wunder gethan und in dieser Wildniß ohne ausgestreute Saat Reis und Getreide zu meinem Unterhalt wachsen ließ. [...]

27.-28. Junius. Auf mehreren Spaziergängen, wo ich beinahe jeden Winkel durchsuchte, um mehr Getreide oder Reis zu finden, war es mir unmöglich, nur ein Körnchen zu entdecken, und dies bestärkte mich desto mehr in dem Glauben an die unmittelbare Einwirkung Gottes, der diese Aehren mir so nahe[117] aufsprossen ließ, damit ich sie desto leichter fände. Meine Gedanken waren ausschließlich auf diesen Gegenstand gerichtet. Endlich erinnerte ich mich, daß ich während der Regenzeit das Säckchen mit dem Rest gemischter Gerste und Waizen, wobei denn auch die von mir unbemerkten Reiskörner waren, an dieser Stelle ausgeleert hatte, weil ich das Säckchen zu etwas anderm brauchen wollte. Das Wunder hörte sogleich auf und mit ihm meine Dankbarkeit, da ich darin nur etwas ganz Gewöhnliches fand. Indessen war es doch, in Ansehung meiner, eben so sehr ein Zeichen der besondern Güte Gottes gegen mich, als ob ein wirkliches Wunder geschehen wäre, da sie es veranstaltete, daß noch so viele Körner unversehrt blieben, und gerade zur rechten Säezeit und an der rechten Stelle ausgeschüttet werden mußten, wo es unter dem Schatten der Felswand aufkeimen und gedeihen konnte, da es sonst an einer weniger günstigen Stelle von der Hitze verbrannt oder verderbt worden wäre.

29. Junius. Ich vernachläßigte meine kleine Erndte nicht, und sammelte selbige heute mit größter Sorgfalt ein, um ja kein Körnchen zu verlieren, in Hoffnung, mit der Zeit einen hinlänglichen Vorrath an Getreide zu Brod und an Reis zu andern Speisen zu erhalten. Sie bestand in drei Händen voll Getreide und noch einmal so viel Reis, und da ich glaubte, daß gerade jetzt die beste Zeit zum Säen wäre, so grub ich mit meiner hölzernen Schaufel ein kleines Stück Erdreich um, welches ungefähr dreißig Schritte links von meiner Wohnung lag, wo die Grasebene sich zu[ 118] senken anfieng. Unter der Arbeit fiel mir ein, daß es wohlgethan seyn möchte, nicht Alles auf einmal zu säen, da ich doch nicht gewiß war, ob jetzt die rechte Säezeit wäre; ich säete also nur zwei Drittel, und das war mein Glück, denn von der ganzen Saat gedieh nicht ein einziges Körnchen; sie schoß zwar anfangs lustig auf, aber die Hitze der trockenen Jahreszeit, wo keine Feuchtigkeit den Wachsthum beförderte, war Schuld, daß Alles verdorrte.


Sechster Abschnitt.

[128] Die Krankheit.


1.-4. August. Schon seit einiger Zeit bemerkte ich zu meiner großen Betrübniß, daß mein Brodvorrath stark auf die Neige gieng, und ich schränkte mich auf ein einziges Stück Zwieback täglich ein. Dies setzte mich nur desto mehr in Thätigkeit, eine zweite Saat vorzunehmen, da auch die Regenzeit heranzunahen schien, denn es war mir leicht gewesen, zu entdecken, daß die Hitze der trockenen Jahreszeit der wahre Grund und gewesen war, daß ich meine erste Saat einbüßte. – Ich suchte mir also ein fruchtbares Stück Erdreich aus, nämlich ungefähr 100 Schritte rechts von meiner Mauer, am Abhange des Hügels, wo die Nähe der Felsenquelle, ohne gerade darüber zu fließen, die Erde hinlänglich befeuchtete und erfrischte. Ich grub ein kleines Stück um, und besäete einen Theil mit Getreide, den andern mit Reis, behielt aber doch, aus Furcht Alles zu verlieren, auf den schlimmsten Fall noch ein Drittel meines Saamens zurück. Da ich ihn nun einige Zeit vor der Herbst-Nachtgleiche säete und diese Saat nun die Regenmonate September und Oktober zur Befeuchtung hatte, so gieng sie lustig auf und gab zu seiner Zeit eine sehr gute Erndte.

5.-9. August. Die Witterung ward rauh, was mir für die Jahrszeit und diesen Himmelsstrich anfangs[129] ungewöhnlich schien; es fiel ein dünner kalter Regen, der mir nicht wohl bekam. Ich fühlte Frost und Kopfschmerzen, brachte die Nächte unruhig und schlaflos zu, oder ward in oft unterbrochenem Schlummer durch grausende Träume aufgeschreckt. Bei Tage quälte ich mich mit traurigen Vorstellungen über meinen verlassenen Zustand und über den Ausgang meiner Krankheit. Seit jenem Sturm zu Yarmouth betete ich heute zum erstenmale zu Gott, wußte aber kaum, was ich sagte, denn meine Gedanken waren in der größten Verwirrung. [...Beginn der Krankheit...]

11. August. Ich fühlte mich viel besser aber äusserst schwach, dennoch mußte ich auf die Jagd gehen, weil ich nichts zu essen und doch großen Hunger hatte, wie das bei kalten Fiebern gewöhnlich ist. Ich schoß eine Ziege und schleppte sie mit größter Anstrengung meiner Kräfte nach Hause, wo ich sie zerschnitt, mir einige Stücke bratete und sie mit großem Appetit verzehrte. Ich hätte sie lieber gedämpfet und eine Brühe darüber gemacht, hatte aber keinen Topf. Die Kessel der Schiffsmannschaft waren zu groß und mir jetzt zu schwer, sie aus dem Magazin zu holen.

12. August. Das Fieber war heute heftiger als nie, so daß ich den ganzen Tag ohne Speise noch Trank zu Bette lag und vor Durst fast verschmachtete, denn ich war viel zu schwach, um aufzustehen, über die Mauer zu steigen und mir frisches Wasser zu holen.[130] Während drei ganzen Stunden that ich nichts als ausrufen: »Gott erbarme dich! – Herr hilf mir! – Gott stehe mir bei!« Als die Heftigkeit des Anfalls nachließ, schlief ich vor Entkräftung ein, wachte erst in tiefer Nacht wieder auf, fühlte mich sehr erfrischt, aber von Durst gequält, und hatte doch keinen Tropfen Wasser zu meiner Labung. Gegen Morgen schlief ich wieder ein, und ward durch einen fürchterlichen Traum aus dem Schlummer aufgeschreckt.

13. August. Mir träumte, ich säße ausser der Mauer, an der Stelle, wo ich das Ende des Erdbebens erwartete. Da stieg aus schwarzen Wolken ein Riese in glänzender Rüstung auf die Erde, die unter seinen Tritten erbebte; die ganze Luft um ihn her leuchtete von Flammen und schlängelnden Blitzstrahlen, vernichtend war sein Blick und drohend seine Anrede: »Stirb, Fühlloser! den nichts zur Buße erweckt!« – Bei diesen Worten schwang er seinen Speer gegen mich, und lange nach meinem Erwachen bebte ich noch vor Entsetzen, da ich mir doch schon bewußt war, daß es nichts als ein Traum sey.

Ein dunkles Selbstgefühl bestätigte die Wahrheit dieser Anklage, und war vermuthlich Ursache des Traums. Der Religionsunterricht, den ich bei Hause empfangen, die liebevollen Ermahnungen meines Vaters, waren durch einen achtjährigen Umgang mit Seefahrern, Mauren, Pflanzern und Kaufleuten, durch eine Reihe sonderbarer Ereignisse, durch den Drang der Umstände und durch das unruhige Streben meines Hangs zum Herumschwärmen längst verdrängt worden. Als ich in[131] das Elend der Sklaverei kam; als ich mich davon befreite; bei meiner gewagten Fahrt längs den Küsten von Afrika; bei meiner Rettung durch den menschenfreundlichen portugiesischen Kapitän; während meinem Aufenthalt in Brasilien; bei meinem letzten Schiffbruch an dieser Insel: fiel es mir gar nicht ein, daß meine widrigen Schicksale eine wohlverdiente Strafe meines Betragens seyen; ich hatte nicht das geringste Gefühl von Furcht vor Gott in Gefahren, noch von Dankbarkeit für seine Hülfe. Das Entzücken über meine Lebensrettung im Augenblicke, da meine Gefährten alle ertranken; die Rührung bei dem Anblick des so unerwartet aufgewachsenen Getreides; der Eindruck des Erdbebens: waren nichts als vorübergehende Gefühle, die sich in einer gewissen Betäubung der Seele verloren. [...]

Indem ich allmählig wieder neu auflebte, und nicht mehr so düster auf meine Lage hinblickte, beschäftigte mich vorzüglich der Gedanke an den Bibelspruch: »Rufe mich an in der Noth, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.« Da die Noth der Krankheit vorüber war, so machte ich die Anwendung von dem Versprechen der Rettung auf die Befreiung aus dieser Insel, und je unmöglicher mir diese schien, desto größer ward meine Sehnsucht, wieder zu Menschen zu kommen. Oft aber erscheinen ungesucht und unerwartet Augenblicke der Erleuchtung. Mir fiel ein, daß ich mich durch jene ungeduldige Sehnsucht zu[137] sehr hinreissen ließ, daß ich die Rettung von meiner Krankheit, die durch Entbehrung jeder menschlichen Hülfe noch weit bedauernswürdiger und gefahrvoller war, ganz vergesse. Um diese Rettung hatte ich ja Gott angerufen und Gott habe mich auch wirklich gerettet, aber ich hätte ihn nicht darum gepriesen. Auf's innigste gerührt, sank ich sogleich auf meine Kniee und dankte Gott laut und mit thränenden Augen für meine Genesung. [...]

Neunter Abschnitt

1. Jenner 1661. Der Neujahrstag war mir schon in meiner Kindheit wegen den vielen Geschenken, jetzt aber wegen den Betrachtungen wichtig, die er veranlaßte. Auch feierte ich ihn nebst dem Weihnachtsfeste desto mehr, da mir die Tage, auf welche die beweglichen hohen Feste, Ostern und Pfingsten fielen, unbekannt waren. Ich fieng meine Feier mit Oeffnung der Bibel an und fand die trostvollen Worte: »Ich will dich nicht verlassen noch versäumen.« Ich wandte sie auf mich an, denn ich war traurig, daß ich heute mein letztes Stückchen Zwieback genießen sollte, das ich seit einigen Tagen auf diesen verspart hatte; dazu kam noch, daß ich wenigstens ein halbes Jahr warten mußte, ehe ich wieder Brod bekam. Aber dieser trostreiche Wunsch belebte mich auf's Neue. »Nun denn! – rief ich, – verläßt Gott mich nicht, was thuts, wenn ich auch von der ganzen Welt verlassen bin.« Ich dankte Gott mit gerührtem Herzen, daß er dem Kaufmann in England, der mir meine Sachen nach Brasilien sandte, in den Sinn gab, die Bibeln dabei zu legen, und daß ich sie mit zu Schiffe nahm und daraus rettete.

In dieser Gemüthsverfassung trat ich das neue Jahr an. Um aber die allzugroße Umständlichkeit und den Tagebuchsstyl zu vermeiden, werde ich in der Folge nur dann die Tage bemerken, wenn sie vorzüglich merkwürdig[162] sind. Der Drang der Bedürfnisse und meine eigene Thätigkeit erlaubten mir nicht müßig zu seyn. Wie schon bemerkt, hatte ich meine Zeit ordentlich eingetheilt, doch die allmählige Verbesserung meiner Lage gab Anlaß zu einiger Abänderung. Dreimal des Tags las ich in der Bibel und verrichtete mein Gebet. Alle Morgen, wenn es nicht regnete, gieng ich aus, um etwas zu schießen, oder etwas anderes zu meinem Unterhalt zu holen; dies nahm mir zwei bis drei Stunden. Nicht viel weniger Zeit hatte ich zur Zubereitung und Aufbewahrung meiner Speisen nöthig. Gegen 11 Uhr, besonders wenn die Sonne im Zenith stand, war die Hitze so groß, daß nicht daran zu denken war mich zu rühren, viel weniger zu arbeiten, so daß mir kaum 4 oder 5 Nachmittags- und Abendstunden zur Arbeit übrig blieben. Zuweilen verwechselte ich die Jagd- und Arbeitsstunden, so daß ich des Abends jagte und des Morgens arbeitete, wenn ich Etwas gern bald fertig gehabt hätte, oder der Regen dazu Anlaß gab. Uebrigens wird man diese kurze Arbeitszeit desto weniger zu kurz finden, wenn man außer der Hitze des Klima's noch die Mühsamkeit bedenkt, womit ich Alles, theils aus Unkunde, theils aus Mangel an Materialien, Werkzeugen und andern Hülfsmitteln bewerkstelligen, und oft einen Monat zu einer Arbeit anwenden mußte, die ein paar Handwerker sonst in einem Tage gefertigt hätten. [...]

Eilfter Abschnitt.

[186] Der Schiffsbau.


Während dieser ganzen Regenzeit gieng ich beinahe nicht ausser meine Pfähle, denn es fehlte mir nicht an Beschäftigung, und unter der Arbeit lehrte ich meinen Papagei sprechen, der nun gar vertraut mit mir zu werden anfieng; er lernte bald seinen eigenen Namen: Poll, aussprechen. Bald lernte er auch meinen Namen: Robinson, nebst andern schmeichelhaften Worten reden, so daß ich die größte Freude an ihm hatte; und welch eine Wollust war es für mich, nach mehr als zwei Jahren ein ausgesprochenes Wort von einer andern als meiner eigenen Stimme zu hören! So kurz und unbedeutend unsere Unterredung war, so hatte ich doch nun jemand um mich, der mich zu verstehen schien, mit dem ich vertraut redete, und der mir zuweilen, statt der Antwort, ein Robinson oder Poll dazwischen plauderte.

