B. v. Brackel u. T. Staud: Am Kipp-Punkt (Perlentaucher)
Diesmal weise ich auch ein Buch hin, bevor ich es gelesen habe, weil es eilig und wichtig ist. Wenn mir deutlich mehr Informationen vorliegen, werde ich hier darauf hinweisen.:
Inzwischen entsteht in ZUM-Unterrichten nach und nach ein ausführlicher Artikel zum gesamten Buch, der viele Zitate und Wikipedialinks zu ausführlicheren Erläuterungen enthält.
Leseprobe (Inhaltsangabe und Text bis S.39)
daraus:
"Prolog
Neue Welt
Stellen Sie sich eine große, komplexe Maschine vor, in der unzählige Zahnräder und andere mechanische Teile fein austariert ineinandergreifen. Über Hebel wird die Maschine gesteuert. Nun ziehen Sie an einem davon, ganz langsam, gleichmäßig. Eines der Zahnräder wandert auf seiner Welle, ebenfalls langsam, gleichmäßig. Sonst passiert nichts. Irgendwann aber ist es so weit verschoben, dass ein anderes Zahnrad in Reichweite gerät. Sie greifen ineinander, das Getriebe knirscht, ruckelt – und ändert plötzlich die Drehrichtung.
Genauso abrupt könnte sich auch unser Erdsystem umstellen.
Es beginnt mit dem Eis: Von den Ozeanen rund um die Pole wird die weiße Decke gezogen; die Böden in den nördlichsten Breiten tauen auf, und in den Gebirgen kriechen die Gletscher in die Höhe zurück, wie ein scheues Tier. Überall knackt und knistert es, es tropft und rauscht. Die Erde taut.
Dann kommt der Knall.
Der Reihe nach zerplatzen die Schelfeise der Antarktischen Halbinsel, dann jene der Westantarktis. Aufs Meer hinausragende Eisplatten von der Größe ganzer Länder, die jahrtausendelang am Festlandeis gehaftet haben, brechen ab, zersplittern, und eine Armada an Eisbergen treibt in den Südozean hinaus. Warmes Wasser dringt nun unter den entblößten Eisschild und höhlt ihn unaufhörlich aus.
Derweil, am anderen Ende der Welt, schrumpft der Grönländische Eispanzer, und seine höchsten Lagen geraten in immer tiefere und wärmere Luftschichten, woraufhin er noch schneller schmilzt und ab einem gewissen Punkt unumkehrbar zerfließt. Bis der ganze Eisschild verschwunden ist, wird es Jahrhunderte oder Jahrtausende dauern, aber schon viel früher verändert sein [...]
Im Nordatlantik richtet sich daraufhin eine mächtige Meeresströmung neu aus, die über Jahrtausende Wärme nach Europa befördert hat. Wie ein am Boden liegender Gartenschlauch, der bei zu starkem Wasserdruck sich schlängelnd verschiebt und anderswo zum Liegen kommt.
Und das hat einen paradoxen Effekt: Während der Großteil der Welt unter Hitze leidet, erleben Teile Europas einen Kälterückfall. Die Luft kühlt ab, um mehrere Grad. Im Winter ziehen Stürme auf, wie sie die Menschen seit Beginn der Zivilisationen nicht erlebt haben.
Das arktische Meereis breitet sich wieder aus und berührt im Winter die Nordküste Schottlands und Norwegens; bisweilen gar die deutsche Nordseeküste. Es schneit wieder mehr.
Gleichzeitig erlebt die Südhalbkugel einen zusätzlichen Hitzeschub, schließlich hat die Erderwärmung ja nicht aufgehört – nur verteilt sich die Energie auf dem Planeten um und staut sich nun in der südlichen Hemisphäre. [...]
Zu welchen Sprüngen ist das Erdklima fähig?
Vor 11.650 Jahren endete die Jüngere Dryaszeit so plötzlich, wie sie gekommen war. In der Tongrube in Allerød konnten Hartz und Milthers diesen Schlusspunkt im Profil der Sedimentschichten an der Trennlinie zwischen der jüngeren Tonschicht und der vermoderten Torfschicht an der Oberfläche erkennen, die mit Überresten von Buchen- und Eichenstämmen durchsetzt war – ein Hinweis auf das Einsetzen der noch heute andauernden Warmzeit des Holozäns, der Blütezeit der Menschheit.
Es wurde damals wieder feuchter und wärmer, Birken und Kiefern breiteten sich in Nordeuropa aus, und die Rentierherden zogen sich endgültig in den Norden zurück. Die Menschen mussten sich abermals an die kleinräumigere Lebensweise in Wäldern gewöhnen – oder weit nach Norden ausweichen, wo es nach wie vor eine offene Tundra gab.
Auch in der Region des Fruchtbaren Halbmonds kehrten die Wälder zurück, die Wüste schrumpfte. Mehr Siedlungen entstanden, sie wuchsen zu Städten, und die Menschen blieben dort, manchmal für Tausende von Jahren oder sogar bis heute, wie in Jericho.
Wie schnell die Menschheit tatsächlich in die heutige Warmzeit befördert wurde, wie schnell also die Jüngere Dryas nicht nur begonnen, sondern auch geendet hatte, sollte sich erst viele Jahrzehnte später klären: Anfang der 1990er-Jahre. An einem der kältesten Orte der Welt. [...]"
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen