https://www.perlentaucher.de/buch/andreas-reckwitz/verlust.html
Andreas Reckwitz: Verlust, Suhrkamp, Berlin 2024
Erfreulich ist an den Rezensionen, dass alle Reckwitz relativ große Nüchternheit nachsagen, bemerkenswert (oder naheliegend?) dass Reckwitz nachgesagt wird, er übergehe reale Verluste und andererseits, er sei auf vermeintliche Verluste fixiert.
Verlagstext: "[...] Unter dem Banner des Fortschritts, so legt er dar, wird die westliche Moderne schon immer von einer Verlustparadoxie angetrieben: Sie will (und kann) Verlusterfahrungen reduzieren - und potenziert sie zugleich. Dieses fragile Arrangement hatte lange Bestand, doch in der verletzlichen Spätmoderne kollabiert es. Das Fortschrittsnarrativ büßt massiv an Glaubwürdigkeit ein, Verluste lassen sich nicht mehr unsichtbar machen. Das führt zu einer der existenziellen Fragen des 21. Jahrhunderts: Können Gesellschaften modern bleiben und sich zugleich produktiv mit Verlusten auseinandersetzen? [...]"
Stefan Reinecke:" [...] In Anlehnung an Virilio spricht Reckwitz von einer Gesellschaft, in der die technische Entwicklung stetig weitergeht, die Zukunftsvision aber abhanden gekommen ist. Die eurozentrische Perspektive des Buches reflektiert Reckwitz selbst, so ganz zufrieden ist der Rezensent aber nicht damit, dass er in seiner Analyse die Rolle von China und Indien vernachlässigt."
Guillaume Paoli: "[...] Denn die Grundprämisse des Buchs, nämlich "Verlust" nicht von seiner Konkretion her, sondern als Diskursphänomen behandeln zu wollen - also die Art und Weise, wie Verluste gesellschaftlich aufgearbeitet und thematisiert werden - findet Paoli wenig ertragreich. Die sich daraus ergebende Formel des "doing loss" passe zwar wunderbar zur praxistheoretischen Ausrichtung Reckwitz', sei aber eben blind für gewisse sehr reale Verluste wie etwa den der Biodiversität, der diskursiv wenig präsent und doch stetig fortschreitend sei, moniert Paoli. Auch die vehemente Abgrenzung des Autors von jeglicher Kulturkritik scheint den Kritiker zu nerven; die Beanspruchung einer neutralen Beobachterposition ist für ihn schlicht veraltet - und, ebenso wie Reckwitz' abschließende drei Zukunftsszenarien, recht unbrauchbar für den Umgang mit Verlusten."
Thomas Steinfeld : "[...] Besonders kritisiert Steinfeld die Fixierung auf vermeintliche Verluste, hinter denen oft gar keine realen Schäden stecken, sondern versteckte Ansprüche, wie etwa die Sehnsucht nach einer "biodeutsch reinen Volksgemeinschaft". Reckwitz' "Universalsoziologie" gerät dadurch eher zu einer Bestätigung landläufiger Vorurteile als zu einer eine originellen Analyse, meint der Kritiker. Wie nun der richtige Umgang mit dem Verlust aussieht, kann Reckwitz letztlich auch nicht sagen - ob seine Soziologie da weiterhelfen kann, "bleibt abzuwarten", schließt Steinfeld.
Dass man angesichts des Klimawandels, der schmelzenden Eisdecke, der verheerenden Brände jenseits des nördlichen Polarkreise, des weltweiten Anstiegs des Meeresspiegels und des zunehmenden Verlusts der Erwärmung bremsenden Eigenschaft der Weltmeere von "vermeintlichen" Verlusten sprechen kann, ohne sich die Mühe zu machen, den Klimawandel abzuleugnen, beeindruckt mich. Denn dass es Menschen gibt, die unter Realitätsverlust leiden und deshalb "Verluste" da sehen, wo nichts Wertvolles verloren geht, beweist ja nicht, dass es keine realen Verluste gibt.
Und wenn von den weltweiten Verlusten nicht alle genannt worden sind, bedeutet das erst recht nicht, dass es überhaupt keine gäbe.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen