30 Mai 2025

Gert Fröbe: Auf ein Neues, sagte er ...

 Gert Fröbe: Auf ein Neues, sagte er ... , 1988  Diesem Buch, von dessen Lektüre mir jetzt noch Tränen in den Augen stehen wegen seines Abschnitts über Artisten und Clowns verdanke ich, dass ich manche Wikipedia-Artikel über ihn, deren Sprache ich nicht verstehe, verbessern konnte.

Hier der Artikel Gert Fröbe auf Deutsch

und hier die Erklärung weshalb ich manche fremdsprachliche Artikel über ihn verbessern konnte:

"Das jüngste Eintrittsalter in die NSDAP lag 1933/34 bei 18 Jahren[1]. Da Fröbe 1913 geboren ist, war er 1929 nur 16 Jahre, konnte also noch nicht Parteimitglied werden. 
Der Fehler in der englischen Wikipedia lag darin, dass es in der deutschen Quelle hieß "Daraus, dass er in die NSDAP eintrat, weil er mit 16 hoffte «Hitler könne eine Lösung bringen», hat er keinen Hehl gemacht" und der englische Wikipedianer daraus geschlossen hatte, Fröbe wäre 1929 in die Partei eingetreten. Der Fehler war also in der deutschen Quelle, lag nur sekundär am Wikipedianer. Aber wir sollten ihn nicht in den deutschen Artikel übernehmen"

Ich habe Gert Fröbe in manchen Rollen gesehen, aber am meisten beeindruckt hat er mich durch seine Morgenstern-Parodien. Sehr eigene Interpretationen, doch ähnlich genial.
Ich wäre von selbst nicht darauf gekommen, seine Autobiographie zu suchen, hielt ihn nicht für einen so guten Autor, wie Schauspieler. Jetzt aber ist er mir menschlich noch näher gekommen. Er sagt deutlich, dass er Formulierungshilfen bekommen hat, doch ist klar, dass vieles eigenes Erleben widerspiegelt, das aber schriftstellerisch gekommt dargeboten.

Interview mit Gert Fröbe über seine Anfänge
Vor seiner Anstellung durch Mahnke als Bühnenmaler am Staatstheater Dresden
Interview über Goldfinger

Gert Fröbe: Morgenstern am Abend
Schnecke
Windgespräch
Meeresbrandung
Das Huhn (von Otto Normalverbraucher)

Kurzvorstellung seines Lebens 

Gert Fröbe als Weltstar (umfassende Darstellung mit vielen Zeitzeugen)

28 Mai 2025

Hermann Hesse: Erinnerung an Hans

Hermann Hesse hatte es gewiss nicht einfach im Leben: Die Rebellion gegen seine pietistischen Vater, seine Isolation von seinen Kreisen, als er von Deutschland getrennt einer der Wenigen war, die sich bedingungslos gegen den Krieg stellten, ganz anders als der von ihm geschätzte Thomas Mann, der sich als "Unpolitischer" und als Verteidiger des Deutschtums gegenüber dem "Zivilisationsliteraten" verstand.

Und nun erlebe ich ihn in seinem Text "Erinnerung an Hans" (seinen jüngeren Bruder) als den, der sich seiner - gegenüber dem Bruder - sehr bevorzugten Stellung sehr bewusst ist.(sieh: Perlentaucher)