Die irdenen Gefäße, die ich gemacht hatte, reichten zu meinem Bedürfnisse nicht hin; sie waren zu klein, selbst das, worin ich kochte, enthielt kaum soviel als ich für eine Mahlzeit bedurfte; die andern neuen waren noch kleiner. Die übrigen Gefäße, die ich hatte,[186] bestanden in zwei Fäßchen, die fast ganz voll Rum waren; zwei Pulfer-Tönnchen, die ich ausleerte, als ich mein Pulfer vertheilte, und jetzt mit andern Dingen angefüllt waren; zwei andere volle Pulferfäßchen in meinem Magazin, worin das naß gewordene Pulfer war; zwei Fäßchen voll Gewehrkugeln; etwa ein Dutzend gläserne Flaschen, theils runde, theils viereckigte; letztere gehörten zu den verschiedenen geretteten Flaschenfuttern, und enthielten Kordialwasser und andere gebrannte Wasser; endlich einen großen Kessel aus dem Schiffe, der aber viel zu groß war, um für mich allein zu kochen.

Das Erste, was ich vornahm, waren zwei Körbe, die ich bei der Töpferarbeit brauchen wollte. Dann gieng ich an diese und machte zwei große und einige Dutzend kleinere Gefäße. Als ich die großen mit vieler Sorgfalt geformt hatte, und sie so weit getrocknet waren, daß ich sie bewegen konnte, setzte ich sie in jene beiden Körbe, die ich dazu bestimmt hatte, so daß ich nun, ohne sie anzufassen, selbige hin und her bewegen konnte; die übrigen setzte ich auf Bretter, um im Schatten auszutrocknen, bis ich sie nach verlaufener Regenzeit an die Sonne setzen konnte.

Nach diesem bemühte ich mich, ein größeres Faß als meine Tönnchen zu machen; ich zimmerte und hobelte, und machte Dauben, Böden und Reife, konnte aber nie dazu gelangen, die Böden einzusetzen oder die Dauben so dicht zusammenzupassen, daß sie Wasser gehalten hätten; ich schlug sogar eins der leeren Pulferfäßchen auseinander, um desto genauer zu untersuchen,[187] wie sie gemacht waren, allein es wollte mir nicht gelingen; ich mußte zum erstenmal eine Arbeit ungefertigt aufgeben, und hatte selbst noch die größte Mühe, das auseinander geschlagene wieder zusammenzufügen, und zwar nicht so gut, daß es Wasser gehalten hätte. [...]


Siebenzehnter Abschnitt

[...] Es war in der Regenzeit, im März des vierundzwanzigsten Jahres seit meiner Ankunft in dieser Einöde, als ich eine ganze Nacht schlaflos zubrachte, obschon ich ganz gesund war. Es würde eben so unmöglich als überflüssig seyn, die unzähligen Gedanken aufzuzeichnen, die sich in meinem Kopfe durcheinander drängten. Unter andern gieng die ganze Geschichte meines Lebens, wie ein Miniaturgemälde, oder vielmehr wie Bilder einer Zauberlaterne vor mir vorüber, und erweckte bald fröhliche, bald traurige Betrachtungen in mir. Da ich jetzt wieder Papier, Tinte und Federn besaß, so schrieb ich nicht nur wieder dasjenige auf, was mir täglich begegnete, sondern auch aus dem Gedächtniß, was sich ereignet hatte, seitdem ich nicht mehr hatte schreiben können.

Die Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Zustande ist eine allgemeine Seuche, aus welcher gewiß die größere Hälfte alles Elends entspringt, das die Menschen[271] betrifft, und ich kann hierin allen zu einem warnenden Beispiele dienen. Ohne jetzt auf meine ersten Thorheiten, meine Widersetzlichkeit gegen den Willen und den vortrefflichen Rath meines Vaters und auf meine Entweichung zurückzukommen, so war doch meine unruhige Gemüthsart die Quelle alles mir seither zugestoßenen Elendes. Hätte ich in Brasilien meine Begierden einzuschränken gewußt, und mich damit begnügt, meine Pflanzung zu besorgen und zu verbessern, so würde ich längst über hundert tausend Moidoren im Vermögen haben; welche Thorheit war es daher, das Gewisse für das Ungewisse zu verlassen, um Neger zu holen, die ich vor meiner Thüre hätte kaufen können; der Unterschied des Preises war so unbedeutend, daß es nicht werth war, mich einer so großen Gefahr auszusetzen. Hier stellte sich diese nun in ihrer ganzen Größe dar, dann auch meine glückliche Rettung und die frühern Jahre meines Aufenthalts auf dieser Insel; ich verglich meine damalige ruhige Lage mit der Furcht, den Beängstigungen und Besorgnissen, in denen ich seit dem Augenblick der Entdeckung des menschlichen Fußtapfens gelebt hatte. [...]

