Klaus von Dohnanyi: Nationale Interessen. Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche 2022, Neuausgabe 2025 (Perlentaucher)
Dohnanyi betont im Sinne des politischen Realismus die Bedeutung Nationaler Interessen* und vertritt die Position, die Missachtung des nationalen Interesse Russlands habe 2022 zum Ukrainekrieg geführt. Er fordert, Deutschland müsse sich seinerseits, stärker am eigenen nationalen Interesse orientieren und Abstand von der von Joe Biden eingeleiteten US-Politik nehmen.
Dabei liegt er - in gewisser Hinsicht - auf einer Linie mit Donald Trump, der mit MAGA die US-Politik ganz auf das nationale Interesse der USA ausgerichtet hat, andererseits aber auch mit der Umorientierung auf mehr wirtschaftliche Autarkie, die in der europäischen Politik seit 2022 stattgefunden hat.
* "Der Begriff des Interesses, welches als Macht definiert wird, ist für den Realisten eine objektive Kategorie von universeller Validität. Diese Kategorie bleibt sowohl von zeitlichen, als auch von räumlichen Umständen unberührt. Jedoch muss der Begriff des Interesses immer unter den jeweils aktuellen politischen Umständen verstanden werden. In Betrachtung gezogen werden müssen hierfür die Ziele, welche von Staaten in ihrer Außenpolitik angestrebt werden und für deren Umsetzung sie Macht benötigen. Angestrebt werden kann eine militärische, bisweilen barbarische Eroberungspolitik oder auch eine aufgeklärte Ordnungspolitik." (Wikipedia)
Das über 50 Seiten umfassende Vorwort der Neuausgabe vom März 2025 aktualisiert die Argumentation und betont, dass seine Forderung durch die neueste Entwicklung bestätigt worden sei.
Dazu aus der Leseprobe bei penguin.de:
"[...] Denn wie schon Helmut Schmidt vor vielen Jahrzehnten in seinem Buch Strategie des Gleichgewichts. Deutsche Friedenspolitik und die Weltmächte (1969) warnend schrieb:
»… vielmehr bleibt es notwendig, sich immer wieder aufs Neue in die Schuhe Moskaus zu versetzen, um seine Interessen in seiner Sicht zu begreifen.«
[...] Nationale Interessen werden innenpolitisch formuliert. Die Definition nationaler Interessen unterliegt deswegen stets auch dem Wechsel der Stimmungen demokratischer Wählerschaften.
In den drei Jahren seit Veröffentlichung dieses Buches fand bei Wahlen in zahlreichen demokratischen Staaten auch außerhalb Europas eine erhebliche Verschiebung in Richtung der sogenannten »rechten Mitte« statt; dabei gewannen rechtsradikale Parteien an Bedeutung. In Europa wurde das deutlich bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, aber auch bei nationalen Wahlen kam es in den meisten Mitgliedsstaaten zu Zugewinnen rechter Parteien. Das wirkte sich auf die Zusammensetzungen von Regierungen aus; [...]
Immer öfter wird suggeriert, dass Putin, dessen zahlenmäßig weit überlegene Armee sich schon als zu schwach erwies, die Ukraine einzunehmen, auch Nato-Staaten und Deutschland angreifen wollte und will. Und dass wir die USA in Europa deswegen aus Sicherheitsgründen brauchen. Der wahre Grund für Putins Aggression, nämlich die Aufnahme der Ukraine in die Nato, wird auf diese Weise unklug verschwiegen. [...]"
Erfreulich finde ich daran, dass die Diskussion in einen breiteren Kontext gestellt wird und die regelbasierte Ordnung nicht als weltweit gegebene Wirklichkeit ausgegeben wird. Problematisch sind Aussagen, wonach der Friedensvertrag von Versailles ein verhängnisvoller Fehler gewesen sei, weil er einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung des 2. Weltkriegs und die folgende Entwicklung bedeutet habe.
Schlicht unpassend ist aber die folgende Aussage:
"Aber wir werden Russland mit Sanktionen nicht ändern, Demokratie braucht zur Herstellung ihrer Fundamente Zeit und eine Entwicklung aus sich selbst heraus.
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