"Dieser große und alle Wahrhaftigkeit und Schönheit des Spiels aufhebende Fehler besteht darin, daß die Mimen den Zustand der Personage, die sie darstellen, nicht aufgefaßt haben, sich nicht angeeignet haben, sich ihn nicht anzueignen vermögen. Sie wissen nicht, sie fühlen's nicht, wie die Großen unter ihnen, daß Worte Phrasen, nur Behelfe sind, um Gemütszustände von sich zu geben, nichts als ein Bild dieser Zustände; und Bilder selbst, nur charakteristischere, Zeichen des Bestrebens nach Ausdruck. Pomphaft und überverständig trennen sie dem Dichter jetzt ein Wort vom andern, führen dies, so zu sagen, einzeln seinem gröbsten Verständnisse nach auf und wollen dem Autor nachhelfen. Dann und wann denken sie sich aus, wie man etwas machen müsse. Und das ganze Studium dieser Kunst besteht nur darin, aufs pünktlichste zu wissen, was man nicht machen darf. Durchdrungen muß der Schauspieler vom ganzen Stück sein, jede Rolle, jede Zusammenstellung wissen und kennen, muß vom Himmel die Gabe haben, Zustände zu fassen und auszudrücken, das Letztere ist eine rohere, äußerere und allgemeinere; wenn er dann nicht tut, was er nicht darf – und diese prohibierenden Gesetze aus allen Gegenden des rechenschaftgebenden Geistes zusammen hat – und sich freies Spiel läßt, so werden wir Gutes haben. Unsere jetzigen Acteurs aber wissen von keinem Stück, keinem Dichter, keiner Stimmung, keinem menschlichen Zustand und ennuieren mich bis zur Nervenkrispation."
Rahel Levin an Alexander von Marwitz (Briefwechsel herausgegeben von Karl August Varnhagen von Ense)
Ein Sohn seiner Zeit
vor 22 Stunden
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