Wie war es in seinem ersten Wahlkampf für das Amt des Präsidenten?
Obama als Spendensammler: "Nur fünftausend? Nein, mindestens zehntausend, aber das reicht nicht. Es muss wehtun."
Obama als Redner: Der von ihm verehrte Prediger Jeremia Wright, durch dessen Predigten seine Gemeinde von 84 auf 8000 Mitglieder angewachsen war, wollte mit 66 Jahren in den Ruhestand treten. Da tauchten Videos von Predigten von ihm auf, die im Stile der Bürgerechtsbewegung agitatorisch war, und Obama sah seine Präsidentschaftskampagne gefährdet.
Obama hielt seine große Rede über Schwarze und Weiße in Amerika, darüber dass die armen Weißen so viel mit den Schwarzen verbinde und dass der Kampf zwischen den Rassen beendet sei. Man müsse gemeinsam in die Zukunft gehen.
Wright fühlte sich verraten, am Schluss seiner aufopferungsvollen Gemeindearbeit - wie viel hatte er auch an sozialen Leistungen innerhalb der Gemeinde organisiert - von seinem prominentesten Gemeindemitglied an den Pranger gestellt als verblendeter Hetzprediger.
David Remnick schildert das in "Barack Obama. Leben und Aufstieg" sehr eindrücklich, er schildert auch, wie fair sich Obamas Konkurrenten im Wahlkampf, zunächst Hillary Clinton, dann John McCain, ihm gegenüber verhielten (ihre Wahlkampfteams freilich deutlich weniger, dennoch waren es noch recht faire Wahlkämpfe). Er weist auch darauf hin, wie viel Glück Obama in seinem Politikerleben - besonders bei seinem Wahlkampf für den Sitz im Bundessenat - hatte.
Dennoch wurde mir deutlicher als zuvor, was für eine gewaltige Kraftanstrengung sein Aufstieg forderte, wie viele Konflikte er in seiner Familie und mit seinen Freunden auszutragen hatte und wie sehr er während seiner gesamten Politikerkarriere der vermittelnde, scheinbar emotionslos empathisch in jeden seiner Gesprächspartner eindringende ganz auf Konsensbildung und politische Einigung konzentrierte Politiker war. Nicht der "Jetzt geht's los! Yes we can!"-Mann, als der er in seiner Kampagne von außen wirkte.
Er fühlt sich intellektuell haushoch überlegen und gibt den Jovialen, fast Kumpelhaften.
Er hasste es, zu betteln und zu drängen, und wird zum erfolgreichsten Spendensamler, der überall Kontakte zu Reichen und Superreichen sucht.
Wenn er heute von Kindergeburtstagen herausgerufen wird, um schnell einen Tötungsbefehl für Killerdrohnen auszugeben, dann hat er das durch langes Training vorbereitet.
Man kann sich denken, was Schillers Marquis Posa über ihn gesagt hätte. (Zu Philipp II. sagt Posa "Dass Sie können,/ Was Sie zu müssen eingesehen, hat mich/ Mit schaudernder Bewunderung durchdrungen." Don Carlos III,10*)
Und bei all dieser Bereitschaft, Überzeugungen und Rücksichten um des Kompromisses willen hintanzustellen steht er jetzt einer kompromisslosen Teaparty-Bewegung und der Kritik gegenüber, dass er die Reichen nicht rücksichtslos genug bevorzuge, denn nur das könne aus der Wirtschaftskrise befreien.
Man darf auf seinen nächsten Wahlkampf gespannt sein.
Kaum habe ich das geschrieben, erreicht mich die Nachricht, Obama gestehe als seinen Fehler ein, dass er seine Politik nicht gut genug erklärt habe, das wolle er jetzt nachholen. (Link zum Interview) Das klingt, als hätte er Gaucks Rat an Merkel gehört und im Unterschied zu ihr beherzigt. Sein Herausforderer wird es eher als "Von jetzt ab wird die Regierungsmaschinerie für den Wahlkampf eingesetzt" verstehen. Aber das hat er nicht kritisiert.
Reportage vom beginnenden Wahlkampf Obamas mit Video.
Beachtenswert sind wohl auch Berichte über die Wahlkampforganisationen, von denen die "Unabhängigen" vornehmlich Negativwerbung machen. Auf 10 Milliarden Dollar schätzt man die Wahlkampfausgaben, die 2012 anfallen werden.