"Zwei Erinnerungen stehen Hermann Hesse besonders vor Augen. Kleine Momente nur. Einmal am Weihnachtsabend, Hans sieben, Hermann zwölf Jahre alt, sieht der große Bruder den Glanz des vollkommenen Glücks in den Augen des Kleinen im Angesicht der Kerzen und der Geschenke. Im ersten Moment verachtet er den Staunenden. Im zweiten weiß er: In ihm selbst ist dieses Glück, dieses vollkommen unverstellte Erfülltsein vom Augenblick für immer verloren. Er weiß: Dies hier, dieser Moment, das wird für immer das Beste bleiben, was dir im Leben geschehen kann. Unbewusstes Strahlen aus deinem Innersten heraus. Der Ältere erkennt in einem Erkenntnis-Flash die eigene Vertreibung aus dem Paradies. Der Jüngere steckt noch mittendrin.# Er sah im Bruder stets das andere Ich Aus dieser Urszene entwickelt Hesse die brüderlichen Lebenslinien. Während dem Jüngeren kein Projekt, 
keine Begabung, kein Hilfsmittel zur Rückgewinnung jenes frühen Glücks mitgegeben wurde, hat der Ältere seine Kunst. Mit zäher Energie bewegt sich Hermann Hesse stetig 
und unaufhaltsam auf sein Ziel hin, von dem er seit Kindesbeinen träumte: das Ziel, Schriftsteller zu werden. Der Kleinere fühlt diese Gabe in sich nicht. Sein Ziel heißt von frühen Tagen an: Zurück! Ins Kinderland" (, ZEIT 26.5.2025)
Hermann ist aus dem Kinderparadies vertrieben und versucht, als er älter ist. irgendwie seinem Bruder gerecht zu werden, als der in der Arbeitswelt in einem untergeordneten Posten unglücklich wird, aber es nach außen geduldig trägt, dann aber doch sich die Pulsadern aufschneidet. 
Das gemischte Gefühl, das Hermann seinem Bruder gegenüber hat, spricht mich sehr an.
Und wie er die Gemeinsamkeit mit seinem Bruder in der Selbstmordgefährdung schildert,
die bei ihm - behandelt - seinem Werk Tiefe gibt. 
Dass Hesse hier ganz als Person, nicht als Autor hervortritt, rührt mich an und macht ihn mir sympathisch. 

 Die Spur der Traurigkeit

"Hans war 24 Jahre alt, als ihm sein großer Bruder zum ersten Mal eine Pistole weggenommen hat. Sie lag ganz obenauf in seinem Koffer im Feriengepäck. Es war am Bodensee, wo Hermann Hesse damals, im Sommer 1906, lebte und sein kleiner Bruder war für ein paar Tage zur Erholung zu ihm gekommen. Hermann Hesse, fünf Jahre älter, hatte ihm beim Auspacken geholfen, und als er die Waffe fand, lachten beide verlegen, und der große Bruder bewahrte sie für die Dauer der Ferien auf. Er wusste um die Gefährdung des Bruders. Es war auch seine eigene.
Im Insel Verlag ist gerade ein sehr schönes Buch von Hermann Hesse erschienen, dem Autor des Steppenwolfs und von Siddharta, dem Nobelpreisträger aus Calw, über den mit leisem Spott zu sprechen irgendwie normal geworden ist. Vielleicht weil vielen Menschen, die seine Bücher in frühen Phasen ihres Lebens liebten, ihre eigenen Gefühle von damals peinlich geworden sind. Wie eine Wiederbegegnung mit einem früheren Ich, das man in einer dunklen Truhe der Scham abgelegt hat. Schade um die Bücher. Sie sind es wert, in guter Erinnerung behalten zu werden. Genauso wie unsere früheren Ichs.
Das Buch, von dem wir hier sprechen wollen, heißt Erinnerung an Hans und ist nicht neu. Aber es ist ein wenig bekannter und sehr eindrucksvoller Text. Vielleicht weil Hermann Hesse in diesen Erinnerungen an seinen Bruder eine gespiegelte Autobiografie schreibt. Sein eigenes Leben, wie es hätte sein können, wenn er diese eine, einzigartige Gabe nicht gehabt hätte: die Gabe, Geschichten zu erzählen. [...]"

Ein dünnes Buch, ich kann es empfehlen.

26 Mai 2025

Thyra Danebod

 Wenn wir Fontane trauen dürfen, verdanken wir dieser Königin, genauer gesagt: ihrem Namen, das Alterswerk Fontanes: Gorm Grymme

"Thyra Danebod, sein Gemahl" und "Thyra Danebod schreitet hinab an den Sund". Sie ist die Heldin der Ballade, schafft das unerhörte Ereignis, ihr gelingt es, nach der Hybris des Mannes, der dem Schicksal trotzen und dem Unglück eine Freveltat hinzufügen will, einen versöhnenden Schluss zu erreichen. Vom lästerlichen Wort des Herrschers führt sie ihn zum Selbsturteil. Und das durchweg in Liebe und Selbstaufopferung.

Die fragwürdige Rolle, die das Viktorianische Zeitalter den Frauen zugedacht hat, adelt sie durch die Art, wie sie ihren Mann besiegt, indem sie zu ihm hält.

Sprachlich gesehen schreitet sie mit ihrem Namen gekrönt wie ein Juwel durch das Gedicht, doch legt sie ihn zusammen mit dem Schmuck ab. Nur Gorm Grymme behält seinen Namen, bis er sich das Urteil spricht. Danach bleiben nur Königin und König, und sie  hält ihm die Hand bis zum Schluss.

