09 Juni 2025

Klaus von Dohnanyi: Nationale Interessen

 Klaus von Dohnanyi: Nationale InteressenOrientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche 2022, Neuausgabe 2025 (Perlentaucher)

Rezension im Deutschlandfunk

Dohnanyi betont im Sinne des politischen Realismus die Bedeutung Nationaler Interessen* und vertritt die Position, die Missachtung des nationalen Interesse Russlands habe 2022 zum Ukrainekrieg geführt. Er fordert, Deutschland müsse sich seinerseits, stärker am eigenen nationalen Interesse orientieren und Abstand von der von Joe Biden eingeleiteten US-Politik nehmen.

Dabei liegt er - in gewisser Hinsicht - auf einer Linie mit Donald Trump, der mit MAGA die US-Politik ganz auf das nationale Interesse der USA ausgerichtet hat, andererseits aber auch mit der Umorientierung auf  mehr wirtschaftliche Autarkie, die in der europäischen Politik seit 2022 stattgefunden hat. 

* "Der Begriff des Interesses, welches als Macht definiert wird, ist für den Realisten eine objektive Kategorie von universeller Validität. Diese Kategorie bleibt sowohl von zeitlichen, als auch von räumlichen Umständen unberührt. Jedoch muss der Begriff des Interesses immer unter den jeweils aktuellen politischen Umständen verstanden werden. In Betrachtung gezogen werden müssen hierfür die Ziele, welche von Staaten in ihrer Außenpolitik angestrebt werden und für deren Umsetzung sie Macht benötigen. Angestrebt werden kann eine militärische, bisweilen barbarische Eroberungspolitik oder auch eine aufgeklärte Ordnungspolitik." (Wikipedia)

Das über 50 Seiten umfassende Vorwort der Neuausgabe vom März 2025 aktualisiert die Argumentation und betont, dass seine Forderung durch die neueste Entwicklung bestätigt worden sei.   

Dazu aus der Leseprobe bei penguin.de

"[...] Denn wie schon Helmut Schmidt vor vielen Jahrzehnten in seinem Buch Strategie des Gleichgewichts. Deutsche Friedenspolitik und die Weltmächte (1969) warnend schrieb: 

»… vielmehr bleibt es notwendig, sich immer wieder aufs Neue in die Schuhe Moskaus zu versetzen, um seine Interessen in seiner Sicht zu begreifen.«

[...] Nationale Interessen werden innenpolitisch formuliert. Die Definition nationaler Interessen unterliegt deswegen stets auch dem Wechsel der Stimmungen demokratischer Wählerschaften.

In den drei Jahren seit Veröffentlichung dieses Buches fand bei Wahlen in zahlreichen demokratischen Staaten auch außerhalb Europas eine erhebliche Verschiebung in Richtung der sogenannten »rechten Mitte« statt; dabei gewannen rechtsradikale Parteien an Bedeutung. In Europa wurde das deutlich bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, aber auch bei nationalen Wahlen kam es in den meisten Mitgliedsstaaten zu Zugewinnen rechter Parteien. Das wirkte sich auf die Zusammensetzungen von Regierungen aus; [...]

Immer öfter wird suggeriert, dass Putin, dessen zahlenmäßig weit überlegene Armee sich schon als zu schwach erwies, die Ukraine einzunehmen, auch Nato-Staaten und Deutschland angreifen wollte und will. Und dass wir die USA in Europa deswegen aus Sicherheitsgründen brauchen. Der wahre Grund für Putins Aggression, nämlich die Aufnahme der Ukraine in die Nato, wird auf diese Weise unklug verschwiegen. [...]"  

Erfreulich finde ich daran, dass die Diskussion in einen breiteren Kontext gestellt wird und die  regelbasierte Ordnung nicht als weltweit gegebene Wirklichkeit ausgegeben wird. Problematisch sind Aussagen, wonach der Friedensvertrag von Versailles ein  verhängnisvoller Fehler gewesen sei, weil er einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung des 2. Weltkriegs und die folgende Entwicklung bedeutet habe. 