*Anmerkung: nach anderen Ausgaben: "schauernder Bewunderung"
Nachtrag am 10.11.12 nach Obamas Wiederwahl (Zitat aus meinem Beitrag in einem andern Blog):
Wenn Obama nur direkt auf seine Ziele losgesteuert wäre und sich dabei auf einen engen Beraterkreis von Leuten seines Meinungspektrums verlassen hätte, wäre er gewiss gescheitert. So ist es ihm immerhin gelungen, als erster schwarzer Präsident der USA seine Wiederwahl zu erreichen und einen - kleinen - Teil seiner Ziele.
Bush war erfolgreicher im Zerstören, Obama erfolgreicher darin, trotz schwindender harter Macht ("Macht zu") der USA, andere Personen dazu zu bringen, das zu tun, was in seinem Sinne ist. Nicht Bush hat die Demokratisierungsversuche des arabischen Frühlings ausgelöst. [...]
Die Tragik eines wohlmeinenden Präsdenten der USA liegt darin, dass er für - nahezu - unendlich viel Verantwortung übernehmen muss, was er nicht will, wenn er auch nur einen kleinen Teil dessen erreichen will, was seine eigentlichen Ziele sind. [...]
Ich glaube, dass Obama in seiner ersten Amtszeit schwere Schuld auf sich geladen hat, aber dass kein anderer Mensch, von dem wir wissen, von den USA und von unserer Welt so viel Unheil abgehalten hat, wie es ihm schon in seiner ersten Amtszeit gelungen und für die zweite Amtszeit zu hoffen ist. (Dazu vgl. FR vom 9.11.12 und 8.11.12)
(-> zum vollständigen Beitrag)
14 Juli 2012
10 Juli 2012
Was E-Bücher den Verlagen verraten können
Darüber berichtet der Guardian und vergleicht das mit Orwells Großem Bruder in "1984".
Von mir berichten sie, dass ich sehr langsam lese und sehr viele Bücher nebeneinander und nicht, was ich in Büchern lese (und nicht in E-Büchern, von denen ich bisher nur kostenlose lese).
Sachbücher lese ich selten, wenn die Autoren schon über 70 Jahre tot sind, freilich Philosophen ...
Doch natürlich geht es nicht um mich, sondern um Milliarden. Und dann kann es einem schon etwas anders werden.
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06 Juli 2012
Genügsamkeit der Phantasie
Jean Paul hat in seinem Leben erfahren, wie gering der Realitätsanteil zu sein braucht, damit ein empfinsames Gemüt daran tiefe seelische Empfindungen knüpfen kann (vgl. seine erste Liebe).
Diesen Gedanken spinnt er am Beispiel des genügsamen Schulmeisterlein Wutz aus, dass sich die Bücher, die es nicht kaufen kann, selber schreibt, und das an scheinbar belanglosen Alltagsdingen aufgrund seiner Empfindungsfähigkeit und Phantasie mit intensivem Gefühl hängt.
Diesen Gedanken spinnt er am Beispiel des genügsamen Schulmeisterlein Wutz aus, dass sich die Bücher, die es nicht kaufen kann, selber schreibt, und das an scheinbar belanglosen Alltagsdingen aufgrund seiner Empfindungsfähigkeit und Phantasie mit intensivem Gefühl hängt.
O wenn größere Seelen als du aus der ganzen Orangerie der Natur so viel süße Säfte und Düfte sögen als du aus dem zackigen grünen Blatte, an das dich das Schicksal gehangen: so würden nicht Blätter, sondern Gärten genossen, und die bessern und doch glücklichern Seelen verwunderten sich nicht mehr, daß es vergnügte Meisterlein geben kann. Wutz sagte und bog den Kopf gegen das Bücherbrett hin: »Wenn ich mich an meinen ernsthaften Werken matt gelesen und korrigiert: so schau' ich stundenlang diese Schnurrpfeifereien an, und das wird hoffentlich einem Bücherschreiber keine Schande sein.« [...]
Ich wüßt' aber nicht, womit der Welt in dieser Minute mehr gedient ist, als wenn ich ihr den räsonierenden Katalog dieser Kunststücke und Schnurrpfeifereien zuwende, den mir der Patient zuwandte. Den zinnenen Ring hatt' ihm die vierjährige Mamsell des vorigen Pastors, da sie miteinander von einem Spielkameraden ehrlich und ordentlich kopuliert wurden, als Ehepfand angesteckt – das elende Zinn lötete ihn fester an sie als edlere Metalle edlere Leute, und ihre Ehe brachten sie auf vierundfunfzig Minuten. Oft wenn er nachher als geschwärzter Alumnus sie mit nickenden Federn-Standarten am dünnen Arme eines gesprenkelten Elegant spazieren gehen sah, dachte er an den Ring und an die alte Zeit. Überhaupt hab' ich bisher mir unnütze Mühe gegeben, es zu verstecken, daß er in alles sich verliebte, was wie eine Frau aussah; alle Fröhliche seiner Art tun dasselbe; und vielleicht können sie es, weil ihre Liebe sich zwischen den beiden Extremen von Liebe aufhält und beiden abborgt, so wie der Busen Band und Kreole der platonischen und der epikurischen Reize ist. (Jean Paul: Schulmeisterlein Wutz)
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01 Juli 2012
Erste Liebe
Der schönste Sommervogel indes, ein zarter blauer Schmetterling, welcher den Helden in der schönen Jahrzeit umflatterte, war seine erste Liebe. Es war ein blauaugiges Bauermädchen seines Alters, von schlanker Gestalt, eirundem Gesicht mit einigen Blatternarben, aber mit den tausend Zügen, welche eben wie Zauberkreise das Herz gefangennehmen. Augusta oder Augustina wohnte bei ihrem Bruder Römer, ein feiner Jüngling, als guter Sänger im Chore und als Rechner bekannt. Zu einer Liebeerklärung kam es zwar bei Paul nicht- sie müßte denn meine Vorlesung gedruckt in die Hand bekommen – aber von weitem spielte er doch seinen Roman lebhaft so, daß er in der Kirche von seinem Pfarrstuhle aus sie in ihrem Weiberstuhle ziemlich nahe genug ansah und nicht satt bekam. Und doch war dies nur Anfang – denn wenn sie abends ihre Weidekühe nach Hause trieb, die er am unvergeßlichen Glockengeläute erkannte, so kletterte er auf die Hofmauer, um sie zu sehen und heranzuwinken, und dann wieder herab an den Torweg um durch eine Spalte die Hand hinauszubringen – mehr vom Körper durfte nicht von den Kindern aus dem Hofe – und ihr etwas Eßbares, Zuckermandeln oder sonst etwas Köstliches, das er aus der Stadt gebracht, in die Hand zu geben. Leider trieb ers in manchen Sommern nicht dreimal soweit, sondern er mußte meistens alles Gute, besonders den Gram dazu, in sich fressen. Waren jedoch seine Mandeln einmal nicht auf einen steinigen Acker gefallen, sondern in das Eden seines Auges: so erwuchs freilich aus ihnen ein ganzer blühender, im Kopfe hängender Garten voll Duft und er ging darin wochenlang spazieren. Denn die reine Liebe will nur geben und nur durch Beglücken glücklich werden; und gäb' es eine Ewigkeit fortsteigernder Beglückung, wer wäre seliger als die Liebe? [...]
Die reine Liebe hat so unendliche Kräfte zu erschaffen und zu erheben – so wie die gemeine zu zertrümmern und hinabzudrücken – daß sie uns im Darstellen noch stärker ergreifen würde, wäre sie nicht so oft geschildert worden; aber eben darum konnte nur sie die vielen tausend Bände vertragen, welche sie malen. Man nehme einem Menschen, der in der Zeit der Liebe die Landschaften – die Sterne – die Blüten und Berge – die Töne – die Lieder – die Gemälde und Gedichte – ja die Menschen und das Sterben mit dichterischem Genießen anschauet; man nehme diesem die Liebe: so hat er die zehnte Muse oder vielmehr die Musenmutter verloren; und jeder fühlt in spätern Jahren, wo dieser heilige Rausch sich selber verbietet, daß zu allen Musen ihm noch die zehnte fehle.
(Jean Paul: Selberlebensbeschreibung, S.728-730)
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22 Juni 2012
Jean Paul: Selberlebensbeschreibung (1)
An Jean Pauls Autobiographie ist schon der Titel ganz neu und originell, nämlich eine Wortschöpfung Jean Pauls: Selberlebensbeschreibung.