Der Wirrwar meiner Gedanken beunruhigte mich so sehr, daß mein Blut in eine ausserordentliche Wallung gerieth, und mein Puls so schnell wie im Fieber schlug. Gegen Morgen, als schon die Dämmerung grauete, fiel ich vor Ermattung in einen wohlthätigen Schlaf. Da träumte mir, ich befände mich auf meinem Morgenspaziergang, und käme an die Ostküste, nächst meiner Anfurth, wo zwei Kanots landeten, aus denen eilf Wilde mit einigen Gefangenen stiegen, um diese zu verzehren. Einer derselben, den sie eben schlachten wollten, entlief ihnen und suchte sich in dem Gebüsche zu retten, das meine Burg umgab. Ich kam ihm mit Freundlichkeit entgegen und suchte ihm Muth einzuflößen. Er fiel vor mir nieder und schien mich um Beistand gegen seine Verfolger zu bitten, von denen ich aber keinen bemerkte. Es schien mir hierauf, daß ich ihm die Hand reichte, mit ihm auf der Leiter über[273] den Wall in meine Burg stieg, wo er mein Knecht wurde. Nun glaubte ich an ihm einen Steuermann zu haben, der mich nach dem festen Lande bringen und mir sagen würde, wohin ich gehen oder mich nicht hinwagen dürfe, was ich zu thun oder zu unterlassen hätte. Das Entzücken über meine nahe Befreiung war unaussprechlich, und mit nichts als mit dem Mißvergnügen und der Bestürzung zu vergleichen, da ich bei'm Erwachen fand, daß alles nur ein Traum sey, welches mich in die größte Niedergeschlagenheit versetzte. Doch leitete mich dies auf die Idee, wo möglich einen Wilden, den sie zum Abschlachten bestimmt und hieher gebracht hätten, aus ihren Klauen zu erretten; ich hoffte dadurch ihn mir, als dem Retter seines Lebens, so dankbar, und durch eine freundliche Behandlung so ergeben zu machen, daß er Alles für mich thun würde; ich beredete mich sogar, selbst mit zwei oder drei Wilden wohl fertig zu werden, und sie so zu zähmen, daß sie meine Sklaven seyn und allen meinen Befehlen gehorchen müßten, wobei ich denn schon verhüten wollte, daß sie mir keinen Schaden zufügten. An diesen Vorstellungen weidete ich mich lange, aber auf der andern Seite ward meine Freude merklich getrübt, daß diese Unternehmung großen Schwierigkeiten ausgesetzt sey, gar leicht mißlingen und zu meinem eigenen Verderben gereichen könnte. Dann beunruhigten mich auch wieder die Zweifel gegen die Rechtmäßigkeit derselben; die Gründe, worauf sie sich stützten, habe ich bereits auseinander gesetzt, und es wäre daher überflüssig, sie zu wiederholen.

Meine Wünsche und Bedenklichkeiten, Gründe und[274] Gegengründe kämpften lange gegen einander, und nach vieler Unruhe und Unentschlossenheit behielten denn doch die ersteren die Oberhand über alles Uebrige, und ich war fest entschlossen, was es auch koste, einen Wilden in meine Hände zu bekommen, und ich rechtfertigte meinen Vorsatz mit dem Grunde, daß die Wilden meine Feinde, die Störer meiner Ruhe waren. Man merkt wohl, daß die Leidenschaft mir diesen Grund eingab, denn er ist falsch.

Nachdem einmal mein Entschluß gefaßt war, kam es darauf an, wie ich ihn ausführen sollte. Nach mehreren entworfenen, abgeänderten, verworfenen und erneuerten Planen, hielt ich mich an den schon einmal gefaßten, nämlich Wache zu halten, um ihre Ankunft und ihr Benehmen zu erspähen, im Uebrigen den Erfolg abzuwarten, und meine Maaßregeln den Umständen gemäß zu ergreifen. [...]

