Es geschah nämlich am andern Tage, als die Sonne unterging und sie aus einem Walde herauskamen, daß Don Quixote, indem er seinen Blick über eine grüne Wiese warf, am andern Ende derselben Leute wahr nahm und, als er näher kam, sie für Jäger von einer Falkenjagd erkannte. Er ritt näher hinzu und erblickte unter ihnen eine prächtige Dame auf einem glänzend weißen Zelter, der mit grünen Verzierungen geschmückt war und einen Saumsattel trug, mit Silber ausgelegt. Die Dame war ebenfalls grün gekleidet, und ihr Kleid war so prächtig und reich, daß sie in sich die Pracht selber darstellte. Auf der linken Hand trug sie einen Falken, woraus Don Quixote erkannte, daß sie eine vornehme Dame sei, der alle jene Jäger zugehören müßten, wie es sich auch in der Tat verhielt. Er sagte daher zu Sancho: »Eile dich, Sohn Sancho, und sage jener Dame mit dem Zelter und dem Falken, daß ich, der Ritter von den Löwen, ihrer hohen Schönheit die Hand küsse und daß, wenn mir ihre Hoheit die Erlaubnis gibt, ich sie ihr küssen will und ihr alle meine Dienste widmen, soviel meine Kräfte vermögen und Ihro Durchlaucht mir gebieten wollen. Und denke darauf, Sancho, wie du sprichst; nimm dich in acht, nicht eins von deinen Sprichwörtern in diese Gesandtschaft einzumengen.«
»Bin ich denn wohl ein solcher Dreinmenger?« antwortete Sancho; »ich, und dergleichen? Ei ja! Das ist ja nicht das erstemal in meinem Leben, daß ich hohen und ausgebündeten Damen Botschaften überbracht habe.« [...]
»Wahrlich, wackerer Stallmeister«, antwortete die Dame, »Ihr habt Eure Gesandtschaft mit allen denjenigen Umständlichkeiten abgelegt, die dergleichen Gesandtschaften erfordern. Erhebt Euch vom Boden; denn der Stallmeister eines so berühmten Ritters, wie der von der traurigen Gestalt ist, von dem wir schon viele Kenntnis hier haben, darf nicht auf den Knien liegen. Steht auf, mein Freund, und sagt Eurem Gebieter, daß er es sich gefallen lassen möge, meine und des Herzogs, meines Gemahls, Dienste anzunehmen, in einem Landhause, welches wir hier in der Nähe besitzen.«
Sancho stand auf, in Bewunderung sowohl über die Schönheit der edlen Dame wie über ihre Herablassung und Höflichkeit, noch mehr aber darüber, daß sie von seinem Herrn, dem Ritter von der traurigen Gestalt, schon wußte; daß sie ihn nicht den von den Löwen genannt hatte, müsse, wie er meinte, daher rühren, daß er diesen Namen erst kürzlich angenommen. Die Herzogin – deren Herrschaft auch jetzt noch unbekannt ist – fragte ihn: »Sagt mir doch, lieber Stallmeister, ist Euer Herr nicht derselbe, von welchem es eine gedruckte Historie gibt, die den Titel führt: ›Der scharfsinnige Edle Don Quixote von la Mancha‹, der zur Gebieterin seines Herzens eine Dulcinea von Toboso hat?«
»Es ist derselbe, gnädige Dame«, antwortete Sancho, »und sein Stallmeister, der sich auch in der Historie befindet oder befinden sollte und der Sancho Pansa heißt, der bin ich, wenn sie mich nicht in der Wiege, ich meine in der Druckerei, umgetauscht haben.«
»Alles dieses ist mir unendlich lieb«, sagte die Herzogin. »Geht, Freund Pansa, und sagt Eurem Herrn, daß er mir in meinem Gebiete sehr erwünscht und willkommen ist und daß mir nichts hätte begegnen können, was mir mehr Freude verursacht hätte.« [...]
Der Herzog kündigt seinem Hofstaat die Gäste an und fordert, dass sie wie ein fahrender Ritter und sein Knappe behandelt werden sollen, wie sie im Buche stehen.
