08 September 2013

Brief

»Gute Schwester! 

Leb auf immer wohl! Laß mich das zuerst sagen, weil ich nicht weiß, welche Minute mir den Mund verschließt. Die Gewitter meines Lebens ziehen heim. Es wird schon kühl um meine Seele. Ich sage diesen Abschied und meinen herzlichsten Wunsch für dein Wohlergehen meiner Freundin Klotilde in die Feder. Gib den Einschluß meinen lieben Eltern und füge deine Bitte an meine, mich in meinem schönen Maienthal zu lassen, wenn ich vorüber bin. Ich sehe jetzt durch das Fenster die Rosenstaude, die neben dem Gärtchen des Küsters auf dem Kirchhofe stehet – dort wird mir eine Stelle gegeben, die wie eine Narbe bezeuget, daß ich dagewesen, und ein schwarzes Kreuz mit den sechs weißen Buchstaben Giulia – mehr nicht. Liebe Schwester, laß es ja nicht zu, daß sie meinen Staub in ein Erbbegräbnis sperren – O nein, er soll aus Maienthals Rosen flattern, die ich bisher so gern begossen – dieses Herz, wenn es sich zerlegt hat in den Blütenstaub eines neuen ewigen Herzens, spiele und schwebe im Strahle des Mondes, der mir es in meinem Leben so oft schwer und weich gemacht. Fährest du einmal, liebe Schwester, bei Maienthal vorüber: so blickt bis zur Straße das Kreuz durch die Rosen hindurch, und wenn es dich nicht zu traurig macht, so schaue hinüber zu mir. Mir war jetzt einige Minuten, als holte ich in Äther Atem – in kleinen dünnen Zügen – Es wird bald aus sein. Sag aber meinen Gespielinnen, wenn sie nach mir fragen, ich bin gern gegangen, ob ich wohl jung war. Recht gern. Unser Lehrer sagt, die Sterbenden sind fliegendes Gewölk, die Lebenden sind stehendes, unter welchem jenes hinzieht, aber abends ist ja beides dahin. Ach ich dachte, ich würde mich noch recht lange, von einem Trauerjahr zum andern, nach dem Sterben sehnen müssen, ach ich besorgte, diese erblaßten Wangen, diese hineingeweinten Augen würden den Tod nicht erbitten, er würde mich veralten lassen und mir das verblühte Herz erst abnehmen, wenn es sich müde geschlagen – aber siehe, er kömmt eher – In wenig Tagen, vielleicht in wenig Stunden wird ein Engel vor mich treten und lächeln, und ich werd' es sehen, daß es der Tod ist, und auch lächeln und recht freudig sagen: Nimm immer mein schlagendes Herz in deine Hand, du Abgesandter der Ewigkeit, und sorge für meine Seele. ›Bist du aber nicht jung,‹ (wird der Engel sagen) ›hast du nicht erst diese Erde betreten? Soll ich dich schon zurückführen, eh' sie ihren Frühling hat?‹ Aber ich werde antworten: Schau diese untergegangnen Wangen an und diese ermüdeten Augen und drücke sie nur zu – o lege den Leichenstein[Fußnote: Der Schlangenstein saugt sich so lange an die Wunde an, bis er ihren Gift weggezogen. ] an meine Brust, damit er alle Wunden aussauge und nicht eher abfalle, als bis sie ausgeheilet sind – Ach ich habe wohl nichts Gutes in der Welt getan, aber auch nichts Böses. Dann sagt der Engel: ›Wenn ich dich berühre, so erstarrest du – der Frühling und die Menschen und die ganze Erde verschwinden, und ich allein stehe neben dir – Ist denn deine junge Seele schon so müde und so wund? Welche Leiden sind denn schon in deiner Brust?‹ Berühre mich nur, guter Engel! Jetzt sagt er: ›Wenn ich dich berühre, so zerstäubst du, und alle deine Geliebten sehen nichts mehr von dir –‹ O berühre mich!...« * Der Tod berührte das blutige Herz, und ein Mensch war vorüber...

(Jean Paul: Hesperus)

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