Freitag

Endlich, nach anderhalb Jahren, erblickte ich eines Morgens meine Feinde, aber nicht ohne große Bestürzung, denn es waren nicht weniger als fünf Kanots,[275] und da jedes sechs oder mehr Wilde zu enthalten pflegte, so war es allerdings viel gewagt, ich so allein ihrer dreißig anzufallen. Sie waren an der Nordostküste, jenseits der Bucht, ans Land gestiegen, und zogen etwas links von mir, wo eine sich hinunterziehende Waldspitze sie bald meinen Augen entzog, so daß ich nicht wissen konnte, wie weit landeinwärts sie gegangen waren, welches mich sehr beunruhigte. Statt sie aufzusuchen, kehrte ich in meine Burg zurück, machte Alles zu einer tüchtigen Vertheidigung zurechte, wie ich schon einmal in einem ähnlichen Falle gethan hatte. Nachdem ich in dieser Verfassung eine gute Weile gewartet und gelauscht hatte, ob ich kein Geräusch von ihnen hörte, ward ich ungeduldig, und stieg mit dem Fernglase auf meine Warte, wo ich sie ungefähr hundert Schritte vom Ufer sogleich entdeckte; sie hatten ein großes Feuer angemacht und tanzten mit mancherlei Geberden und Stellungen um selbiges herum. Darauf entfernten sich Einige, und holten aus einem Kanot zwei Unglückliche, von denen ich sogleich den Einen niederstürzen sah, der vermuthlich mit einer Keule zu Boden geschlagen wurde; ohne Verzug warfen sich drei Unmenschen über ihn her, öffneten ihm den Leib und zerlegten ihn in Stücke, indeß der Andere jede Minute ein ähnliches Schicksal erwartete; als er aber bemerkte, daß die Umstehenden mehr auf den Erschlagenen als auf ihn Acht gaben, so ersah er seinen Vortheil, nahm Reißaus, und rannte, von der Liebe zum Leben beflügelt, mit unglaublicher Schnelligkeit gegen den Meerbusen gerade auf meine Wohnung zu, was mich desto mehr in Schrecken setzte,[276] da eine ganze Schaar ihn verfolgte; doch fieng ich bald an mich zu erholen, als ich ihn hinter der Waldecke hervorkommen und nur von Dreien verfolgt sah, über die er jeden Augenblick einen so beträchtlichen Vorsprung nahm, daß wenn er diesen schnellen Lauf nur eine halbe Stunde aushalten konnte, sie ihn nie einholen würden; wenn er aber nicht von ihnen erhascht werden wollte, so mußte er nothwendig über die Bay schwimmen, die hier schon gegen fünfzig Schritte breit war und hohe Ufer hatte; allein die Fluth war ihm günstig und er warf sich ohne Anstand in's Wasser, schwamm in dreißig bis vierzig Sätzen hinüber, erkletterte mit Leichtigkeit das Gestade, und setzte seinen Lauf mit ausserordentlicher Schnellfüßigkeit fort. Von seinen Verfolgern blieb einer stehen, und kehrte bedächtlich und zu seinem Glück zum Blutschmause zurück; die beiden andern waren beherzter, und schwammen dem Flüchtling nach, brauchten aber noch einmal so viel Zeit dazu als dieser.

Jetzt war ich gewiß, daß mein Traum in Erfüllung gehen, der Fliehende in meinem Wäldchen Schutz und Schirm suchen und sich retten werde, und ich fühlte einen unwiderstehlichen Drang ihm beizustehen, wozu die Vorsehung mich deutlich zu berufen schien, um mir einen Gehülfen und Gefährten zu gewinnen. Ich stieg in größter Eile von meiner Warte herunter, nahm zwei Flinten, die ich bereits geladen hatte, stieg über meinen Wall, und lief gerade gegen die Bucht hin, wo ich, da der Weg kurz war und sich sanft bergab senkte, mich bald zwischen dem Entflohenen und den[277] Nachsetzenden befand. Jenem rief ich laut zu, allein der Furchtsame erschrack eben so sehr über mich als über seine Feinde; aber ich winkte ihm mit der Hand nach mir zu, und gieng auf jene los, fiel über den nächsten her, und schlug ihn mit dem Gewehrkolben zu Boden, denn ich wollte nicht gerne meine Flinte abfeuern, aus Besorgniß, durch den Knall mich dem nahen Schwarm zu verrathen, obwohl die Entfernung und die Unbekanntheit mit Feuergewehr es höchst unwahrscheinlich machte, daß sie sich selbigen erklären konnten. Der Gefährte des Erschlagenen stand bestürzt einige zwanzig Schritte hinter ihm stille, ich nahete mich ihm, und bemerkte, daß er den Pfeil auf den Bogen legte, deßwegen kam ich ihm vor, und schoß ihn Knall und Fall nieder.