Er schreibt darin auch über sein Leben, doch erst einmal sehr lange über seine Eltern und immer wieder allgemeine Aphorismen wie die folgenden:
Reichtum lastet mehr das Talent als Armut und unter Goldbergen und Thronen liegt vielleicht mancher geistige Riese erdrückt begraben. [...]
Und so weiß er auch zu rechtfertigen, dass das Schicksal ihm lange die Möglichkeit zu dichterischer Arbeit vorenthielt:
Das Schicksal macht es mit Dichtern wie wir mit Vögeln und verhängt dem Sänger so lange den Bauer finster, bis er endlich die vorgespielten Töne behalten, die er singen soll. [...]
Als hätte er Gustav Freytags Romanzyklus Die Ahnen vorausgesehen, der lauter Angehörige ein und derselber Familie die Zeit von der Völkerwanderung bis in die Befreiungskriege erleben lässt, schreibt er:
"Wie anders gestaltet sich die sonst uns fremdartige Vorzeit, wenn unsere Verwandten durch sie ziehen und sie mit unserer Gegenwart verbrüdern und verketten! Und zu beneiden ist der Mann, welchen die Geschichte von Voreltern zu Voreltern namentlich zurückbegleitet und ihm eine graue Zeit in eine grüne umfärbt. [...]"
Als hätte er den Hype um die Massive Online Open Cources vorhergesehen, formuliert er schon 1818:
"Ja dieses geistige Selberstillen der Kinder läßt eine solche Ausdehnung zu, daß ich mir getraue, durch die bloße Briefpost ganzen Schulen in Nordamerika vorzustehen oder in der alten Welt funfzig Tagreisen entfernten, indem ich meiner Schuljugend bloß schriebe, was sie täglich auswendig zu lernen hätte, und einen unbedeutenden Menschen hielte, dem sie es hersagte, und ich genösse das Bewußtsein ihrer schönen geistigen Fastensonntage reminiscere. [...]"
Oder steckt darin doch vor allem eine ganz energische Kritik an der bloßen Paukerei, die ihm sein Vater zumutete?
Hier ein eindrucksvolles Plädoyer gegen die Redensart "Nichts ist so uninteressant wie die Zeitung von gestern.":
"Eine politische Zeitung gewährt, nicht blatt- sondern heft- und bandweise gelesen, wahrhafte Berichte, weil sie erst im Spielraume eines ganzen Heftes Blätter genug zum Widerruf ihrer andern Blätter gewinnt, und sie kann gleich dem Winde ihre wahre Farbe nicht in einzelnen Stößen und Stücken zeigen, sondern nur in ihrem großen Umfang, wie eben gedachte Luft erst in Masse ihre himmelblaue Farbe. [...]
An einem Vormittag stand ich als ein sehr junges Kind unter der Haustüre und sah links nach der Holzlege, als auf einmal das innere Gesicht »ich bin ein Ich« wie ein Blitzstrahl vom Himmel vor mich fuhr und seitdem leuchtend stehen blieb: da hatte mein Ich zum ersten Male sich selber gesehen und auf ewig."
(Jean Paul: Selberlebensbeschreibung)
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20 Juni 2012
Karl May über den tieferen Sinn hinter seinen Reiseerzählungen
Meine »Reiseerzählungen« haben, wie bereits erwähnt, bei den Arabern von der Wüste bis zum Dschebel Marah Durimeh und bei den Indianern von dem Urwald und der Prairie bis zum Mount Winnetou aufzusteigen. Auf diesem Wege soll der Leser vom niedrigen Anima-Menschen bis zur Erkenntnis des Edelmenschentums gelangen. Zugleich soll er erfahren, wie die Anima sich auf diesem Wege in Seele und Geist verwandelt. Darum beginnen diese Erzählungen mit dem ersten Bande in der »Wüste«. In der Wüste d.i. in dem Nichts, in der völligen Unwissenheit über Alles, was die Anima, die Seele und den Geist betrifft. Indem mein Kara Ben Nemsi, das »Ich«, die Menschheitsfrage, in diese Wüste tritt und die Augen öffnet, ist das Erste, was sich sehen läßt, ein sonderbarer, kleiner Kerl, der ihm auf einem großen Pferde entgegengeritten kommt, sich einen langen berühmten Namen beilegt und gar noch behauptet, daß er Hadschi sei, obgleich er schließlich zugeben muß, daß er noch niemals in einer der heiligen Städte des Islam war, wo man sich den Ehrentitel eines Hadschi erwirbt. […]
Dieser Hadschi, der sich Hadschi Halef Omar nennt und auch seinen Vater und Großvater noch als Hadschis hinten anfügt, bedeutet die menschliche Anima, die sich für die Seele oder gar für den Geist ausgibt, ohne selbst zu wissen, was man unter Seele oder Geist zu verstehen hat. Dies geschieht bei uns nicht nur im gewöhnlichen, sondern auch im gelehrten Leben alltäglich, aber man ist derart blind für diesen Fehler, daß ich eben arabische Personen und arabische Zustände herbeiziehen muß, um diese blinden Augen sehend zu machen. [...]