[..] augenblicks wurden alle Galerien des Hofes mit Dienern und Dienerinnen angefüllt, welche mit lauter Stimme riefen: »Willkommen sei die Blume und der Ausbund aller irrenden Ritter!« Und alle, oder die meisten, sprengten wohlriechende Wasser auf Don Quixote und die Herzogin. Don Quixote war über alle diese Anstalten sehr verwundert, und dieses war der erste Tag, an welchem er es durch und durch glaubte und fest überzeugt war, daß er ein wahrhafter und kein eingebildeter irrender Ritter sei, da er sich ganz so behandelt sah, wie er gelesen hatte, daß man in vergangenen Zeiten die irrenden Ritter behandelt habe. [...]
Man machte sich tausend verbindliche Komplimente, und endlich nahmen sie den Don Quixote in die Mitte und gingen, sich zu Tische zu setzen. Der Herzog nötigte Don Quixote, den obersten Platz am Tische einzunehmen, und ob er sich gleich weigerte, so waren doch die Einladungen des Herzogs so dringend, daß er ihn einnehmen mußte. Der Geistliche setzte sich gegenüber und der Herzog und die Herzogin zu beiden Seiten.
Sancho war bei allem gegenwärtig und verwundert und höchlich erstaunt über die Ehre, die seinem Herrn von diesen Fürsten widerfuhr; und da er die vielen Zeremonien und gegenseitigen Bitten sah, die zwischen dem Herzoge und Don Quixote vorfielen, wer am Tische obenan sitzen sollte, sagte er: »Wenn mir es Euer Gnaden erlaubten, so wollte ich eine Geschichte erzählen, die sich in meinem Orte von wegen des Niedersitzens zugetragen hat.«
Kaum hatte Sancho dies gesagt, als Don Quixote zitterte, weil er fest überzeugt war, jener würde eine Torheit vorbringen. Sancho sah ihn an, verstand ihn und sagte: »Fürchtet nicht, gnädiger Herr, daß ich mich vergesse oder ein Ding sage, was nicht schicklich sei; denn ich habe das noch gut im Kopfe, was Ihr mir über das Viel- und Wenig-, Gut- und Schlechtsprechen gesagt habt.«
»Ich weiß von nichts, Sancho«, antwortete Don Quixote; »sage, was du willst, wenn du es nur schnell sagst.«
»Was ich also erzählen will«, sagte Sancho, »ist so wahr, daß mein Herr Don Quixote, der hier gegenwärtig ist, mich nicht wird lügen lassen.«
»Meinethalben«, versetzte Don Quixote, »lüge, Sancho, soviel du willst, denn ich will dir nicht hinderlich sein; aber erwäge, was du sagst.«
»Ich habe es so viel hin und her erwogen, daß ich ganz ruhig sein kann, weil ich alle Trümpfe in der Hand habe, wie man aus der Sache selbst erkennen wird.«
»Es wäre gut«, sagte Don Quixote, »wenn Ihre Hoheiten den Narren hinausführen ließen; denn er wird tausend Aberwitzigkeiten sagen.«
»Beim Leben des Herzogs«, sagte die Herzogin, »Sancho soll sich nicht um einen Schritt von mir entfernen! Ich liebe ihn sehr; denn ich weiß, er ist sehr verständig.«
»Verständige Tage«, sagte Sancho, »mögen Eurer Heiligkeit beschieden sein, weil Ihr so gut von mir denkt, ob ich es gleich nicht verdiene. Die Erzählung, die ich vortragen wollte, ist folgende: Es lud ein Edelmann in meinem Orte, der sehr reich und vornehm ist, denn er stammt von den Alamos de Medina del Campo, er verheiratete sich mit der Doña Mencia de Quiñones – die eine Tochter des Don Alonso de Marañon war, eines Ritters vom Orden Santiago, der in der Herradura ertrank –, seinetwegen gab es damals die Händel in unserem Orte, in die, wie ich glaube, mein Herr Don Quixote auch verwickelt war, wo noch der verdrehte Tomasillo verwundet wurde, der Sohn vom Schmied Balvastro. Ist das nicht alles die Wahrheit, mein werter gnädiger Herr? Sagt es doch um Gottes willen, damit diese Herrschaften mich für keinen lügenhaften Schwätzer halten.« [...]
»Ich sage also, gnädige Herrschaften«, fuhr Sancho fort, »daß dieser Edelmann, den ich wie mich selber kenne, denn sein Haus ist von dem meinigen nicht einen Steinwurf weit ab, einmal einen armen, aber achtbaren Bauer zu sich einlud.«
»Weiter, Freund«, sagte hierauf der Geistliche, »Ihr geht so vorwärts, daß Ihr mit Eurer Erzählung nicht eher als in der anderen Welt fertig sein werdet.«
»Auf dem halben Wege dahin werde ich fertig sein, wenn es Gott gefällt«, antwortete Sancho. »Ich sage also, daß, als dieser Bauer in das Haus des genannten Edelmanns kam, der ihn gebeten hatte – seine Seele ruhe in Frieden, denn jetzt ist er tot. Und zu größerem Wahrzeichen sage ich noch, daß er einen Tod wie ein Engel gestorben ist; ich war aber gerade nicht zugegen, denn ich war damals zum Mähen nach Tembleque gegangen – – –«
»Um des Himmels willen, mein Sohn, kommt schnell von Tembleque zurück, und ohne den Edelmann zu begraben, wenn Ihr nicht mehr Leichenbegängnisse erleben wollt; bringt Eure Erzählung zu Ende.«
»Es kam also«, versetzte Sancho, »daß, als sich die beiden zu Tisch setzen wollten – es ist mir nicht anders, als wenn ich sie noch jetzt vor mir sähe – – –«
Den Herzogen behagte das Mißbehagen sehr, welches der gute Geistliche über das Verzögern und die Pausen merken ließ, womit Sancho seine Geschichte erzählte, und Don Quixote war vor Zorn und Wut außer sich.
»Ich sage also«, sagte Sancho, »daß, als nun, wie gesagt, die beiden im Begriff waren, sich zu Tisch zu setzen, der Bauer mit dem Edelmanne stritt, daß er die oberste Stelle einnehmen möchte; der Edelmann aber bestand wieder darauf, daß der Bauer sie einnehmen sollte, denn in seinem Hause müßte alles so geschehen, wie er es wollte. Der Bauer aber, der sich auch artig und wohlgezogen zeigen wollte, gab es durchaus nicht zu, bis der Edelmann verdrießlich ihm beide Hände auf die Schultern stemmte und ihn mit Gewalt niedersetzte, wobei er sagte: ›Setzt Euch doch, verdrießlicher Mann; denn wo ich mich auch immer hinsetzen mag, werde ich gegen Euch die Oberstelle einnehmen.‹ Und dies ist meine Geschichte, und ich glaube in Wahrheit, daß ich sie nicht bei den Haaren herbeigezogen habe.«
Don Quixote glühte in tausend Farben, die auf der Bräune ihn marmorierten und durchschimmerten. Die Herrschaften verbargen ihr Lachen, damit Don Quixote nicht noch zorniger werden möchte, indem sie die Bosheit des Sancho wohl begriffen hatten. Um das Gespräch zu ändern und damit Sancho nicht fortführe, neue Albernheiten zu sagen, fragte die Herzogin Don Quixote, welche Nachrichten er von der Dame Dulcinea habe und ob er ihr kürzlich einige Präsente von Giganten oder Mamelucken übersandt, weil er notwendig viele besiegt haben müsse. Worauf Don Quixote antwortete: »Hohe Herrin, mein Unglück hat zwar einen Anfang genommen, wird aber niemals ein Ende finden. Giganten habe ich besiegt und ihr Mamelucken wie Zauberer übersendet; aber wo sollen sie sie finden, da sie verwandelt und in die häßlichste Bäuerin verkehrt ist, die man sich nur vorstellen kann?«
(Cervantes: Don Quijote, 2. Teil, 8. Buch 13. und 14. Kapitel)
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