Volker Leppin: Die fremde Reformation Luthers mystische Wurzeln, 2016
Stephan Speicher: Das Reformationsjubiläum treibt frühe Blüten: Zwei neue Bücher über Martin Luther zeigen den Wittenberger Reformator als Barbaren in Rom und als Erben des mystischen Denkens. ZEIT Nr.25/2016
"Was wir oft als genuin reformatorisch ansehen, nämlich die Überzeugung, dass der Mensch allein durch die Gnade Gottes (sola gratia) gerettet werde, das findet sich schon früher. Einer der populärsten Autoren des Spätmittelalters war der Dominikaner Johannes Tauler, dessen gedruckte Predigten der junge Luther studierte und mit ausgiebigen Randnotizen versah. Tauler stellte das Verhältnis zu Christus in den Mittelpunkt der Betrachtungen, wobei der Gläubige "leidend", Christus aber "wirckent" gedacht war. Und Luther notierte dazu, es sei viel nötiger, Göttliches zu erleiden als zu tun. Hier ist schon die iustitia passiva zu greifen: dass die Rechtfertigung des Menschen ganz und gar Gottes Werk ist. Mit der Verinnerlichung des Glaubens ging bei Tauler Distanz zu den vermittelnden Instanzen der Kirche einher. Wer seine Sünden bereue, müsse damit nicht gleich zum Beichtvater laufen. Und Luther am Rande: "Ein überaus nützlicher Ratschlag!"
"Was wir oft als genuin reformatorisch ansehen, nämlich die Überzeugung, dass der Mensch allein durch die Gnade Gottes (sola gratia) gerettet werde, das findet sich schon früher. Einer der populärsten Autoren des Spätmittelalters war der Dominikaner Johannes Tauler, dessen gedruckte Predigten der junge Luther studierte und mit ausgiebigen Randnotizen versah. Tauler stellte das Verhältnis zu Christus in den Mittelpunkt der Betrachtungen, wobei der Gläubige "leidend", Christus aber "wirckent" gedacht war. Und Luther notierte dazu, es sei viel nötiger, Göttliches zu erleiden als zu tun. Hier ist schon die iustitia passiva zu greifen: dass die Rechtfertigung des Menschen ganz und gar Gottes Werk ist. Mit der Verinnerlichung des Glaubens ging bei Tauler Distanz zu den vermittelnden Instanzen der Kirche einher. Wer seine Sünden bereue, müsse damit nicht gleich zum Beichtvater laufen. Und Luther am Rande: "Ein überaus nützlicher Ratschlag!"
Luther selbst hat später gern von Wendungen seines Denkens gesprochen, die schlagartig eingetreten seien. Das war ein literarischer Kniff, vielleicht auch eine Saulus-Paulus-Imitatio. Leppin vollzieht nach, wie viel sich allmählich aus mittelalterlichen Wurzeln entwickelte. Die Abneigung gegen die Scholastik mit ihren argumentationstechnischen Finessen war nichts Ungewöhnliches in der Zeit. Distanz zur Kirchlichkeit zeichnete auch die Frömmigkeitsbewegung Devotio moderna aus, die Luther geschätzt hat, sie interessierte sich weniger für Liturgie und Sakramentenspendung als für das Verhältnis des Einzelnen zu Christus.
Was Luther aber von seinen Vorläufern unterschied, das war die Beharrlichkeit, mit der er an der einmal gefundenen Schraube drehte."
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