Und dieser Hadschi ist meine eigene Anima, jawohl, die Anima von Karl May! Indem ich alle Fehler des Hadschi beschreibe, schildere ich meine eigenen und lege also eine Beichte ab, wie sie so umfassend und so aufrichtig wohl noch von keinem Schriftsteller abgelegt worden ist. Ich darf also wohl behaupten, daß ich gewisse Vorwürfe, die mir von meinen Gegnern gemacht werden, keineswegs verdiene.
(Karl May: Mein Leben und Streben, zeno.org, S.209-211)
Diesen tieferen Sinn unterstellt Karl May seinen früheren Werken, um sich gegen Angriffe zu wehren, die erfolgten, als bekannt wurde, dass er [wie Jean Pauls Schulmeisterlein Wutz] noch nie in den von ihm beschriebenen Ländern war und dass er vor Beginn seiner Karriere als Schriftsteller allerlei Hochstapelei begangen hatte.
In seinem Spätwerk hat er dann wirklich Schriften mit symbolischen Hintergrund geschrieben.
18 Juni 2012
"Halbblut" oder "Der schwarze Mustang"
Wenn es unter den positiven Romangestalten Karl Mays eine gibt, die den liebenswert aufschneiderischen Hadschi Halef Omar an Selbstüberschätzung noch übertrifft, so ist es Hobble-Frank.
Seine Selbstüberschätzung bezieht sich freilich nicht auf seine Fähigkeiten als Westmann, ist er es doch, der seinem dafür höchst unzulänglich ausgerüsteten Körper die erstaunlichsten Glanzleistungen abringt. (So schlägt er, der Kleine, in einem Kampf auf Leben und Tod den besten Läufer des Indianerstamms, in dessen Gefangenschaft er geraten ist, ausgerechnet im Wettlauf.) Zusammen mit seinem Vetter, dem berühmten Westmann Tante Droll gelingt es ihm als wohl einzigen in allen Karl-May-Erzählungen das unübertreffliche Trio Old Shatterhand, Winnetou und Old Firehand, als alle drei gemeinsam in indianische Gefangenschaft geraten sind, zu retten.
Nein, seine Selbstüberschätzung bezieht sich allein auf Bildungsfragen. Was er alles an abstrusen Verwechslungen produziert, hat ihm die Liebe der jugendlichen Karl-May-Leser eingetragen, zumal er sich dabei noch als unübertrefflicher Polyhistor aufspielt.
Zwar ist er immer für geistreichen Blödsinn gut, doch die hübschsten - freilich auch die groteskesten Kapriolen schlägt er meiner Meinung nach doch im "Schwarzen Mustang", der aufgrund von Rechtsstreitigkeiten freilich schon bald in "Halbblut" umbenannt werden musste.
