Still glides the Stream (1948, posthum)
Aus der Sicht von Charity Finch, einer pensionierten Lehrerin wird das Leben in dem fiktiven Dorf Restharrow geschildert. Die Darstellung konzentriert sich auf zwei eng mit einander befreundete Familien, Charity und ihre Eltern und Charitys Onkel Reuben Truman mit seinen drei Töchtern Bess, Mercy und den Nachkömmling Polly. Bess, gutaussehend und energisch, hat nach dem Tod ihrer Mutter schon sehr früh die Haushaltsführung übernommen, "good, plain, sensible" Mercy, zurückhaltend, aber stets bereit auch harte Arbeiten zu übernehmen. Polly, die von Bess etwas verwöhnt wird, ist recht begabt und besonders musikalisch. Reubens Familie wohnt in einigen wenige Räumen des Gutshauses aus dem der Gutsbesitzer ausgezogen ist, nachdem er sich einen zeitgemäßeren Wohnsitz in einem anderen Dorf geschaffen hat. In demselben Haus aber in getrenntem Haushalt wohnt die alleinerziehende Mrs. Pocock mit ihrer Tochter Stella. Charity bewundert Stella wegen ihrer Schönheit und Anmut, entfremdet sich dann aber von ihr, als sie feststellt, dass diese ziemlich egoistisch ist und vor Unwahrheiten nicht zurückschreckt, wenn sie damit die imponierende Bess herabsetzen kann.
Mrs. Pocock ist eine "bettermost person". "Der Bessergestellte, der immer eine Frau und nie ein Mann war, gehörte nicht, wie man annehmen könnte, zu den oberen Rängen der Gesellschaft. Diejenigen, die an der Spitze der sozialen Rangliste standen, wurden immer als 'gentry' (Adelige) bezeichnet, und nach ihnen folgten mehrere Stufen, die alle noch höher als die 'Bessergestellten' waren. Mit diesem Begriff wurde in dieser Gegend jeder bezeichnet, der sich auch nur geringfügig von der allgemeinen Armut abhob, vorausgesetzt, er zeigte durch seine Lebensweise, dass er sich seiner vermeintlichen Überlegenheit bewusst war. Die besser gestellte Person stand nicht auf ihrer Türschwelle, um zu tratschen; sie lud andere ihrer Art zum Tee ein, hinter gestärkten weißen Spitzenvorhängen. Wenn sie einkaufen ging, nahm sie mit Selbstverständlichkeit den Vordersitz neben dem Fahrer des Wagens als ihr Recht ein und wandte der klatschenden Menge auf den hinteren Plätzen den Rücken zu, wenn auch nicht immer ein taubes Ohr." ["The bettermost person, who was always a woman, never a man, was not, as might be supposes, one belonging to the upper ranks of society. Thosese at the top of the social tree were allways speaken of as 'gentry' and after them, came several grades higher than the bettermost. That term in that locality, was used to describe anyone in ever so slight a degree removed from the general level of poverty, provided thst she herself showed by her manner of living that she was conscious of her own supposed superiority. The bettermost person did not stand upon her doorstep to gossip; she invited another of her own kind to tea behind starches white lace curtains. When she wnt shopping, she took as her right the front seat beside the driver in the carrier's cart and turned her back, if not always a deaf ear, on the gossiping crowd in the back seats."] (S.67/68)
Diese Passage zeigt sehr deutlich, was mir Flora Thompsons so sympathisch macht. Unter Landarbeiterskindern aufgewachsen teilt sie die Werthaltungen dieses Milieus, auch wenn sie aufgrund ihrer schriftstellerischen Begabung und ihrem hohen Interesse an genauer Beobachtung und Beschreibung nie wirklich ganz dazu gehört hat. Sie will nichts 'Besseres' sein, auch wenn sie die Beschränktheit dieser Sicht aufgrund ihres Kontaktes mit anderen Schriftstellern längst erkannt hat. - Als Stadtkind von Anfang an mit 'Bildungsgütern' aufgewachsen, habe ich früh meinen anderen Interessenhorizont von anderen Altersgenossen als schmerzliche Grenze erfahren, aber letztlich meinen nicht aufgeben wollen. Die Schriftstellerin überwindet den Abstand. Dass man ein Milieu nur angemessen schildern könne, wenn man ganz dazu gehört hat, kommt ihr nicht in den Sinn, weil zu wenige dieses Milieus darüber zu schreiben wussten.
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