»Gute
Schwester!
Leb auf immer wohl! Laß mich das zuerst sagen, weil ich
nicht weiß, welche Minute mir den Mund verschließt. Die Gewitter
meines Lebens ziehen heim. Es wird schon kühl um meine Seele. Ich
sage diesen Abschied und meinen herzlichsten Wunsch für dein
Wohlergehen meiner Freundin Klotilde in die Feder. Gib den Einschluß
meinen lieben Eltern und füge deine Bitte an meine, mich in meinem
schönen Maienthal zu lassen, wenn ich vorüber bin. Ich sehe jetzt
durch das Fenster die Rosenstaude, die neben dem Gärtchen des
Küsters auf dem Kirchhofe stehet – dort wird mir eine Stelle
gegeben, die wie eine Narbe bezeuget, daß ich dagewesen, und ein
schwarzes Kreuz mit den sechs weißen Buchstaben Giulia – mehr
nicht. Liebe Schwester, laß es ja nicht zu, daß sie meinen Staub in
ein Erbbegräbnis sperren – O nein, er soll aus Maienthals Rosen
flattern, die ich bisher so gern begossen – dieses Herz, wenn es
sich zerlegt hat in den Blütenstaub eines neuen ewigen Herzens,
spiele und schwebe im Strahle des Mondes, der mir es in meinem Leben
so oft schwer und weich gemacht. Fährest du einmal, liebe Schwester,
bei Maienthal vorüber: so blickt bis zur Straße das Kreuz durch die
Rosen hindurch, und wenn es dich nicht zu traurig macht, so schaue
hinüber zu mir. Mir war jetzt einige Minuten, als holte ich in Äther
Atem – in kleinen dünnen Zügen – Es wird bald aus sein. Sag
aber meinen Gespielinnen, wenn sie nach mir fragen, ich bin gern
gegangen, ob ich wohl jung war. Recht gern. Unser Lehrer sagt, die
Sterbenden sind fliegendes Gewölk, die Lebenden sind stehendes,
unter welchem jenes hinzieht, aber abends ist ja beides dahin. Ach
ich dachte, ich würde mich noch recht lange, von einem Trauerjahr
zum andern, nach dem Sterben sehnen müssen, ach ich besorgte, diese
erblaßten Wangen, diese hineingeweinten Augen würden den Tod nicht
erbitten, er würde mich veralten lassen und mir das verblühte Herz
erst abnehmen, wenn es sich müde geschlagen – aber siehe, er kömmt
eher – In wenig Tagen, vielleicht in wenig Stunden wird ein Engel
vor mich treten und lächeln, und ich werd' es sehen, daß es der Tod
ist, und auch lächeln und recht freudig sagen: Nimm immer mein
schlagendes Herz in deine Hand, du Abgesandter der Ewigkeit, und
sorge für meine Seele. ›Bist du aber nicht jung,‹ (wird der
Engel sagen) ›hast du nicht erst diese Erde betreten? Soll ich dich
schon zurückführen, eh' sie ihren Frühling hat?‹ Aber ich werde
antworten: Schau diese untergegangnen Wangen an und diese ermüdeten
Augen und drücke sie nur zu – o lege den
Leichenstein[Fußnote: Der Schlangenstein saugt sich so lange an die
Wunde an, bis er ihren Gift weggezogen. ] an meine Brust, damit er
alle Wunden aussauge und nicht eher abfalle, als bis sie ausgeheilet
sind – Ach ich habe wohl nichts Gutes in der Welt getan, aber auch
nichts Böses. Dann sagt der Engel: ›Wenn ich dich berühre, so
erstarrest du – der Frühling und die Menschen und die ganze Erde
verschwinden, und ich allein stehe neben dir – Ist denn deine junge
Seele schon so müde und so wund? Welche Leiden sind denn schon in
deiner Brust?‹ Berühre mich nur, guter Engel! Jetzt sagt er: ›Wenn
ich dich berühre, so zerstäubst du, und alle deine Geliebten sehen
nichts mehr von dir –‹ O berühre mich!...« * Der Tod
berührte das blutige Herz, und ein Mensch war vorüber...
(Jean Paul: Hesperus)
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