Schlicht unpassend ist aber die folgende Aussage:

"Aber wir werden Russland mit Sanktionen nicht ändern, Demokratie braucht zur Herstellung ihrer Fundamente Zeit und eine Entwicklung aus sich selbst heraus.

Die USA wollen das offenbar nicht verstehen. Ihre vielfachen Versuche, ihr Modell der Demokratie, anderen Völkern, notfalls auch mit Gewalt einzupflanzen, ist rundum gescheitert. Auch ihre Bemühungen, die Demokratie ihres eigenen Bildes durch wirtschaftliche Maßnahmen und Sanktionen auf andere Staaten zu übertragen, erzeugten oft das Gegenteil und stärkten am Ende die autoritären Kräfte; Iran ist heute leider ein überzeugendes Beispiel. Und wenn die USA den Fall Deutschland nach 1945 als positives Beispiel für ihre Politik der Verbreitung von Demokratie anführen, dann zeigt das doch wirklich nur große historische Unkenntnis: Deutschland wählte seinen Kaiser über Jahrhunderte, im Gegensatz zum Beispiel zu England, man lese nur seinen Shakespeare gründlich." (S.94)

Zwar stimmt natürlich, dass das gegenwärtige Russland nicht allein über Sanktionen zur Demokratie gemacht werden kann.
Aber Königs- und Kaiserwahl im Heiligen Römischen Reich des Mittelalters als Beleg für eine seit Jahrhunderten bestehende Demokratie anzuführen, als ob der der Preußenkönig Wilhelm durch Volkswahl zum deutschen Kaiser des 1871 gegründeten Deutschen Reiches bestimmt worden wäre, ist geradezu grotesk. Bei Dohnanyi kann das nicht auf Unkenntnis beruhen, die er der internationalen Geschichtswissenschaft unterstellt, sondern es ist eine bewusste Umdeutung, die als Geschichtsklitterung einen etwas anrüchigeren Namen führt. 
Dass es der deutschen Bevölkerung nicht gelungen ist, sich aus eigener Kraft von Hitler zu befreien, und dass die Reeducation zusammen mit der wirtschaftlichen Maßnahme Marshallplan als Demokratieförderung sehr erfolgreich gewirkt hat, ist nicht ernsthaft zu bestreiten, auch wenn Gauland es mit seinem Wort von Vogelschiss versucht hat. 

Wichtig ist der Hinweis, dass es eine schriftliche Notiz des US-Außenministers Baker gab, dass es keine Osterweiterung der NATO geben solle:
"Es ist heute unbestreitbar – wie auch Burns einst eindeutig bestätigte –, dass es U.S- Außenminister Baker, Anfang Februar 1990 in seinen Verhandlungen mit Gorbatschow über die deutsche Wiedervereinigung mündlich vereinbarte, es werde über die damaligen Ostgrenze der DDR hinaus keinerlei Erweiterung der NATO geben. Baker hielt nämlich diese Zusage im Gespräch mit Gorbatschow seinerseits als ein mündlich gegebenes Versprechen in einer Notiz fest: "End Result: Unified Ger. anchored* in a changed (polit.) NATO --* whose jurisd. would not move* eastwards!" ( Mary Elise Sarotte, 1989. The Struggle to create Post-Cold War Europe - updatet dition, Princeton 2014, S.221) (Nationale Interessen, S.119) 
[Sieh auch: M.E. Sarotte: Not an inch, 2021 "unklare Zusagen und diplomatische Fehleinschätzungen führten laut Sarotte zu einem dauerhaften Misstrauen zwischen Ost und West" (Wikipedia)]

Dazu:  https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/gab-es-zusagen-an-moskau-die-nato-nicht-nach-osten-zu-erweitern-100.html Zitat daraus: "1997 unterzeichneten beide Seiten die NATO-Russland-Grundakte. Darin erkennt Russland erkennt an, dass es kein Vetorecht gegen die NATO-Mitgliedschaft anderer Länder hat." [also im Gespräch mit Jelzin]



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