Bemerkenswert ist auch der Wechsel der Tempora zwischen Präsens und Präteritum schon von der ersten Zeile zur zweiten: Von der Gegenwart (oder atemporal"herrscht" wird unhörbar durch das Apostroph (herrscht') zur Vergangenheit gewechselt.

Nach "Jung-Harald liegt im Blut" (Präsens mit Vergangenheitsbedeutung) tritt schon in der nächsten Zeile mit "Wer bringt die Kunde" ein Wechsel zur Zukunftsbedeutung ein. Ähnliches geschieht mehrfach auf, doch meist so motiviert, dass man es nicht bemerkt.

In der letzte Strophe gibt es außer in der wörtlichen Rede (Mit den Worten "Er ist tot" spricht sich der König sein Todesurteil) nur noch das erzählende Präteritum. 

16 Mai 2025

Guy de Maupassant: Fettklößchen

Guy de Maupassant: Fettklößchen


Zum Inhalt:

"Während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 versuchen zehn Menschen aus Rouen in einer Postkutsche aus der von den Preußen besetzten Normandie nach Le Havre zu reisen, um dort ihren Geschäften nachzugehen. Schwerer Schneefall und klirrende Kälte machen das Reisen zusätzlich beschwerlich. Zuerst wird geschildert, in welchem desolaten Zustand die französische Armee ist, danach richtet der Erzähler seine Aufmerksamkeit auf die handelnden Personen.

Diese Gruppe von Reisenden stellt einen Querschnitt durch die Bevölkerung dar. Von der Bourgeoisie, vertreten durch einen Industriellen (Monsieur Carré-Lamadon) und einen Kaufmann (Monsieur Loiseau), über den Adel (Monsieur Hubert de Bréville), mit ihren jeweiligen angetrauten Damen, bis hin zu zwei Nonnen sind alle Gesellschaftsschichten vertreten. Sogar die Befürworter einer Demokratie sind durch Cornudet den Demokraten repräsentiert. Den Abschluss bildet die Prostituierte Fettklößchen, die auch die Hauptperson der Geschichte ist.

Die Handlung zeigt die Entwicklung der Beziehung zwischen Fettklößchen und den vornehmen Bürgern der Reisegesellschaft." (Wikipedia)

Zum Text: Boule de suif:

Der desolate Zustand der französischen Armee:

Pendant plusieurs jours de suite des lambeaux d’armée en déroute avaient traversé la ville. Ce n’était point de la troupe, mais des hordes débandées. Les hommes avaient la barbe longue et sale, des uniformes en guenilles, et ils avançaient d’une allure molle, sans drapeau, sans régiment. Tous semblaient accablés, éreintés, incapables d’une pensée ou d’une résolution, marchant seulement par habitude, et tombant de fatigue sitôt qu’ils s’arrêtaient. On voyait surtout des mobilisés, gens pacifiques, rentiers tranquilles, pliant sous le poids du fusil ; des petits moblots alertes, faciles à l’épouvante et prompts à l’enthousiasme, prêts à l’attaque comme à la fuite ; puis, au milieu d’eux, quelques culottes rouges, débris d’une division moulue dans une grande bataille ; des artilleurs sombres alignés avec des fantassins divers ; et, parfois, le casque brillant d’un dragon au pied pesant qui suivait avec peine la marche plus légère des lignards.

Des légions de francs-tireurs aux appellations héroïques : « les Vengeurs de la Défaite — les Citoyens de la Tombe — les Partageurs de la Mort » — passaient à leur tour, avec des airs de bandits.

Leurs chefs, anciens commerçants en draps ou en graines, ex-marchands de suif ou de savon, guerriers de circonstance, nommés officiers pour leurs écus ou la longueur de leurs moustaches, couverts d’armes, de flanelle et de galons, parlaient d’une voix retentissante, discutaient plans de campagne, et prétendaient soutenir seuls la France agonisante sur leurs épaules de fanfarons ; mais ils redoutaient parfois leurs propres soldats, gens de sac et de corde, souvent braves à outrance, pillards et débauchés.

Zum Verhältnis der Bevölkerung gegenüber den preußischen Offizieren:

Au bout de quelque temps, une fois la première terreur disparue, un calme nouveau s’établit. Dans beaucoup de familles, l’officier prussien mangeait à table. Il était parfois bien élevé, et, par politesse, plaignait la France, disait sa répugnance en prenant part à cette guerre. On lui était reconnaissant de ce sentiment ; puis on pouvait, un jour ou l’autre, avoir besoin de sa protection. En le ménageant on obtiendrait peut-être quelques hommes de moins à nourrir. Et pourquoi blesser quelqu’un dont on dépendait tout à fait ? Agir ainsi serait moins de la bravoure que de la témérité. — Et la témérité n’est plus un défaut des bourgeois de Rouen, comme au temps des défenses héroïques où s’illustra leur cité.

