Heliand (Wikipedia)
"Der Heliand ist ein frühmittelalterliches altsächsisches Großepos. In fast sechstausend (5983) stabreimenden Langzeilen wird das Leben Jesu Christi in der Form einer Evangelienharmonie nacherzählt. Den Titel Heliand erhielt das Werk von Johann Andreas Schmeller, der 1830 die erste wissenschaftliche Textausgabe veröffentlichte. Das Wort Heliand kommt im Text mehrfach vor (z. B. Vers 266) und wird als altniederdeutsche Lehnübertragung von lateinisch salvator („Erlöser“, „Heiland“) gewertet.
Das Epos ist nach dem Liber evangeliorum des Otfrid von Weißenburg das umfangreichste volkssprachige literarische Werk der „deutschen“ Karolingerzeit und damit ein wichtiges Glied im Kontext der Entstehung der niederdeutschen Sprache, aber auch der deutschen Sprache und Literatur.[1]"
E-Text des altsächsischen Textes (Bibliotheca Augustana)
Text in der Übersetzung von Karl Simrock (Projekt- Gutenberg.de)
Inhalt:
- Der Heliand
- Eingang
- Zacharias und Elisabeth
- Zacharias im Tempel
- Johannes' Geburt
- Mariä Verkündigung
- Josephs Traumgesicht
- Christi Geburt
- Anbetung der Hirten
- Simeon und Anna
- Die Weisen aus Morgenland
- Die Flucht nach Ägypten
- Der Knabe im Tempel
- Johannes der Täufer
- Die Taufe im Jordan
- Die Versuchung in der Wüste
- Berufung der Jünger
- Die Bergpredigt
- Aussendung der Jünger
- Die Hochzeit zu Kana
- Der Hauptmann zu Kapharnaum
- Der Jüngling zu Nain
- Die Stillung des Meeres
- Austreibung der Teufel
- Heilung des Gichtbrüchigen
- Das Gleichnis vom Sämann
- Vom Unkraut im Weizen
- Vom Senfkorn und Netze
- Mordversuch
- Des Täufers Enthauptung
- Die Speisung der Fünftausend
- Auf dem Meere wandeln
- Die Kanaanitin
- Petri Schlüsselamt
- Die Verklärung
- Der Fischfang
- Vergib dem Beleidiger
- Gefahr des Reichtums
- Gleichnis vom Lazarus
- Das Gleichnis vom Weinberge
- Das künftige Leiden
- Die Blinden vor Jericho
- Einzug in Jerusalem
- Säuberung des Tempels
- Das Scherflein der Witwe
- Die Steuerzahlung
- Die Ehebrecherin
- Der lebendige Brunnen
- Des Lazarus Erweckung
- Kaiphas
- Vom Weltuntergange
- Judas Ischariot
- Die Fußwaschung
- Das Abendmahl
- Christus auf dem Ölberg
- Judas der Verräter
- Dreimal verleugnet
- Das Todesurteil
- Pilatus und Herodes
- Barrabas
- Sein Blut über euch
- Golgatha
- Joseph von Arimathiä
- Die Auferstehung
- Nach Emmaus
- Die Himmelfahrt
Manche waren, die ihr Gemüt dazu trieb,
Daß sie Gottes Wort beginnen wollten,
Das Geheimnis zu enthüllen, das der heilige Christ
Hier unter Menschen herrlich vollendete
Mit Worten und Werken. Uns wollten viel weiser
Leute Kinder loben die Lehre Christs,
Des Herren heilig Wort, und mit Händen schreiben
Offenbar in ein Buch, wie seinen Geboten
Die Völker folgen sollten. Doch viere nur fanden sich
Unter der Menge, die Macht von Gott hatten,
Hilfe vom Himmel, heiligen Geist
Und Kraft von Christ. Sie kor er dazu
Von allen allein, das Evangelium
In ein Buch zu bringen, die Gebote Gottes,
Das heilige Himmelswort. Das hatten nicht andre noch
Aus dem Volke zu fördern, da nur diese viere
Durch die Kraft Gottes dazu gekoren wurden.
Matthäus und Markus hießen die Männer,
Lukas und Johannes: sie waren Gott lieb
Und des Werkes würdig: der waltende Gott
Hatt ihren Herzen heiligen Geist
Fest anbefohlen und frommen Sinn,
Weise Worte verliehen und großes Wissen,
Daß sie erheben möchten mit heiligen Stimmen
Die gute Gotteskunde, die ihr Gleichnis nicht hat
In Worten dieser Welt, die so den waltenden
Herrscher verherrlichten, und heillose Tat,
Frevelwerk fällten und dem tückischen Feind
Im Streit widerstünden; denn starken Sinn hatte,
Milden und guten, welcher der Meister war,
Der edle Urheber, der allmächtige.
Sie viere sollten mit Fingern schreiben,
Setzen und singen und gründlich sagen,
Was sie von Christi Kraft, der großen,
Gesehen und gehört, das er selber gesprochen,
Gewirkt und gewiesen, des Wunderbaren viel,
Vor den Menschen und mancherlei, der mächtige Herr.
Was von Anbeginn durch seine einige Kraft
Der Waltende sprach, da er die Welt erschuf,
Und da alles befing mit einem Wort,
Himmel und Erde und alles, was darin
Gewirkt war und gewachsen: das ward mit Gottes Wort
All fest befangen und zuvorbestimmt,
Welcher Leute Volk des Landes sollte
Am weitesten walten und wie die Welt dereinst
Ihre Alter enden sollte. Deren eins nur stand
Noch bevor den Völkern: fünfe waren hin;
Das sechste sollte nun seliglich kommen
Durch die Kraft Gottes und Christi Geburt,
Des besten Heilands, daß sein heilger Geist
In dieser Mittelwelt den Menschen helfe
Und vielen fromme wider der Feinde Drang,
Böser Geister Zauber.
Zu der Zeit lieh Gott
Den Römerleuten der Reiche größtes:
Er hatt ihrem Heergeleit das Herz gestärkt,
Daß sie Zins zu zahlen alle Völker zwangen.
Von Romburg aus hatten sie das Reich gewonnen,
Den Helm auf dem Haupte. Ihre Herzoge saßen
In jeglichem Lande, der Leute gewaltend
Über alle Reiche. Herodes war
In Jerusalem über der Juden Volk
Zum König gekoren: der Kaiser von Rom
Hatt ihn dahin, der mächtige Herrscher,
Mit dem Gesinde gesetzt, obwohl nicht gesippt
Israels Abkommen, noch durch edle Geburt
Ihrem Geschlecht entstammt: nur des Kaisers Bestimmung
Von Romburg hatt ihm das Reich verliehen,
Daß ihm gehorchten die Heldengeschlechter,
Die kraftkundigen Nachkommen Israels,
Unwankende Freunde, dieweil da waltete
Herodes, des Reiches und Gerichtes pflegend
Über die Leute.
Zacharias und Elisabeth
Nun war da ein alter Mann, Ein vielerfahrener mit frommweisem Sinn, Der war von den Leuten aus Levis Stamm, Des Sohnes Jakobs, von gutem Geschlecht. Zacharias geheißen war der selige Mann, Der gerne jederzeit diente Gott dem Herrn Und seinen Willen wirkte. So tat auch sein Weib, Die alternde Frau; kein Erbwart sollte In ihrer Jugend ihnen gegeben werden. Doch lebten sie lasterlos und lobten Gott, Den Gehorsam haltend dem Himmelskönig, Dessen Ruhm sie verherrlichten, und ruchlose Tat, Schuld und Sünde mieden. Sorge befing sie zwar, Daß sie ohne Erben altern sollten, Der Kinder bar verblieben. Er sollte Gottes Gebot |
Über all dies Erdenvolk, Octavians,
Bann und Botschaft: über sein breites Reich
Kam es von dem Kaiser an die Könige all,
Die daheim saßen, soweit seine Herzoge
Über all den Landen der Leute gewalteten.