Dieser Knall, die Flamme, der Rauch erschreckten den armen Wilden so sehr, daß er wie eingewurzelt stille stand, und er schien mehr geneigt, zu fliehen, als sich mir zu nähern; ich rief und winkte ihm wiederholt, er möchte doch zu mir kommen. Er schien es auch zu verstehen, kam einige Schritte näher, stand stille, trat wieder vorwärts und hielt wieder inne. Ich bemerkte wohl, daß er vor Angst zitterte, obschon er seine Feinde todt und sich von ihnen befreit sah, allein er fürchtete gefangen und wie sie getödtet zu werden. Ich winkte ihm abermals, und suchte ihm durch alle erdenkliche Zeichen und freundliche Worte und Blicke Muth einzuflößen. Dies bewog ihn, sich zu nähern, er kniete aber alle zehn oder zwölf Schritte, um mir seine Dankbarkeit oder Unterwürfigkeit zu bezeugen. Ich lächelte[278] ihm entgegen; endlich kam er ganz nahe, kniete wieder, küßte die Erde, ergriff meinen Fuß, und setzte sich ihn auf den Kopf, den er auf den Boden gelegt hatte, welches vermuthlich ein Zeichen seyn sollte, er wolle mein Sklave seyn. Ich reichte ihm die Hand, hob ihn auf, that freundlich gegen ihn, und suchte auf alle mögliche Art ihm Muth zu machen.

Allein es gab noch mehr zu thun. Der Wilde, den ich mit dem Kolben niedergeschlagen hatte, war nicht todt, sondern nur betäubt, fieng an wieder zu sich selbst zu kommen und sich zu regen. Ich zeigte dies meinem geretteten Wilden, der hierauf einige Worte aussprach, die ich zwar nicht verstand, mich aber entzückten, da sie seit fünfundzwanzig Jahren die ersten menschlichen Laute waren, die ich, ausser meiner eigenen Stimme, hörte. Doch es war jetzt keine Zeit, mich diesen angenehmen Betrachtungen zu überlassen, denn der Verwundete hatte sich schon so weit erholt, daß er aufgerichtet saß, und mein Schützling fieng bereits an bange zu werden. Ich richtete meine Flinte auf Jenen, um ihn zu erschiessen, allein Dieser hatte schon so viel Zutrauen zu mir gewonnen, daß er mir zu verstehen gab, ich möchte ihm meinen Säbel leihen. Kaum hatte er ihn, als er auf seinen Feind zulief, und ihm mit einem Streiche den Kopf so fertig als der geschickteste Scharfrichter abhieb, welches mich verwunderte, da ich glaubte, der Säbel müßte für ihn eine unbekannte Waffe seyn, allein ich hatte nachher Gelegenheit zu erfahren, daß die Wilden Schwerter haben, die von so hartem und schwerem Holz und so scharf sind, daß sie[279] damit so gut als wir mit eisernen ihre Feinde mit einem Hiebe niedersäbeln. Nach einer so wohl gelungenen That kam er hüpfend zurück, und legte den Säbel nebst dem Kopfe mit lautem Lachen und seltsamen Geberden zu meinen Füßen.

Nichts erregte aber mehr sein Erstaunen, als daß ich den andern von seinen Feinden in so weiter Entfernung getödtet hatte. Er wies daher auf ihn, und ich erlaubte ihm, dahin zu gehen; er näherte sich demselben, betrachtete ihn aufmerksam, wandte den Körper bald auf diese, bald auf jene Seite, untersuchte vorzüglich die Wunde in der Brust, woran er sich inwendig verblutet hatte; nach langer, verwunderungsvoller Betrachtung kam er mit dem Bogen und den Pfeilen des Erlegten zurück, und ich gab ihm durch Zeichen zu verstehen, daß er mir folgen sollte, weil sonst mehrere seiner Feinde nachkommen möchten. Er war aber vorsichtiger als ich, und antwortete mir durch Zeichen, er wolle vorher die Todten begraben, damit sie die andern nicht finden könnten, und auf meine Einwilligung waren in einer Viertelstunde beide Leichname im Sande verscharrt.

Während dieser Arbeit überlegte ich, daß es vorsichtiger seyn möchte, ihn nicht in meine Burg, sondern in die Grotte zu bringen, wohin ich ihn auch führte. Dies traf zwar nicht mit meinem Traume zu, aber die Behutsamkeit verdiente den Vorzug. Hier reichte ich ihm Brod, getrocknete Weinbeeren und frisches Wasser, welche Gerichte er köstlich fand und mit vielem Appetit verzehrte; dann wies ich ihm einen Bündel Reisstroh[280] an, um darauf von der Ermüdung auszuruhen, die ihm die Lebensgefahr und die angestrengte Flucht verursacht hatten.

Während seinem Schlafe hatte ich Gelegenheit und Muße, ihn zu betrachten. Er war ein wohlgewachsener, schlanker Bursche von mittlerer Größe und ungefähr fünfundzwanzig Jahren; alle seine Glieder zeugten von Stärke und Behendigkeit; sein männlich schönes Gesicht war ohne Wildheit, und aus seinen Zügen sprach, besonders wenn er lächelte, etwas von der Sanftheit, die sonst nur den Europäern eigen ist; seine Gesichtsfarbe war zwar dunkel, aber nicht so schwarzgelb, wie die der Eingebornen von Brasilien, sondern olivenfarbig, die etwas Angenehmes an sich hatte; seine schwarzen Haare waren nicht wollicht-kraus, sondern lang und wallend; das Gesicht war rund, die Stirne hoch, die Augen voll Feuer, der Mund wohlgeformt und voll glänzend weißer Zähne.