Die Reisegesellschaft:

Donc, une grande diligence à quatre chevaux ayant été retenue pour ce voyage, et dix personnes s’étant fait inscrire chez le voiturier, on résolut de partir un mardi matin, avant le jour, pour éviter tout rassemblement. [...]

Les trois hommes installèrent leurs femmes dans le fond, montèrent ensuite ; puis les autres formes indécises et voilées prirent à leur tour les dernières places sans échanger une parole.

Le plancher était couvert de paille où les pieds s’enfoncèrent. Les dames du fond, ayant apporté des petites chaufferettes en cuivre avec un charbon chimique, allumèrent ces appareils, et, pendant quelque temps, à voix basse, elles en énumérèrent les avantages, se répétant des choses qu’elles savaient déjà depuis longtemps.

Enfin, la diligence étant attelée, avec six chevaux au lieu de quatre à cause du tirage plus pénible, une voix du dehors demanda : — « Tout le monde est-il monté ? » — Une voix du dedans répondit : — « Oui. » — On partit.

La voiture avançait lentement, lentement, à tout petits pas. Les roues s’enfonçaient dans la neige ; le coffre entier geignait avec des craquements sourds ; les bêtes glissaient, soufflaient, fumaient ; et le fouet gigantesque du cocher claquait sans repos, voltigeait de tous les côtés, se nouant et se déroulant comme un serpent mince, et cinglant brusquement quelque croupe rebondie qui se tendait alors sous un effort plus violent. [...] 

Der Schluss:

Alors Cornudet, qui digérait ses œufs, étendit ses longues jambes sous la banquette d’en face, se renversa, croisa ses bras, sourit comme un homme qui vient de trouver une bonne farce, et se mit à siffloter la Marseillaise.

Toutes les figures se rembrunirent. Le chant populaire, assurément, ne plaisait point à ses voisins. Ils devinrent nerveux, agacés, et avaient l’air prêts à hurler comme des chiens qui entendent un orgue de barbarie. Il s’en aperçut, ne s’arrêta plus. Parfois même il fredonnait les paroles :

Amour sacré de la patrie,
Conduis, soutiens, nos bras vengeurs,
Liberté, liberté chérie,
Combats avec tes défenseurs !

On fuyait plus vite, la neige étant plus dure ; et jusqu’à Dieppe, pendant les longues heures mornes du voyage, à travers les cahots du chemin, par la nuit tombante, puis dans l’obscurité profonde de la voiture, il continua, avec une obstination féroce, son sifflement vengeur et monotone, contraignant les esprits las et exaspérés à suivre le chant d’un bout à l’autre, à se rappeler chaque parole qu’ils appliquaient sur chaque mesure.

Et Boule de Suif pleurait toujours ; et parfois un sanglot, qu’elle n’avait pu retenir, passait, entre deux couplets, dans les ténèbres.

Adrienne Legay, die reale Person, die das Urbild der literarischen Figur Boule de suif war, die Guy de Maupassants Ruhm begründete, war auch in der Realität eine Prostituierte aus Rouen, sie verarmte und starb durch Selbstmord (sechs Wochen nach Guy de Maupassants Tod), so als ob sie zeigen wollte, dass Verfasser und Leser literarischer Werke zwar mit der fiktiven Person mitfühlen, aber in der Realität nichts zu tun bereit sind, um sie aus ihrem unwürdigen Schicksal zu befreien.

09 Mai 2025

Adolf Muschg: Geschichtenweihnacht

 Adolf Muschg: Geschichtenweihnacht

Die folgenden Zitate sollen Werbung für die Erzählung und den Autor machen. Wenn etwas nicht zu lesen ist, hilft das meinem Plan.

Zitate:

"Lieber Gott, lass mich jetzt hier nicht feierlich werden. Amen."  (S.339)   

"J. rief Judas, wo ist das Reich Gottes? [...] "Ich weiß, wo es ist, sagte Petrus [...] J., du mußt doch Papst werden. - Bitte nicht, sagte Petrus, schon mein Nachfolger würde nicht mehr wissen, wo es zu finden ist. (S.342)