Hier zwei Beispiele:
"So een Gimpel, dem noch die grünen Walnußschalen der neuesten Jahrzehnte hinter den Ohren hängen, will wissen, wie die alten Römer gesprochen haben! Portas! Das is ja gar keen römisch-irisches Wort, sondern jeder nur ganz sachte angebildete Mensch weeß, daß es anschtatt Portas Portière heeßen muß, und welchem alten Römer könnte es wohl eingefallen sein, zu rufen, daß Hannibal an der Portiere hänge! So eenen Unsinn hat sich niemals keen Römer nich zu Schulden kommen lassen. Als Peter der Große seinen Admiral Hannibal gegen die Römer ausgerüstet hatte, dampfte dieser schleunigst um das Kap der guten Hoffnung herum, überschtieg mitten im Winter das Kjölengebirge, wobei seine Kamele die Kanonen schleppen mußten, schlug zunächst bei Ligny die Scharen der Thessalonicher und Kolosser und hatte dann das ganze römische Reich zu seinen Füßen liegen. Zwar schickte ihm der Kaiser Herodot den Reitergeneral Holofernes entgegen, doch wurde dieser nicht weit vom Schipkapaß so in die Pfanne gehauen, daß er vor Todesangst die sizilianische Vesper singen ließ und in der nächsten Bartholomäusnacht an seinen Wunden schtarb. Nu gab es für die Römer nur een eenziges Mittel, sich zu retten: sie mußten dafür sorgen, daß dem Hannibal für seine Truppen die Nahrungsmittel fehlten. Sie brannten also Moskau hinter sich ab, verwüsteten die pontinischen Sümpfe und blieben dann beim Berge Ararat halten, um die Folgen der Zerschtörung abzuwarten. Aber sie mußten nur zu bald erkennen, daß sie sich in Hannibal verrechnet hatten. Er war nämlich so pfiffig gewesen, ooch für diesen Fall zu sorgen und hatte eene solche Menge von Proviant mitgenommen, daß an eene Hungersnot gar nich zu denken war. In Anbetracht der winterlichen Kälte hatte er sogar seinem Generalquartiermeister Phidias den Befehl erteilt, transportable Häuser aus Wellenblech und amerikanische Öfen mitzunehmen; die wurden offgeschlagen und teils als Wohn-, teils Wirtshäuser und Restaurationen eingerichtet. Das Heer des Hannibal lebte da herrlich und in Freuden; die Römer aber, als sie das hörten, sahen ein, daß sie verloren waren, und riefen erschrocken aus: ›Hannibal hat Boardinghäuser!‹ Denn daß dieses ad das germanische hat sein soll, das sieht jeder Deutsche ein, wenn er nich gerade off den sorbenwendischen Namen Timpe getooft worden is."
"Er zog bei diesen Worten die Zöpfe der zwei chinesischen Gewehrdiebe aus der Tasche. »Hurra, die beeden Kang-Keng-King-Kongzöpfe! Die hatte ich beinahe ganz vergessen! Hurra, hurra, is das een großartiger schtylistischer Gedanke! Ich bin so erfreut und so entzückt, als ob heute mein diatonischer und kynologischer Geburtstag wäre! Dem Manne kann sofort geholfen werden, nämlich von dem Schopfe und zu den Zöpfen! Kommen Sie her, Herr Timpe Nummer eens und Timpe Nummer zwee! Ihr Name hat für mich zwar gar keenen schönen Karbol- und Klarinettenklang, aber bei so eener famosen Operation kann er mich doch nich schtören. Passen Sie off, Mesch'schurs und meine Herren, das große Werk kann beginnen. Der Vorhang geht in die Höhe, aber die Haare müssen runter! Ich schpiele den Barbier von Sevilla ohne Borschtenpinsel und Seefenschaum, und der Komantsche wird den ›geschundenen Raubritter geben. Beim erschten Offzug singe ich ihn an: ›Reich mir die Hand, mein Leben!‹ und hierauf trägt er die Gnadenarie aus ›Robert und Bertram‹ vor. Dann beginnt der Chor der Rachebrüder: ›Schab, Hobble, schab, der Schopf der muß herab!‹ Sodann fällt er ein: ›Leise, leise, lieber Frank, sonst wird meine Kopfhaut krank!‹ aus dem Freischütz, wenn ich mich nich irre oder wenn sich Weber nich geirrt hat. Am Schluß des erschten Aktes das Terzett: ›Mond, ich grüß dich tausendmal, der Komantsche is nu kahl!‹ Wenn kurze Zeit schpäter der Vorhang wieder in die Sofitten oder in die Lafetten gezogen wird, schtimme ich mit Harmoniumbegleitung an: ›Weint mit ihm des Schmerzes Thräne, fadendünne ist die Strähne!‹ worauf er ganz alleene mit dem Doppelquartett antwortet: ›Weil ich sonsten ohne Hut mich nich sehen lassen kann, lieber Hobble, sei so gut, bind mir die Chinesen dran!‹ Das thu' ich natürlich ooch, weil meine Rolle es so mit sich bringt, und wenn es geschehen is, fallen sämtliche Mitschpieler und Zuschauer mit dem ganzen Orschester in den Lobgesang ein: »Jubelt laut, ihr roten Brüder, denn die Zöpfe bammeln nieder! Euer Häuptling is entzückt, daß sein Schädel ward geschmückt; führt ihn im Triumph nach Haus, die Komödie is nu aus! worauf das Publikum offschteht und der Vorhang aber niedergeht. In dieser Weise denke ich mir das Festprogramm, und nu, meine Herrschaften und übrigen Gentlemen, mag das Schtück beginnen. Wer am besten schpielt, kriegt ooch keene Gage!«" Karl May: Der schwarze Mustang
Karl May hat in seiner Autobiographie geschrieben, nie habe er im Ernst behauptet, zu solchen Taten fähig zu sein wie Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi. Diese stünden nur für sein besseres Selbst und Kara Ben Nemsi zumal für die Menschheitsfrage im allgemeinsten Sinne. Sein menschlich fehlerhaftes Selbst, seine anima, habe er in der Gestalt Hadsch Halef Omar geschildert und diesen ja höchst kritisch dargestellt. Doch wenn er in einer Figur seine geistigen Hochstapeleien, seinen fingierten Doktortitel und seine angeblich so immense Sprachkenntnis ungezählter Indianerdialekte, der verschiedenen nahöstlichen und asiatischen Sprachen, nicht zuletzt des Chinesischen, auf die Schippe genommen hat, so in Hobble-Frank.
Freilich tat er es, als er noch glaubte, seine eigenen Angebereien seien für ihn harmlos. Was bei Hobble-Frank noch lustig ist, wurde für Karl May zum bitteren Ernst.
Hier zwei Beispiele:
"So een Gimpel, dem noch die grünen Walnußschalen der neuesten Jahrzehnte hinter den Ohren hängen, will wissen, wie die alten Römer gesprochen haben! Portas! Das is ja gar keen römisch-irisches Wort, sondern jeder nur ganz sachte angebildete Mensch weeß, daß es anschtatt Portas Portière heeßen muß, und welchem alten Römer könnte es wohl eingefallen sein, zu rufen, daß Hannibal an der Portiere hänge! So eenen Unsinn hat sich niemals keen Römer nich zu Schulden kommen lassen. Als Peter der Große seinen Admiral Hannibal gegen die Römer ausgerüstet hatte, dampfte dieser schleunigst um das Kap der guten Hoffnung herum, überschtieg mitten im Winter das Kjölengebirge, wobei seine Kamele die Kanonen schleppen mußten, schlug zunächst bei Ligny die Scharen der Thessalonicher und Kolosser und hatte dann das ganze römische Reich zu seinen Füßen liegen. Zwar schickte ihm der Kaiser Herodot den Reitergeneral Holofernes entgegen, doch wurde dieser nicht weit vom Schipkapaß so in die Pfanne gehauen, daß er vor Todesangst die sizilianische Vesper singen ließ und in der nächsten Bartholomäusnacht an seinen Wunden schtarb. Nu gab es für die Römer nur een eenziges Mittel, sich zu retten: sie mußten dafür sorgen, daß dem Hannibal für seine Truppen die Nahrungsmittel fehlten. Sie brannten also Moskau hinter sich ab, verwüsteten die pontinischen Sümpfe und blieben dann beim Berge Ararat halten, um die Folgen der Zerschtörung abzuwarten. Aber sie mußten nur zu bald erkennen, daß sie sich in Hannibal verrechnet hatten. Er war nämlich so pfiffig gewesen, ooch für diesen Fall zu sorgen und hatte eene solche Menge von Proviant mitgenommen, daß an eene Hungersnot gar nich zu denken war. In Anbetracht der winterlichen Kälte hatte er sogar seinem Generalquartiermeister Phidias den Befehl erteilt, transportable Häuser aus Wellenblech und amerikanische Öfen mitzunehmen; die wurden offgeschlagen und teils als Wohn-, teils Wirtshäuser und Restaurationen eingerichtet. Das Heer des Hannibal lebte da herrlich und in Freuden; die Römer aber, als sie das hörten, sahen ein, daß sie verloren waren, und riefen erschrocken aus: ›Hannibal hat Boardinghäuser!‹ Denn daß dieses ad das germanische hat sein soll, das sieht jeder Deutsche ein, wenn er nich gerade off den sorbenwendischen Namen Timpe getooft worden is."