Nach diesen Bemerkungen verließ ich die Grotte, um in dem nahe gelegenen Gehäge meine Ziegen zu melken, bei welcher Beschäftigung mich mein Indianer, der kaum eine halbe Stunde geschlafen hatte, antraf. Sobald er mich erblickte, lief er eilends auf mich zu, legte sich demüthig vor mich hin, setzte meinen Fuß auf seinen Kopf, wie er schon gethan hatte, und suchte auf alle mögliche Art seine Dankbarkeit, seine Unterwerfung und Ergebenheit auszudrücken. Ich verstand den größten Theil seiner Zeichen, bezeugte ihm meine Zufriedenheit und mein Wohlwollen, und suchte mit ihm zu sprechen. Zuerst gab ich ihm zu verstehen, er sollte[281] mich Herr nennen, und er sollte Freitag heißen, weil ich meinem Kalender zufolge glaubte, daß der heutige Tag so hieße; dann lehrte ich ihn die Wörter Ja und Nein aussprechen, und ihre Bedeutung verstehen, womit ich den heutigen Sprachunterricht beendigte. Hierauf gab ich ihm Brod und etwas Milch in einem Topfe, ließ ihn sehen, wie ich Brod drein brockte, aß und trank, und winkte ihm, ein Gleiches zu thun; das that er auch, und bezeugte mir, daß es ihm vortrefflich schmecke."

Der Traum erfüllt m.E. die Doppelfunktion, einerseits, das folgende Geschehen für den Leser plausibler zu machen (so verliert der Vorgang, dass einer flieht, Robinson einen erschießt, ohne dass die große Gruppe darauf irgendwie reagiert, dadurch seine Unwahrscheinlichkeit, weil man das Ganze bereits schon einmal gelesen hat) und andererseits das Auftauchen eines Gefährten für Robinson als  im Traum angekündigtes Gottesgeschenk anzusehen. Da es ihm von Gott geschenkt worden ist, wird motiviert, dass Robinson selbstverständlich als seinen Besitz und Sklaven versteht. 

Um das abzusichern, wird zweimal geschildert, dass Freitag den Fuß Robinsons auf seinen Kopf setzt und damit seine völlige (nicht durch Kampf, sondern durch Dankbarkeit begründete) Unterwerfung zum Ausdruck bringt. 

Dass der Wilde schön ist und deutlich jünger als Robinson, passt dazu. Der Ablauf stellt Robinson auch schuldlos: er greift nicht an, sondern verteidigt sich nur. Die Tötung des zweiten Eingeborenen geschieht durch Freitag, der als außerhalb der christlichen Moral stehend, im religiösen Sinne schuldunfähig ist.


Für Robinson erfüllt Freitag einerseits die Rolle, die in der jüdisch/christlichen Schöpfungsgeschichte Eva zukommt. Doch dass er  keine Frau ist, zur befreit den Erzähler von der Aufgabe, eine sexuelle Beziehung  oder gar die Aufzucht eines Kindes und dessen Reise in die Zivilisation darstellen zu müssen. 


Von hier ab verliert der Roman für mich an Interesse, weil nicht mehr geschildert wird, wie Robinson mit geringsten Mitteln einen eigenen Lebensraum aufbaut, sondern, wie er mit einzelnen Personen, die er befreit/rettet (Spaniern und Engländern ein Schiff erobert, mit dem, den Weg in die Heimat antreten zu können, er hofft. Es beginnt also eher ein Abenteuerroman, wie ich ihn besonders von Karl May kenne.


Der Zufall spielt mir ein Link zu einem amerikanischen Trivialroman über Piraten in die Hände. Wer will kann dort (im Blog eines Internetbekannten) nachlesen, wo ich gerade ein mir bisher unbekanntes Genre kennenlerne. (Ein Link zu dem vollständigen Text wird dort auch angeboten, ich bin mit der Zusammenfassung der Handlung durch Herrn Rau zufrieden. Bei seiner Art der Darstellung kann man mehr Roman in kürzerer Zeit als bei mir zur Kenntnis nehmen, weil weitgehend eine Inhaltswiedergabe mit nur wenigen eingestreuten Zitaten bietet.) 

Hiermit beende ich für einige Zeit meine Vorstellung der Übersetzung des Originaltextes des Robinson Crusoe. Wer weiteres lesen will, kann das vom 18. Abschnitt ab bei Zeno

Wer aber den vollständigen Text des Robinson Crusoe ohne Auslassungen lesen will, kann den Anfang des Textes bei Zeno hier finden.