Die Ausheimischen hieß er die Heimat suchen,
Ihre Mahlstatt die Männer, daß männiglich vor dem Fronboten
Bei dem Stamme stünde, von dem er stammte,
In der Burg seiner Geburt. Das Gebot ward geleistet
Über die weite Welt: die Leute wanderten
Jedes zu seiner Burg. Die Boten fuhren hin,
Die von dem Kaiser gekommen waren,
Schriftverständige Männer, und schrieben in Rollen ein,
Genau nachforschend, die Namen alle
Des Lands und der Leute, und keinem erließen sie
Den Zins und den Zoll, den sie zahlen sollten
Männiglich von seinem Haupt.
Thô uuar{d} fon Rûmuburg| rîkes mannes
o{b}ar alla thesa irminthiod| Octauiânas
ban endi bodskepi| o{b}ar thea is brêdon giuuald
cuman fon them kêsure| cuningo gihuilicun,
hêmsitteandiun,| sô uuîdo sô is heritogon
o{b}ar al that landskepi| [liudio] giuueldun.
[Hiet man] that [alla] thea elilendiun man| iro ô{d}il sôhtin,
[heli{d}os] iro handmahal| angegen iro hêrron bodon,
quâmi te them cnôsla gihue,| thanan he cunneas uuas,
giboran fon them burgiun.| That gibod uuar{d} gilêstid
o{b}ar thesa uuîdon uuerold.| Uuerod samnoda
[te] allaro burgeo gihuuem.| Fôrun thea bodon o{b}ar all,
thea fon them kêsura| cumana uuârun,
bôkspâha uueros,| [endi] an brêf [scri{b}un]
[suî{d}o] niudlîco| namono gihuilican,
ia land ia liudi,| that im ni [mahti alettian] mann
gumono sulica gambra,| sô [im] scolda geldan gihue
heli{d}o fon is hô{b}da.| Thô giuuêt im ôc [mid] is hîuuisca
Ioseph the gôdo,| sô it god mahtig,
uualdand uuelda:| sôhta im [thiu uuânamon] hêm,
Da schied mit den Hausgenossen
Auch Joseph der gute, wie Gott der mächtige,
Der Waltende wollte, sein wonnig Heim zu suchen,
Die Burg in Bethlehem, wo beider war,
Des Mannes Mahlhof und der Jungfrau zumal,
Maria der guten. Da war des Mächtigen Stuhl
In alten Tagen, des Edelkönigs,
Davids des hehren, solang er die Herrschaft durfte
Unter den Ebräern zu eigen haben
Und den Hochsitz behaupten. Seines Hauses waren sie,
Seinem Stamm entsprossen, aus gutem Geschlecht
Beide geboren. Da hört ich, daß der Schickung Gebot
Marien mahnte und die Macht Gottes,
Daß ihr ein Sohn da sollte beschert werden,
In Bethlehem geboren, der Geborenen stärkster,
Aller Könige kräftigster. Da kam an der Menschen Licht
Der mächtige Held, wie schon manchen Tag
Davon der Bilder viel und der Zeichen geboten
Waren in dieser Welt. Da ward das alles wahr,
Was spähende Männer vordem gesprochen,
Wie er in Niedrigkeit hernieder auf Erden
Durch seine einige Kraft zu kommen gedächte,
Der Menschen Mundherr. Da ihn die Mutter nahm,
Mit Gewand bewand ihn der Weiber schönste,
Zierlichen Zeugen, und mit den zweien Händen
Legte sie liebreich den lieben kleinen Mann,
Das Kind, in eine Krippe, das doch Gottes Kraft besaß,
Der Menschen mächtigster. Die Mutter saß davor,
Die wachende Frau, und wartete selber
Und hütete das heilige Kind. In ihr Herz kam Zweifel nicht,
In der Magd Gemüt.
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