14 Juli 2016

"Hochhuth Der Störenfried" von Birgit Lahann

Entwurf

Selten habe ich einem hohen Lob so uneingeschränkt zustimmen können wie dem von  Martin Walser für dieses Buch: 

"Diese Biografie ist das Lebendigste, was ich in diesem Genre je zu lesen bekam. Ich weiß nicht, ob LEBENDIG eine ästhetische Qualität ist, aber dass es eine Lesbarkeit ohnegleichen verbürgt, das weiß ich jetzt, nachdem ich in diesem durchaus wilden Buch herum gelesen habe." (zitiert nach: Dietz Verlag)

Birgit Lahann entgeht zwei Schwierigkeiten einer Biographie mit einer Technik, die literarisch üblich, aber bei Biographien selten angewandt wird: Statt Hochhuths Leben nachzuzeichnen, schildert sie den Entstehungsprozess ihres Buches, indem sie die Gespräche wiedergibt (mit all der Freiheit, die ihr Hochhuth dabei zugesteht). 
So umgeht sie die kritische Einleitungsphase, wo sie die Leser gewinnen will, aber doch ein Kinderschicksal zu schildern hat, wie es Tausende gegeben hat, und sie umgeht die Verpflichtung, ein Urteil über ihn abzugeben, indem sie ihn selbst es über sich aussprechen lässt.
Gelegentlich urteilt sie schon, aber meist im Gewand eines Streitgesprächs, das sie aus Tonbandprotokollen destilliert. - Kennzeichnend für Hochhuth (und wieder lässt sie ihn selbst sich charakterisieren), dass er anders als Helmut Kohl zu den Äußerungen steht, die er laut ihrer Darstellung getan hat. 

Sie beginnt mit einem Telefongespräch, in dem sie ablehnt, eine Biografie über ihn zu schreiben, und zugleich zusagt: "Nein, eine Biographie, sagte ich ihm, werde ich nicht schreiben. Aber ein Lebensbild, ein Gesprächsbuch mit allem Witz und allem Wahnsinn, seinen Verdiensten, seinen Stücken, den Geschichten und Gedichten [...]" (S.11)
Und schon hier tritt hervor, was ihre weitere Darstellung kennzeichnet, nämlich dass sie ihre Gespräche nicht aus der Perspektive wiedergibt, in der sie stattfanden, sondern eine Außenperspektive wählt: "seinen Verdiensten, seinen Stücken" nicht Ihren (oder deinen).

Und damit hat sie geschickt die Freiheit gewonnen, sich auch inhaltlich von dem Gesagten zu entfernen. Hat sie wirklich "mit allem Witz und allem Wahnsinn" gesagt oder doch etwas, was seinen Ohren mehr schmeichelte?
Sie fährt fort - und das ist für uns Leser interessant: "und seinen zwei Lieblingsthemen, der Historie und den Frauen, die für ihn das fünfte Element sind, aber auch mit Auskünften über Aggressionen, Gegner, Gott und den Tod." (ebenda, S.11)

Ein lebendiges Buch, lebendiger als viele seiner Lesedramen und weniger um exakte Dokumentation des Belegbaren bemüht als diese. Und deshalb so lesbar. Eine dramatisierte Biographie. 

Hochhuth hat wohl den Titel "Hochhuth, ein rotes Tuch" vorgezogen, damit allen Kritikern eine wahnhafte Wut gegen ein Phantom unterstellend, das sie sich einbilden. Störenfried trifft besser und ist doch nur zu einem Teil als Kritik gemeint. 
"Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!" formulierte Günter Eich 1950.


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