"Er zog bei diesen Worten die Zöpfe der zwei chinesischen Gewehrdiebe aus der Tasche. »Hurra, die beeden Kang-Keng-King-Kongzöpfe! Die hatte ich beinahe ganz vergessen! Hurra, hurra, is das een großartiger schtylistischer Gedanke! Ich bin so erfreut und so entzückt, als ob heute mein diatonischer und kynologischer Geburtstag wäre! Dem Manne kann sofort geholfen werden, nämlich von dem Schopfe und zu den Zöpfen! Kommen Sie her, Herr Timpe Nummer eens und Timpe Nummer zwee! Ihr Name hat für mich zwar gar keenen schönen Karbol- und Klarinettenklang, aber bei so eener famosen Operation kann er mich doch nich schtören. Passen Sie off, Mesch'schurs und meine Herren, das große Werk kann beginnen. Der Vorhang geht in die Höhe, aber die Haare müssen runter! Ich schpiele den Barbier von Sevilla ohne Borschtenpinsel und Seefenschaum, und der Komantsche wird den ›geschundenen Raubritter geben. Beim erschten Offzug singe ich ihn an: ›Reich mir die Hand, mein Leben!‹ und hierauf trägt er die Gnadenarie aus ›Robert und Bertram‹ vor. Dann beginnt der Chor der Rachebrüder: ›Schab, Hobble, schab, der Schopf der muß herab!‹ Sodann fällt er ein: ›Leise, leise, lieber Frank, sonst wird meine Kopfhaut krank!‹ aus dem Freischütz, wenn ich mich nich irre oder wenn sich Weber nich geirrt hat. Am Schluß des erschten Aktes das Terzett: ›Mond, ich grüß dich tausendmal, der Komantsche is nu kahl!‹ Wenn kurze Zeit schpäter der Vorhang wieder in die Sofitten oder in die Lafetten gezogen wird, schtimme ich mit Harmoniumbegleitung an: ›Weint mit ihm des Schmerzes Thräne, fadendünne ist die Strähne!‹ worauf er ganz alleene mit dem Doppelquartett antwortet: ›Weil ich sonsten ohne Hut mich nich sehen lassen kann, lieber Hobble, sei so gut, bind mir die Chinesen dran!‹ Das thu' ich natürlich ooch, weil meine Rolle es so mit sich bringt, und wenn es geschehen is, fallen sämtliche Mitschpieler und Zuschauer mit dem ganzen Orschester in den Lobgesang ein: »Jubelt laut, ihr roten Brüder, denn die Zöpfe bammeln nieder! Euer Häuptling is entzückt, daß sein Schädel ward geschmückt; führt ihn im Triumph nach Haus, die Komödie is nu aus! worauf das Publikum offschteht und der Vorhang aber niedergeht. In dieser Weise denke ich mir das Festprogramm, und nu, meine Herrschaften und übrigen Gentlemen, mag das Schtück beginnen. Wer am besten schpielt, kriegt ooch keene Gage!«" Karl May: Der schwarze Mustang
Karl May hat in seiner Autobiographie geschrieben, nie habe er im Ernst behauptet, zu solchen Taten fähig zu sein wie Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi. Diese stünden nur für sein besseres Selbst und Kara Ben Nemsi zumal für die Menschheitsfrage im allgemeinsten Sinne. Sein menschlich fehlerhaftes Selbst, seine anima, habe er in der Gestalt Hadsch Halef Omar geschildert und diesen ja höchst kritisch dargestellt. Doch wenn er in einer Figur seine geistigen Hochstapeleien, seinen fingierten Doktortitel und seine angeblich so immense Sprachkenntnis ungezählter Indianerdialekte, der verschiedenen nahöstlichen und asiatischen Sprachen, nicht zuletzt des Chinesischen, auf die Schippe genommen hat, so in Hobble-Frank.
Freilich tat er es, als er noch glaubte, seine eigenen Angebereien seien für ihn harmlos. Was bei Hobble-Frank noch lustig ist, wurde für Karl May zum bitteren Ernst.
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